Geschrieben am 3. Mai 2016 von für Bücher, Litmag, News

Bildband: Burt Glinn: Kuba 1959 – Szenen einer Revolution.

Burt Glinn Kuba 1959Zehn Tage mit Castro im revolutionären Freudentaumel

– Der amerikanische Magnum-Photograph Burt Glinn flog nach der Flucht des kubanischen Diktators Fulgencio Batista am 1. Januar 1959 spontan von New York nach Havanna, um den revolutionären Aufbruch an der Seite Fidel Castros mitzuerleben und zu fotografieren. Glinn war mitten drin bei Aufmärschen, Versammlungen, Gefechten und bei Castros stundenlangen Reden vor begeisterten Zuhörern. Der jetzt erschienene Bildband der Midas Collection mit Glinns eindrucksvollen historischen Fotos zeigt die sagenhafte Euphorie eines revolutionären Aufbruchs. Von Peter Münder.

Burt Glinn Kuba 1959Als er während einer New Yorker Silvesterfeier 1958 davon hörte, dass der kubanische Diktator und Mafia-Kumpel Fulgenico Batista gerade Lastwagen in Havanna mit seinen ergaunerten Staats-Schätzen belud und ins Ausland flüchten wollte, stand für den Fotoreporter Burt Glinn (1925-2008) sofort fest, dass dies eine heiße Story für ihn war, die er unbedingt machen wollte, auch wenn er unter diesen unübersichtlichen Umständen keinen direkten Auftrag dafür bekommen konnte.

Schließlich befand sich Fidel Castro schon seit einiger Zeit mit seiner Revolutionstruppe „26. Juli“ in den Bergen der Sierra Maestra – die Batista-Flucht war das entscheidende Signal, dass ein Umsturz unmittelbar bevorstand. Mit dem letzten „Yellow Bird“-Nachtflug von New York kam Glinn nach Miami und gelangte dann mit einem 20-Dollar-Ticket am 1. Januar 1959 nach Havanna, wo die gesamte Stadt im Aufruhr und in Feierstimmung war. Mit seinen sechs um den Hals geschlungenen Kameras tauchte Glinn völlig desorientiert spontan ins gigantische Gewühl, wobei er prompt eine seiner Leicas und seine Schuhe verlor.

Burt Glinn Kuba 1959Kein Fototermin, sondern Revolution

„Jeder rief nach Fidel“, schreibt er, „aber keiner wusste, wo er sich aufhält. Es gab keine Pressestelle, das war schließlich kein Fototermin, sondern eine echte Revolution. So langsam dämmerte mir, was hier passierte und wo ich war. Ich war wahnsinnig aufgeregt. Ich erlebte eines der größten Abenteuer meines Lebens“. Dieses aufwühlende Abenteuer zeigen Glinns berührende, grandiose Fotos: Es sind Impressionen, die zwischen euphorischer Ekstase bei der Begrüßung der Freiheitskämpfer und düsterer Depression bei der Verhaftung von Batista-Anhängern und Geheimpolizisten oszillieren.

Gewehre und Pistolen sah man überall, geschossen wurde auch häufig, doch wer da gegen wen vorging, war für den Photographen oft nicht klar erkennbar. Und den Kontakt zu Castro und seiner Entourage konnte der Amerikaner auch erst über viele Umwege herstellen: Fidel war mit einer kleinen Gruppe aus der Sierra Maestro ohne offizielle Eskorte gestartet, dann hatten sich viele Freiwillige dem Revolutionstrupp mit ihren Panzern, Lkw, Jeeps, Bussen, Taxis, Motorrädern und Fahrrädern angeschlossen. Der Pulk, der sich schließlich von Santiago über Santa Clara und Cienfuegos nach Havanna bewegte, wirkte trotz der getragenen Waffen wie ein ziemlich chaotischer Umzug begeisterter Fans.

Fidel Castro wechselte oft die Fahrzeuge, so dass es für Glinn zu einer Art Versteckspiel wurde, ihm auf den Fersen zu bleiben und ihn mit seiner Gruppe beim Bad in der Menge oder bei seinen bejubelten Auftritten abzulichten. Die einzelnen Etappen bis zum Triumph in Havanna hatte Glinn jedoch genau beobachtet; so erlebte er etwa in Santa Clara, 180 Meilen vor Havanna, wie die kurz zuvor von Che Guevara eroberte Stadt den Untergang des Batista-Regimes signalisierte: „Castros Ankunft wurde gefeiert wie die Befreiung von Paris“, schrieb Glinn im Vorwort. Neun Tage lang begleitete der selbst extrem euphorisierte Reporter diese Triumph-Fahrt über die Insel.

Burt Glinn Kuba 1959Lieber Olivgrün als Rot

Am Anfang dieses beflügelnden Befreiungsaktes, der die Kubaner im Januar 1959 so begeisterte und zu Tausenden auf die Straßen brachte, war von Marx oder Lenin, von Enteignung und Sozialismus überhaupt nicht die Rede: Es ging um den „Dritten Weg“, der als ideale Alternative zu Kapitalismus und Sozialismus angestrebt wurde. Als sich Fidel Castro im Februar 1959 selbst zum Premier mit Sondervollmachten ernannte, sah er die kubanische Revolution noch zwischen den vorherrschenden Systemen: „Der Kapitalismus gibt den Menschen preis, der Kommunismus mit seinen totalitären Vorstellungen opfert seine Rechte auf. Wir sind weder mit dem einen noch dem anderen einverstanden. Unsere Revolution ist nicht rot, sie ist olivgrün. Sie trägt die Farbe der Rebellenarmee aus der Sierra Maestra“.

Und was ist dann passiert? Wie konnte es zum ökonomischen Desaster, zur Imitation sowjetischer KGB-Methoden, zur Überwachung und Verfolgung von Dichtern und Dissidenten kommen? Zur Inhaftierung von Heberto Padilla (1962-2000, „Außerhalb des Spiels“, dt. 1971), der nach 38 Tagen im Knast vor hundert Schriftstellern Selbstkritik üben musste? Die bittere Bilanz, die Jahrzehnte später fällig ist, deutet sich bereits in der elektrisierenden revolutionären Anfangsphase an, als Glinn selbst vage Zweifel am Ausgang des kubanischen Experiments hegt.

„Die Euphorie war unglaublich und ergriff das gesamte Land“, kommentiert Glinn und setzt hinzu: „Ich erinnere mich auch an die wilden Hoffnungen und bösen Vorahnungen, von denen diese kurze Zeit angefüllt war. Ich wünschte nur in den folgenden Jahren, dass Fidel besser zu den Kubanern und wir schlauer gewesen wären“.

Burt Glinns „Havana: The Revolutionary Moment“ erschien zuerst 2002 in den USA.

Burt Glinn Kuba 1959Ein scharfsinniger Anthropologe

Der US-Bildreporter und spätere Magnum-Präsident war der wohl profilierteste Chronist des Kalten Krieges: In Berlin war er Zeuge des Mauerbaus, für große Russland- oder Japan-Reportagen lebte er monatelang in diesen Ländern. Er war als Reporter auf dem Sinai und im Libanon-Krieg gewesen, berichtete aber auch über „elitäre Inseln“ wie etwa das Internat Eton oder „Gentleman’s London“: Immer registrierte er gesellschaftliche Stagnations- oder Veränderungsprozesse aus der Sicht eines scharfsinnigen Anthropologen, der den großen Kontext im Blick hat.

Zum 12jährigen Geburtstag hatte ihm seine Tante eine Kodak-Monitor Faltkamera geschenkt, die sofort zu seinem faszinierenden Fixpunkt wurde. Ein Jahr später hatte der von der Fotografie Besessene so viel absorbiert, dass er sich intensiv mit neuen Techniken beschäftigen und auf Transfer-Prozesse für Farbverfahren kaprizieren konnte. In Harvard studierte er Literatur, war aber viel stärker an der Mitarbeit beim Studentenmagazin „Crimson“ interessiert. Als Bildreporter hatte er die ideale Synthese dieser beiden Disziplinen gefunden.

Burt Glinn Kuba 195957 Jahre nach der kubanischen Revolution deutet sich mit der Lockerung amerikanischer Sanktionen, den geplanten US-Investitionen auf Kuba und nach dem Obama-Besuch eine kubanische Tauwetter-Phase an. Einige kryptische Verlautbarungen der Helden von damals hören sich halbwegs kritisch-realistisch an, aber das ist ja nichts Neues, vor allem nicht beim offiziellen Phrasenabsondern auf Parteitagen. v

Vor „falscher Nostalgie“ warnte gerade auf dem siebten Parteitag in Havanna der 84jährige Raul Castro, der auch vehement die Verschleppung von Reformen und einen extrem trägen Staatsapparat kritisierte – die Umsetzung der vor fünf Jahren beschlossenen Wirtschaftsreformen sei hauptsächlich an der kommunistischen Bürokratie gescheitert, meinte er, bevor er als 1. Sekretär der kubanischen KP wiedergewählt wurde. Und der 89jährige Fidel – ganz salopp im azurblauen bezaubernden Adidas-Trainingsanzug mit weißen Streifen auftretend – beschränkte sich während des Parteitags auf eine nur zehnminütige Ansprache, in der er sogar von „aussterbenden Dinosauriern“ sprach und damit offenbar die senile Marxisten-Garde meinte, die sich gegen die drohende renditegierige Invasion amerikanischer Unternehmer nicht mehr so rabiat zur Wehr setzt wie früher. Oder sollte das eine milde Form von Selbstkritik sein? Es kommen jedenfalls wieder turbulente Zeiten auf die Kubaner zu.

Glinns Bildband mit seinen grandiosen Fotos heroischer Revolutions-Momente ist jedenfalls ein spannendes, aufregendes Zeitdokument, das angesichts der bitteren Gesamtbilanz des Castroismus Mut machen könnte für einen historischen Neuanfang ohne Parteibonzen, Politkommissare und Zensur-Apparatschiks. Wenn die herrschende Politkaste endlich auf die eigenen „einfachen“ Leute hören würde.

Peter Münder

Burt Glinn: Kuba 1959- Szenen einer Revolution. Übersetzt von Claudia Koch. Midas Verlag, Zürich, 2016. 192 Seiten, vierfarbig. 59,00 Euro.
(c) alle Fotos Burt Glinn / Magnum Photos / Midas Collection

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