Ein furioser Sommerspaß
Marquardts Ideenreichtum ist atemberaubend, seine Prosa so berauschend wie die Unmengen Whisky, die Anselm allabendlich in sich hineinschüttet. Anselm im Glück ist DIE Frühsommerlektüre schlechthin.
„Des Morgens, wenn ich früh aufsteh / dann tut mir meine Birne weh …“ – wer diese richtungsweisenden Zeilen einst reimte, hat Maßstäbe gesetzt in der komischen Lyrik, vor allem aber in der hochkomischen Kurzprosa. Axel Marquardt, als Lyriker auch unter dem Namen Axel Maria Marquardt bekannt, hatte Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre eine verlegerische Heimat im Haffmans Verlag gefunden, wo in den Bänden Der Betriebsdichter (1994) und Die Reisenden (1992) literarische Meilensteine wie „Der Exterminator“, „Die geile Brigitte“ oder „Pygmäen heute (Der Kunstwichser)“ ihresgleichen suchten und fanden. Weniger Beachtung fanden leider die im Rake Verlag erschienenen Werke Die Welt ist ein weiß lackiertes Türblatt (1997) und Die Marschmenschen (1997). Nach dem eher unrühmlichen Abschied Gerd Haffmans aus dem Verlagswesen ist der Verleger – der offenbar literarisch ein weitaus sichereres Händchen hat als buchhalterisch – seit einer Weile im Verlag und Versandbuchhandel von Zweitausendeins beheimatet. Und hier wird nicht nur in Kürze das so sehnsuchtsvoll vermisste Literaturmagazin Der Rabe wieder auferstehen, sondern bereits jetzt das schriftstellerische Werk von Axel Marquardt weitergeführt – und wie!
Anselm im Glück ist Marquardts erster Roman, und man durfte gespannt sein, ob er in der Lage ist, die Komik seiner Kurztexte auch über eine längere Strecke zu halten. Er nimmt uns in diesem Roman mit auf eine wendungs- und fintenreiche Flucht, lässt ein rasantes Roadmovie vor unseren Augen entstehen. Ausgangspunkt ist eine heruntergekommene Hafen-Spelunke nahe Hamburg, das Kap. Seit sechs Jahren Stammgast und dennoch einer der „Neuen“ ist Anselm Feyrig (übrigens nicht identisch mit der gleichnamigen Figur, deren fiktiven Lebenslauf Marquardt im Betriebsdichter aufzeichnete), ein Chronist, Biograph und Drehbuchautor, dessen größte Leistung allerdings im Erschwindeln von Krediten liegt. Wir lernen Anselm kennen, als das Schuldengebirge unaufhaltbar auf ihn niederbricht und ihm nichts anderes bleibt, als vor der Sparkasse, aber vor allem vor einem professionellen Schuldeneintreiber zu fliehen. In Brüssel wähnt er die Lösung seiner Probleme, hatten doch seine Freunde in einem Fax angekündigt, die gemeinsam erarbeitete Vorabendserie sei bei einem Sender angenommen worden und nunmehr winke das große Geld. Doch als er in Brüssel eintrifft, macht alles den Anschein, als sei Anselm verladen worden. Die Freunde sind verzogen, nur ein Bechstein-Flügel von 1915 ziert die leeren Räume. Als Anselm den Flügel an einen Hehler verschachert, ihn aber versehentlich den von den Eigentümern beauftragten Spediteuren aushändigt, erweitert sich der Kreis derer, die Anselm an den Kragen wollen, ein weiteres Mal. Die kuriose Flucht führt Anselm nach Norditalien, nach Monte Carlo und nach Sylt. Glücks- und Pechsträhnen wechseln sich in schwindelerregendem Tempo ab, Anselm wird Millionär und landet kurz darauf im Gefängnis – und nicht nur einmal steht er kurz davor, sein Leben zu verlieren. Ach ja, ganz nebenbei lernt Anselm einen Dichter kennen, den er wegen eines Terminproblems bei einer Lesung vor zwölf Besuchern doubelt – dessen Gedicht, das mit den Versen „Des Morgens, wenn ich früh aufsteh / dann tut mir meine Birne weh“ beginnt, hat es ihm besonders angetan …
Marquardts Ideenreichtum ist atemberaubend, seine Prosa so berauschend wie die Unmengen Whisky, die Anselm allabendlich in sich hineinschüttet. Anselm im Glück ist DIE Frühsommerlektüre schlechthin.
Frank Schorneck
Axel Marquardt: Anselm im Glück. Haffmans bei Zweitausendeins 2003. Gebunden. 191 Seiten. 10 Euro.