Geschrieben am 13. August 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– heute angerichtet von Kirsten Reimers (KR) und Thomas Wörtche (TW)

Fake the Blues for me

(TW) Nach „Shades of Blue“, der sehr persönliche Hommage Bill Moodys an Miles Davis, die auch gleichzeitig eine eher subtile Studie zum Background von Evan Horne, dem Jazz-Piano spielenden Gelegenheitsdetektiv war, jetzt also „Fade to Blue“, der siebte Horne-Roman.

Der hat einen klasse Job an Land gezogen, durch Zufall, wie er meint. Er soll einem Hollywood-Superstar – so etwa in der Brad-Pitt-Liga – beibringen, auf der Leinwand auszusehen, als ob er Jazz-Piano spielen könne. Zudem winkt man mit einem fetten Auftrag für die Musik zu dem neuen Film des Stars. Nur das Drehbuch ist noch ein Geheimnis, aber als er es endlich liest, kommt die Story Evan Horne ziemlich bekannt vor. Zumal die irre Killerin, die wir aus „Bird Lives“  kennen, gerade aus dem Knast ausgebrochen ist. Und Hornes neue Arbeitgeber aus dem großen Filmbusiness sind auch nicht ganz unblutig. Oder doch?

Moodys Evan-Horne-Romane sind, so scheint es, zeitgeistresistent wie guter Jazz. „Fade to Blue“ hat den üblichen Moody-Groove – so gelassen und relaxt erzählt kaum jemand sonst. Moody schaut sich Personen und Situationen ganz genau an – die banalsten und die außergewöhnlichsten, Big Stars und Hausangestellte, hochvermögende Finanzleute und miese Paparazzi, Kellner und musikalische Genies. Und natürlich schreibt niemand so gut über Jazz, über die Musik, übers Musikmachen, über alles, was mit „Jazz“ zu tun hat. Und nichts außer Bill Moodys Büchern kriegt es hin, dass ich mich ein wenig schäme, wenn ich schlechte Musik höre.

Bill Moody: Fade to Blue. Roman. Scotsdale, AZ: Poisened Pen Press 2011. 282 Seiten. 18,99 Euro (HC). 10,99 Euro (TB). Verlagsinformationen zum Buch. Bill’s Kolumnen bei CULTurMag. billmoodyjazz.com. Bill Moody beim Unionsverlag

Verschwurbelte Rachestockungen

(KR) Vor fünfzehn Jahren verschwand an einem heißen Sommertag in Florenz ein siebenjähriges Mädchen. Eine Woche später wurde es gefunden: missbraucht und ermordet. In der Gegenwart gibt es an einem kalten Dezemberwochenende ein blutiges Nachspiel.

Christobel Kents Buch lässt sich – trotz des abschreckenden Aufklebers „Toskanakrimi“ auf dem Cover – zunächst recht gut an: Sie nimmt sich viel Zeit für ihre Figuren, die glaubwürdig und recht lebendig agieren, etwas kopflastig vielleicht, aber das passt gut in sich zusammen. Auch die Sprache ist angenehm: gewählt, fein, unaufdringlich, klar. Natürlich: Florenz frei vom Klischee zu zeichnen, ist kaum mehr möglich, aber Kent bekommt es hin, die Stadt nicht nur als hübsche Kulisse, sondern als vielschichtigen Lebensraum unterschiedlichster Figuren zu schildern.

Das funktioniert über Dreiviertel des Buches alles ganz prima. Aber irgendwann muss die Autorin dann ja auch mal auf den Punkt kommen, schließlich soll es hier um Rache gehen – „A Florentine Revenge“ verspricht schon der Originaltitel. Und da zerreißt es das Buch dann: Einerseits wird die Handlung auf einmal hektisch: Gab es anfangs nur zwei Erzählperspektiven, kommen nun immer mehr dazu; kurze Szenen mit dramatischen Cliffhangern häufen sich, um sich dann aber andererseits mit verschwurbelten Reflexionen über Leben, Liebe und den Tod abzuwechseln – simulierte Spannung, die durch die verzagt grübelnde Innenschau von Figuren satt ausgebremst wird. Dazwischen aussagenschwangere Dialoge, deren gekünstelte Ausdrucksweise nicht wie ein wirklich bewusst gewähltes Stilmittel wirkt. Auch die Übersetzung, die anfangs so sorgfältig war, wird nun auf einmal schludrig und uneben: Was da steht, weicht fingerdick von dem ab, was passen könnte.

Und am Ende wird – trotz böser Kindheitstraumata, die natürlich nicht fehlen dürfen – alles wieder gut: endlich strahlender Frühling im lichtdurchfluteten Florenz, alle dunklen Schatten erfolgreich vertrieben. Endlich Postkartenkulisse, klebrig süße, verschwollen langweilige.

Christobel Kent: Blutrache (A Florentine Revenge, 2006). Deutsch von Tanja Handels und Ursula Wulfekamp. DuMont Buchverlag: Köln 2011. 397 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von Kirsten Reimers.

Polar goes West

(TW) Im Grunde ist es egal, wann ein roman noir spielt. 1971/1972 hatte Jean-Patrick Manchette eine Drehbuchvorlage von Barth Jules Sussman zu einem Roman für das Haus Gallimard umgeschrieben: „Der Mann  mit den roten Kugel“.

Ein „Auftragswerk“, das man lange nicht auf dem Schirm hatte, das aber der wackere DistelLiteraturVerlag als vorläufigen Abschluss seiner ManchetteWerkausgabe erstmals auf Deutsch herausgebracht hat. Artig garniert mit einem Vorwort von Doug Headline, also Manchettes Sohn, und einem Grußwort des ansonsten nicht sehr auffällig gewordenen Sussman.

Zu Zeiten des Italowesterns, der ja oft mit Politik, Revolution und Klassenkampf hantierte, störte es kein bisschen, dass Manchettes Text letztendlich ein klassischer néo-polar wurde: eine sarkastisch und teilweise sehr komische Studie über Geld, Gewalt, Ausbeutung, Sex und Kapitalismus. Schon eine Parodie wüster Italowestern mit ihren Gewaltballetten und Demütigungsorgien, ihrer explizit menschenfeindlichen Attitude. Und teilweise auch eine  freudige Erfüllung solcher Standards, weil diese Komponenten im Spaghetti-Western selbst schon vielfach ironisch gebrochen sind.

Der Roman spielt nach dem amerikanischen Bürgerkrieg (wo zu der Zeit ein „Feuerwehrauto“ herkommen soll, wissen nur Übersetzung und Lektorat), zu gesetzlosen Zeiten, in denen Strafgefangene als billige Arbeitskräfte an private Unternehmer verliehen werden und in Chain-Gangs (deswegen die rote Kugel am Fuß), von sadistischen Aufsehern geschunden, schuften müssen. Einer der Häftlinge widersetzt sich. Ein typischer Manchette – lakonisch, brutal, analytisch, bösartig, mit überraschenden Sprüngen und völlig desinteressiert daran, was irgendwem gefallen könnte. Deutlich ein Nebenwerk, aber dennoch planetenfern von der damals grassierenden gefühligen „Sozialkritik“ à la Sjöwall/Wahlöö und dem heutigen Kuschelkram für empfindsame LeserInnen.

Jean-Patrick Manchette/Barth Jules Sussman: Der Mann mit der roten Kugel (L´homme au boulet rouge, 1972) Roman. Deutsch von Katarina Grän. Heilbronn: DistelLiteraturVerlag. Série Noire 2011. 197 Seiten. 12,80 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch. manchette.de