Bloody Chops,
frisch & dampfend, heute von Joachim Feldmann (JF) und Thomas Wörtche (TW)
Ein Zissemännchen der Spannungsliteratur
– (JF) Freunde der literarischen Leichenschnippelei kommen in Simon Becketts viertem Roman um den „forensischen Anthropologen“ Dr. David Hunter kaum auf ihre Kosten. Nur einmal darf der geniale Erforscher der „Chemie des Todes“ seine Expertise unter Beweis stellen. Aber ausgerechnet diesen kleinen Triumph gönnt ihm der ebenfalls bei der Ausgrabung eines Mordopfers im schauerlichen Dartmoor anwesende „forensische Archäologe“ nicht.
Ja, man wundert sich, wer heutzutage alles im Dienste kriminalistischer Ermittlungen tätig wird. Aber egal. Hunter jedenfalls tritt im weiteren Verlauf dieses bemerkenswert spannungsarmen Schmökers vor allem als potentielles Opfer auf. Ein Serienmörder ist dem Gefängnis entkommen und offenbar auf Rache aus. Sein Motiv allerdings bleibt rätselhaft. Für den Leser hingegen ist die Sache schnell klar. Der Ausbrecher, Jerome Monk mit Namen, hat die Physiognomie und Statur eines Unholds. Allein deshalb kann er nicht der wahre Täter sein. Dieser wird erst kurz vor Ende des Romans entlarvt. Oder besser gesagt: Er entlarvt sich selbst. Wirklich überraschend kommt diese Auflösung nicht, hat man sich einmal daran gewöhnt, dass es dem Autor weniger um die innere Logik von Handlung und Figurenkonstellation als um Knalleffekte geht. Da aber narrative Pyrotechnik ebenfalls seine Sache nicht ist, wirken diese Wendungen ungefähr so eindrucksvoll wie die kontrollierte Explosion eines Chinakrachers. Wenn „Verwesung“, so lautet der deutsche Titel dieses mutmaßlichen Bestsellers, repräsentativ für das Schaffen Simon Becketts ist, dann erscheint dem Rezensenten, der die ersten drei Bände nur vom Hörensagen kennt, die sensationelle Popularität dieses Autors bei Kritik und Publikum als eines der großen Rätsel unserer Zeit.
Simon Beckett: Verwesung. (The Calling of the Grave, 2010). Thriller. Aus dem Englischen von Andree Hesse. Reinbek: Wunderlich 2011. 444 Seiten. 22,95 Euro
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Bösartig
(TW) Die nette Suite Noir, die es auf Deutsch beim Distel Verlag gibt, besteht bis jetzt aus 10 Kurzromanen (oder längeren Erzählungen) bekannter und weniger bekannter französischer Autoren, die unter der Herausgeberschaft von Jean-Bernard Pouy Variationen/Adaptionen/Hommages auf Klassiker des angloamerikanischen roman noir geschrieben haben, die dann in einstündige TV-Filme umgesetzt wurden. Bei uns sind sie auf ARTE zu sehen und wir werden sie in einer der nächsten CrimeMag-Ausgaben besprechen. Nicht alle Texte sind als literarische Texte völlig gelungen, aber neben Chantal Pelletiers großartiger Erzählung „Schießen Sie auf den Weinhändler“ überzeugt vor allem Romain Slocombes „Das Tamtam der Angst“. Voodoo pur, nach „The Victim“ von Carter Brown ein Roman, der allerdings wie ein sehr fernes, längst verhalltes Echo wirkt. Slocombes Kurzroman ist gemein, erzählt von gierigen, schäbigen Verlegern, blank kriminellen Kunsthändlern und allerlei korruptem, widerwärtigen Volk mehr, die allesamt den armen Loser Fridelance über den Tisch ziehen, ihn ausplündern, verarschen, mit ihm den Boden aufwischen und ihn nach allen Regeln der Kunst zur Sau machen. Bis er zurückschlägt – aber was auch immer Sie jetzt denken – so nicht…
Das ist punktgenau erzählt, zeugt von intimer Kenntnis sowohl des Literatur- als auch des Galeriebetriebs, ist maliziös comme il faut und durchaus überraschend.
Die deutsche Fassung der in der Regel vorzüglich arbeitenden Katarina Grän allerdings ist, wie alle Bände der deutschen Suite Noir, merkwürdig steif, dudentreu, einheitssprachlich und ungeschickt (was ist denn in aller Welt ein „Polizeioffizier“?) lektoriert. Schade.
Romain Slocombe: Das Tamtam der Angst (Envoyez la fracture, 2007) Roman. Dt. von Katarina Grän. Heilbronn: Distel Literatur Verlag 2010, 105 Seiten, 10,00 Euro
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Noch ein Krimi
(JF) Eine Frau wird auf brutale Weise umgebracht. Der erste Verdächtige ist der schmierige Hausmeister, ein einschlägig vorbestrafter Wäschefetischist. Doch der war’s natürlich nicht. Dann kommt der Profiler vom LKA. Als Onkel der Ermordeten hat er ein persönliches Interesse an der Klärung des Falles. Interessiert ist er auch an der attraktiven Kriminalbeamtin, die uns die ganze Geschichte erzählt. Also landen die beiden nach einer aufwühlenden Tatrekonstruktion im Bett. Dumm nur, dass der Profiler bald selbst zu den Verdächtigen gehört. Ein Motiv hätte er auch. Dann geschieht ein weiterer Mord. Eine neue Spur taucht ebenfalls auf. Die Polizistin ist verwirrt. Dieser Zustand hält bis Seite 259 an, denn dann untersucht sie endlich den kurz zuvor aufgetauchten Laptop des Opfers. Und weiß, wer der wahre Täter ist.
„Der Profiler“ von Rainer Woydt ist einer jener durchschnittlichen Kriminalromane, die man nicht vermissen würde, wären sie nie geschrieben worden. Der Plot erinnert ebenso wie das Personal an mäßige Tatort-Folgen. Die schalte ich inzwischen spätestens nach der Hälfte aus. Dieses Buch habe ich bis zur letzten Seite gelesen. Froh stimmt mich das nicht.
Rainer Woydt: Der Profiler. Kriminalroman. Springe: zu Klampen 2010. 298 Seiten. 12,80 Euro
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Zeitschrift „Am Erker„