Geschrieben am 11. Dezember 2013 von für Bücher, Litmag

Benjamin Moser: Clarice Lispector. Eine Biographie

Benjamin-Moser-Clarice-Lispector-Eine-BiographieDas bewegte Leben der brasilianischen Literatur-Ikone Clarice Lispector

– Wie die ersten Bände der Werkausgabe der ‚Grande Dame‘ der brasilianischen Literatur erscheint diesen Herbst auch die erste ins Deutsche übersetzte Biographie von Clarice Lispector im Schöffling-Verlag. Es verwundert etwas, dass dieser umfangreiche Text von Benjamin Moser, einem US-Amerikaner, zur Übersetzung ausgewählt wurde und nicht etwa eine der Lispector-Biographien aus Brasilien. Dennoch ist es erfreulich, dass sich Schöffling dieser enigmatischen Autorin annimmt und nicht nur ihre Werke, sondern auch ihre Lebensgeschichte dem deutschen Publikum zugänglich macht. Von Christiane Quandt

Das Leben einer Legende

Obwohl einige Literatur von Clarice Lispector bereits in recht viele Sprachen übersetzt wurde, blieb sie bislang am Rande des Kanons der so genannten Weltliteratur. Zwar verfügen sie und ihre Texte im portugiesischsprachigen Raum über eine ansehnliche Fangemeinde, doch konnte diese Begeisterung bislang nur auf Literaturexperten überspringen – allzu enigmatisch scheinen ihre Romane und Erzählungen zu sein. Hier kann eine ausführliche Biographie durchaus zu einer breiteren Rezeption beitragen, zumal dieses überaus bewegte und schicksalhafte Leben neugierig macht auf die Literatur, die die slawisch aussehende und doch tief brasilianische Sphinx hinterlassen hat.

Die in der Ukraine, noch vor der Flucht der Eltern geborene Clarice verspürt seit Kindesbeinen den Drang sich Geschichten auszudenken. Doch von Anfang an bemerkt sie selbst, dass ihre Erzählungen nicht mit ‚Es war einmal‘ beginnen können, sie müssen tiefer gehen.

Nach abgeschlossenem Jurastudium heiratet sie den Diplomaten Maury Gurgel, dessen Beruf sie von Rio zunächst nach Neapel, dann nach Bern, kurz nach Torquay in England und schließlich nach Washington D.C. führt. Von dort kehrt sie alleine nach Rio zurück und verbringt den Rest ihres Lebens mit dem Schreiben, ihren beiden Söhnen und der Suche nach Glück. Mit nur knapp 57 Jahren stirbt sie an Krebs und hinterlässt ein faszinierendes und umfangreiches Werk.

Die Ukraine um 1920

Der promovierte Historiker und Literaturwissenschaftler Benjamin Moser holt weit aus, um in die Biographie einzusteigen. Wir erfahren in den ersten Kapiteln Vieles über die Eltern und Großeltern der Autorin sowie die politischen und gesellschaftlichen Umstände und Ereignisse in der heutigen Ukraine und wie die immer stärker werdende Judenverfolgung vor und während des ersten Weltkrieges letztlich zur Emigration bzw. Flucht der mittlerweile verarmten Familie führt. Mit einem ausführlichen Stammbaum und einer historischen Landkarte werden diese Informationen untermauert. Und auch das erschreckende Schicksal der Mutter, deren Krankheit die Schwangerschaft mit Clarice hätte heilen sollen, wird eingehend beleuchtet.

Die Stationen, von Maceió bis Washington D.C.

Mosers Detailliertheit zieht sich durch den gesamten Text, vom Eingehen auf diverse Legenden um Alter bzw. Geburtsdatum der Schriftstellerin über eine eigene kleine Biographie jeder (wirklich jeder) wichtigeren Figur, die auftritt, bis hin zur Schilderung diverser politischer Querelen und anderer Ereignisse im Brasilien der den 1930er bis 1970er Jahre sowie an den jeweiligen Lebensstation Clarice Lispectors, die sich aufgrund der Diplomatentätigkeit ihres Mannes Maury über mehrere Kontinente erstrecken. Auch werden nahezu alle literarischen Werken Lispectors in ihrer Entstehung begleitet sowie auf mehreren Seiten kommentiert und mit ihrer Biographie in Verbindung gebracht. Von der Kindheit in Maceió und Recife bis zu ihrem Tod in Rio de Janeiro finden sich die Leser an der Seite dieser Ikone der brasilianischen Literatur. Anhand von Briefen, Notizen, literarischen und journalistischen Texten sowie früherer Sekundäriteratur und Aussagen von Zeitzeugen wird dieses nicht immer einfache Leben eingehend studiert, ausführlich aufbereitet und kommentiert.

Kulturelle Übersetzung?

Der im angelsächsischen Raum durchaus übliche etwas kolloquiale Stil nimmt sich in der Übersetzung von Bernd Rullkötter leider zuweilen etwas zu nah an der angelsächsischen Norm aus und wirkt im Deutschen in seiner anekdotenhaften Erzählweise eher flapsig. Leider ist auch die Übersetzung von Zitaten und Buchtiteln vorgenommen worden, ohne dass eine Liste der Texte mit Originaltiteln sowie Ersterscheinungsdatum zur Verfügung stünde. Das kann problematisch sein, denn einige Romane liegen noch nicht in deutscher Übersetzung (oder in mehreren unterschiedlich betitelten Übersetzungen) vor und die Titel der Übersetzungen können von den in der Biographie neu übersetzten abweichen. Es wäre doch wünschenswert gewesen, hier etwas besser zu recherchieren.

Eher Historiker als Literaturwissenschaftler?

Man merkt dieser Biographie die Begeisterung ihres Autors für die Person an, über die er schreibt. Auch die literarischen Texte, die er analysiert, kennt er gut und gibt durchaus aufschlussreiche Einblicke. Ein Wenig jedoch habe ich den reflektierenderen Blick des Literaturwissenschaftlers vermisst, der auch in der Lage wäre den Text gelöst von der Autorin zu betrachten – auch wenn es, gerade bei Clarice, verführerisch ist, sie immer wieder psychoanalytisch zu lesen. Zudem öffnet eine große Begeisterung nicht immer nur die Zugänge zur Literatur, sie kann auch für wesentliche Aspekte blenden.

Extensiv und Ausführlich

Auch wenn meines Erachtens neben der Erwähnung der portugiesischen Buchtitel und eines literaturwissenschaftlicheren Blicks eine für den Leser erkennbare Einteilung in ‚Historischen Hintergrund‘, ‚Literatur‘ und ‚Das Leben der Clarice Lispector‘ die Lektüre sehr erleichtert hätte und es nicht immer notwendig gewesen wäre derart detailliert Aufschluss über Ereignisse oder Personen zu geben, handelt es sich doch um ein Buch, das extensiv und ausführlich Aufschluss gibt über das Leben der wahrscheinlich wichtigsten Autorin der brasilianischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Es hätte nicht sein müssen, diese Biographie auf 500 Seiten auszudehnen, aber letztlich sind alle Hintergründe gut recherchiert, und all die historischen Daten, Fakten und Anekdoten ergeben dann doch einen kleinen Faden im großen bunten Teppich, der das Leben der enigmatischen Schönheit Clarice Lispector ist.

Christiane Quandt

Benjamin Moser: Clarice Lispector. Eine Biographie. Übersetzt von Bernd Rullkötter. Schöffling & Co. 2013. 564 Seiten. 36,95 Euro.

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