Geschrieben am 14. Mai 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops …

Harte Schnitte, klare Urteile, keine Reste … Heute von Thomas Wörtche (TW), Frank Rumpel (rum) und Jörg von Bilavsky (JvB).

Tod & Täter

(TW) Eigentlich ein sehr konventioneller Kriminalroman der guten, alten und netten Sorte. Ein ekliger Mord an einem kleinen Mädchen ist seit 25 Jahren nie aufgeklärt worden und verjährt (das geht in der schwedischen Rechtsprechung), ein pensionierter Polizist nimmt den Fall wieder auf und überführt den Täter. Weil wir aber von dem neuen Roman von Leif GW Persson reden, läuft die Sache anders, keinesfalls konventionell und auch nicht gut und alt und nett. Der Polizist Johanson ist nach einem Schlaganfall (zuviel gutes, fettes Essen, zuviel guter Wein, zuviel Schnaps, zuviel Leben überhaupt) aus der Bahn geworfen und stresst sich systematisch zu Tode. Nur den Unhold will er noch erwischen. Weil Johanson  hochkompetent ist und die Kollegen, die den Fall vorher bearbeitet hatten, nicht (u.a. auch, weil Perssons Personifikation des perfiden Bullen, Evert Bäckström, auch durch diesen Roman geistert), und weil er neue Informationen hat. Entscheidend ist die Frage, die sich nach der Überführung des Täters bei der neuen Rechtslage stellt. Aber der sterbende Polizist wird sie nicht mehr beantworten.

Die Beantwortung der Frage inszeniert Persson selbst auf sehr unbehagliche Art. Der klassische Whodunnit, der als „Form“ gedachte Kriminalroman, dessen narration so tut, als ob letztendlich alles seine Ordnung hätte, ist am Ende so mausetot wie der Held dieses cleveren und intelligenten Romans. Persson ist mit Abstand der interessanteste schwedische Verfasser von Kriminalromanen, mit drolligen Begriffen wie „Schwedenkrimi“, die so tun, als gäbe es irgendwelche nationalliterarischen Klammern, kann man ihn nicht beschreiben. Persson schreibt eine gnadenlose präzise Prosa, die sich seinem gnadenlos komischen Blick auf die Realitäten dieser Welt verdankt. Komisch im gnadenlosen Sinn.

Leif GW Persson: Der sterbende Detektiv (Den döende detektiven, 2010). Roman. Deutsch von Lotta Rüegger und Holger Wolandt. München: btb 2011. 541 Seiten. 14,95 Euro.
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Rustikales Spiel

(rum) Der Madrider Privatdetektiv und verschuldete Glücksspieler Julio Cabria ist eigentlich fertig mit der Welt und eben dabei, sich vom Hausdach zu stürzen, als ihm ausgerechnet ein Gangster das Leben rettet und zu einem risikoreichen Spiel drängt. Cabria soll für ihn eine Frau namens Pandora finden, anscheinend Italienerin mit besten Kontakten zur Unterwelt. Drei seiner Mitarbeiter, die er schon mit diesem Auftrag losschickte, wurden ermordet. Der spielsüchtige Cabria macht sich zusammen mit dem impulsiven Bullen Meléndez auf den Weg, begegnet wenig zimperlichen Schuldeneintreibern, italienischen Mafiosi, einer Frau, die mehr zu wissen scheint und einem Cyberanarcho.

Der spanische Autor Óscar Urra erzählt in seinem Debüt eine schnelle und recht übersichtliche Kriminalgeschichte, gleichermaßen gesättigt mit schwarzem Humor, irrwitzigen Ideen und einem Schuss Melancholie. Ein Showdown steigt da im Pornokino. Um einen Informanten zum Sprechen zu bringen, zerdeppert der Bulle Meléndez massenweise chinesisches Geschirr. Cabria lässt sich von einem Cineasten Filme empfehlen, um im Kinosaal etwas Schlaf zu bekommen. Vertrauliche Informationen liefert ihm sein Bruder, ein Pfarrer, gegen ein Tütchen Drogen im Beichtstuhl. Das alles ist unterhaltsam und gut erzählt, weiß aber nicht wirklich zu überraschen, weil Urra die Geschichte mit einem etwas absehbaren Dreh versehen hat. Während da alle ziemlich rustikal einem Phantom nachjagen, wie der Spieler Cabria dem Glück, merken sie erst spät, dass die großen Coups längst woanders gelandet werden.

Óscar Urra: Poker mit Pandora (A timba abierta, 2008). Roman. Deutsch von Peter Kultzen. Unionsverlag metro. 204 Seiten. 14,90 Euro.
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Himmelfahrtskommando

(JvB) Mit Spannung erwartet, mit Spannung belohnt: Der neue Winslow, der ein alter ist – erschienen erstmals bei uns 1997.

Politisch (noch) nicht so ambitioniert wie die furiosen „Tage der Toten“, aber das Personal im Plot mindestens ebenso ausgeklügelt positioniert wie messerscharf und mitfühlend skizziert: „Bobby Z.“ ist eine ziemliche Räuberpistole. Ein legendärer Superdealer aus Kalifornien ist verschwunden und Tim „die Superniete“ Kearney  soll in seine Rolle schlüpfen, um die Hintermänner aus ihren Schlupflöchern zu locken und sich gegen einen Drogenfahnder austauschen zu lassen. Die letzte Chance auf Freiheit für den Mörder eines Hells Angels und natürlich das reinste Himmelfahrtskommando. Nicht nur die Rocker wollen ihm aus Rache ans Leder, sondern auch geprellte mexikanische Drogenbosse aus Mexiko. Die impulsive Superniete entpuppt sich als clevere Kampfmaschine. Dutzende von Leichen hinter sich lassend, sorgt er sich auf dieser Flucht rührend um Bobbys Kind und einer seiner ehemaligen Gespielinnen. Mag das Porträt des ebenso brutalen wie bewundernswerten Losers auch nicht so recht zu seinen Heldentaten passen und die Vernichtung seiner Gegner allzu verblüffend ausfallen, ist jede Finte und jede Pointe ihre Überraschung wert. Winslow hat wieder zugeschlagen. Mit unbändiger Gewalt und knallharter Komik.

Don Winslow: Bobby Z. (The Death and Life of Bobby Z, New York 1997). Deutsch von Judith Schwaab. 283 Seiten. Berlin: Suhrkamp 2011. 8,95 Euro.
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Detektiv, Vampir & der Musikant

(TW)  Metaphern der Populären Kultur. Krimi-Metaphern. Der Reporter als Sherlock Holmes, seine brasilianische Übersetzerin als Watson. Zitiert und angerufen: Sam Spade, Philip Marlowe, Kommissar Maigret. Auch im Metaphernbeutel: Vampire. João Gilberto, um den es hier geht, als sozialer Blutsauger, als nächtliches Traumgespinst, als untote Existenz. Funktion solcher Metaphorik: Eigentlich keine.

Marc Fischer, der jüngst verstorbene Pop-Journalist, erklärt den brasilianischen Komponisten („Desafinado“ und eine Menge der Bossa-Nova-Hits der 1950s und 1960s, die nicht von Antônio Carlos Jobim sind) zu einer megawichtigen Figur der Pop-Musik des letzten Jahrhunderts und reist nach Brasilien, um den zurückgezogen, scheu, gar bizarr lebenden und möglicherweise durchgeknallten Genius zu treffen, der sich ihm mythenkompatibel entzieht. Marc Fischer erzählt viel von der Bossa Nova, allerdings immer im Superlativ – extrem formstreng, extrem reduziert, extrem innovativ, was alles zwar auch richtig ist, aber nun wirklich nicht sooo extrem, nicht soooo innovativ, nicht sooo einzigartig – , erstaunlich wenig von anderer brasilianischer Kultur der Zeit (außer, dass er Oscar Niemeyer spannend findet), erstaunlich wenig von anderen Kontexten. Aber gut, man muss vermutlich seinen Gegenstand gnadenlos erhöhen, wenn man ihn zum Kult machen möchte, um selbst kultig zu sein. Natürlich mindestens à la recherche … Und das nervt an dieser Art von Büchern. Dieses Was-bin-ich-toll-Getöse: Bei Liebeskummer fliegt man nach Tokio, trifft dort ganz tolle Menschen, die ganz tolle Ideen haben, aus denen man ganz tolle Bücher macht, in denen tolle Menschen nach noch tolleren Menschen her sind. Und dann kommen eben Detektive und Vampire, weil´s gerade schick ist, in die Narration. Weder hat der arme João Gilberto etwas verbrochen, weswegen man ihn hetzen und aufspüren und stellen müsste, auch muss man ihn nicht pfählen, nur weil er nachts lebt und vielleicht nicht nett ist zu jedermann oder sonst wie kein Kommunikationsjunkie – aber als, wenn auch nur metaphorisch gemeinte, Tätigkeitsbeschreibung für Pop-Journalisten sind diese Vergleichsfelder doch recht beredt.

Aber immerhin, ein paar schöne Bossa-Nova-Texte sind in dem Bändchen auch abgedruckt. De mortuis nihil nisi bene, klar. Aber nerven tut´s doch.

Marc Fischer: Hobalala. Auf der Suche nach João Gilberto. Berlin: Rogner & Bernhard 2011. 197 Seiten. 17,90 Euro.
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