
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun …
Eine wichtige Mine und Quelle unserer Vorstellungen von Krieg, Gewalt, Terror und Elend, auch wenn wir uns ihnen nicht mehr deutlich bewusst sind, ist der Radierungszyklus „Les Misères et les Malheurs de la Guerre“, deutsch: „Die großen Schrecken des Krieges“ von Jacques Callot aus dem Jahr 1633. Der Limbus Verlag präsentiert eine hübsche Ausgabe der
18 Blätter, kommentiert von Bernd Schuchter, der unter dem Titel „Jacques Callot und die Erfindung des Individuums“ bei Braumüller den Kontext in einem essayartigen Begleitbändchen breiter ausfaltet. Thomas Wörtche hat sich das Schaffen von Jacques Callot genauer angesehen.
Zunächst brauchen wir eine Lupe, eine möglichst vortreffliche, möglichst beleuchtete Lupe. Denn Callots Stiche sind Kunstwerke en miniature. Wir sehen dort Dutzende, oft Hunderte von Figuren in Aktion, oft nur stecknadelgroß, aber fast eine jede erzählt eine Geschichte, zentral oder peripher. Die 18 Blätter des Zyklus protokollieren das Soldatenleben zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, von der Anwerbung bis zur „Verteilung der Belohnung“. Dazwischen nichts als das blanke Grauen. Schlacht, Plünderungen, Hinrichtungen, Brandschatzungen, Marter, Blutrausch, das Elend des Hospitals, die Rache der Bauern an der Soldateska, die selbstgefällige Inszenierung der Reichen und Mächtigen, die die Blutbäder ausgelöst haben. Und so klein sie alle erscheinen mögen, Callots präziser Blick auf das Leiden der Menschen erschafft eine Art „schon fast ketzerische Form des Individualismus“ (Bernd Schuchter).
Denn recht eigentlich galt das Individuum im 17. Jahrhundert noch wenig bis nichts. Die gottgegebene Ordo dominierte das Leben der Menschen, obwohl Renaissance und Reformation allmählich an dieser Ordnung nagten. Und René Descartes, ein Zeitgenosse Callots, schickte sich gerade an, mit seinem „cognito ergo sum“ dem „Ich“ einen zentralen Platz im Denken zuzuweisen. Krieg, Tod, Pest und Gewalt waren für die Menschen der Zeit zwar seit je her völlig normal, aber der 30jährige Krieg drehte die Schraube der Barbarei noch weiter. Es wurde too much, obwohl kein Ende abzusehen war. Andreas Gryphius´ berühmtes Sonett „Thränen Deß Vaterlandes“ reagiert nicht nur auf die selbst für die Zeit unerhörten Gräuel der Erstürmung von Magdeburg 1631, aber die Welt war im Zustand des Hobbes´schen Leviathan, homo hominem lupus. Auch Grimmelshausens Simplicissimus erzählt keine andere Geschichte (in dem Zusammenhang seien dessen ersten Kapitel zur Re-Lektüre empfohlen).
Kunst & Auftrag
Callot, wie alle Künstler seiner Zeit, war von seinen Auftraggebern abhängig. Seit seinem Aufenthalt im Florenz der Medici war er ein Star seines Gewerbes, dass er nebenbei die Technik der Radierung innovativ bereichert hatte, trug zu seinem Ruf bei. Insofern war auch Kriegspropaganda durchaus Teil seines Handwerks und wichtiger Pfeiler seiner wirtschaftlichen Existenz. Als die Infantin Isabella von Spanien, als Statthalterin der Niederlande ihn beauftragte, die Belagerung der Festung Breda (von den Oranier gegen die Spanier zunächst gehalten) in einem panoramischen Stich festzuhalten (die Breitleinwand-Version von Velázquez ein paar Jahre später als „Übergabe von Breda“ war ebenso ein kunstgeschichtlicher Meilenstein) gründete Callot seine zweite Karriere als „Schlachtenbebilderer“, die zu direkten, bestbezahlten Folgeaufträgen führte. Insofern könnte man fast versucht sein, ihn als Profiteur des Elends zu sehen, denn nicht nur die (zeitüblich) devote Widmung gefiel der Auftraggeberin, sondern auch das auf dem Bild dargestellte „Panoptikum des Krieges“, das die Hierarchie der handelnden Personen perspektivisch „korrekt“ wahrte: Im Vordergrund die Generalität, das Schlachten und Töten im Hintergrund, comme il faut.
Und dennoch weicht Callot an der Stelle ab: „Die großen Schrecken des Krieges“ verzichten plötzlich auf jede Art der Überhöhung, weder politisch, noch moralisch. Die Schrecken sind zum Alltagsthema geworden, zu Vignetten aus den ganz normalen Zeitläuften. Brutal, detailgetreu, protokollarisch. Nicht wertend, sondern konstatierend, nicht beipflichtend, aber auch nicht ablehnend oder „kritisch“. Allerdings wird in diesem Zyklus auch klar: In diesem von Menschen angerichteten Inferno leiden Menschen, konkret, erbarmungslos, dreckig, ganz und gar nicht-transzendental. Das ist die Essenz, die von dem Zyklus bleibt. Und es bleibt die Art, wie dieses Leid in Bilder transformiert werden kann, die einerseits detailrealistisch sind, andererseits so viel kommunikatives Potential haben, dass sie noch heute funktionieren.
Callots andere, seine „friedlichen“ Arbeiten, inspirierten bekanntlich E. T. A. Hoffmanns „Fantasiestücke in Callots Manier“. Seine Skizzen der Commedia dell´Arte, seine Porträts von Bettlern, Gauklern und anderem Volk, eben seine Capriccios zeigen „das Andere“ seiner Zeit – das Heitere, Verspielte, wenn auch da schon sehr konkret in den sozialen Umständen siedelnd.
Die Bildwelten des Kriegs-Zyklus wanderten direkt und offen in Goyas „Desastres de la Guerra“ (die Entwicklung Goyas vom Hofmaler zum gnadenlosen, düsteren Chronist der Schrecken des Guerilla-Krieges gegen Napoleon, ist verblüffend parallel zu der von Callot), von dort aus in die globale Ikonographie, wo sie bis heute unsere Wahrnehmung prägen und selbst noch in den ödesten Schockern präsent sind, wo man sie gerne als „verdammt realistisch“ preist. Ein wichtiges Projekt wider die Geschichtsvergessenheit und ein Baustein für die historische Bedingtheit unserer Existenz.
Thomas Wörtche
PS: Apropos Lupe: Man könnte diskutieren, ob in beiden Büchern die Bilder nicht zu klein reproduziert sind. Die alte Ausgabe „Jacques Callot. Das gesamte Werk in zwei Bänden“ Hrg von Thomas Schröder. Herrsching: Pawlak o.J. (ca. 1980), out of print, ist da, obwohl auch nicht perfekt, in gewissen Aspekten hilfreicher.
Jacques Callot: Die großen Schrecken des Krieges. 18 Radierungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Bernd Schuchter. Innsbruck: Limbus Verlag 2016, 62, Seiten, € 20
Bernd Schuchter: Jacques Callot und die Erfindung des Individuums. Wien: Braumüller Verlag 2016, 160 Seiten, € 18,00