Bloody Chops –
noch schlachtfrisch von Thomas Wörtche (TW) und Joachim Feldmann (JF).
Osama lacht …
(TW) Dumm gelaufen, dass am Ende Osama bin Laden fröhlich lächelt. So, wir wissen es aus der Realität, wie Ilkka Remes sich das im sicherlich unfreiwillig komischsten Thriller der Saison ausgedacht hat, hat es am Ende nicht funktioniert. Aber was hat Bin Laden auch in einem Roman zu suchen, der – literarisch gesehen – auf Heftchen-Niveau so ziemlich alle Oberflächenreizthemen der letzten Zeit zusammenbringt: Öko-Aktivisten, Öko-Terroristen, Atommüllferkel, Russen, die NATO, Estland, Afrika, Söldner, Alt-68er, böse amerikanische Geheimdienste, das Organisierte Verbrechen, alte STASI-Molche, schicke Ärztinnen, manipulierte Regierungen, Psychopathen und alle anderen einschlägigen Lümmel & Strolche mehr, deren lustige Streiche uns hier als „Polit-Thriller“ verkauft werden. Von der Ostsee bis nach Afghanistan. Irgendwie dreht sich letztendlich alles darum, dass irgendwer gedungen wurde, um vermutlich Osama bin Laden umzulegen oder auch eben nicht. Man weiß es nicht genau und man will es auch nicht wissen, wenn man sich durch solche Sätze gekämpft hat: „Der eisige Blick durch die Brille des Ministerpräsidenten brachte den erregten Minister zum Schweigen“. Eben!
Ilkka Remes: Ein Schlag ins Herz (Isku Ytimeen, 2010). Roman. Deutsch von Stefan Moster. München: dtv Premium 2011. 463 Seiten. 14,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.
Witz im Kaff
(JF) Hammerloh, ein 100-Seelen-Kaff in der Lüneburger Heide, in das sich höchstens gelegentlich Tagestouristen verirren, wird zum Schauplatz eines mysteriösen Verbrechens. In einer Hütte im Wald liegt ein toter Mann, neben ihm ein neugeborenes Kind. Die Mutter ist verschwunden. Unterstützt von einem ortskundigen Kollegen ermitteln Kommissarin Wiese und Kommissar Küchenmeister. Dabei stoßen sie nicht nur auf das Gerücht von einem geheimnisvollen, während des Zweiten Weltkriegs vergrabenen Schatzes, sondern auch auf einen ungelösten Mordfall, der sich vor 35 Jahren in Hammerloh ereignet hat.
Aus solchen Versatzstücken ließe sich problemlos ein unterdurchschnittlicher Regionalkrimi zusammenbasteln, doch einem alten Hasen des Genres wie Norbert Klugmann liefern sie den Stoff für ein wunderbares Verwirrstückchen. Fünf Tage dauern die Ermittlungen, in deren Verlauf immer mal wieder neue Varianten einer Lösung des Falles angeboten werden, von denen jede so schlüssig ist wie die, mit der sich wackeren Kriminalisten am sechsten Tag zufrieden geben. Das Personal würde für mindestens fünf „Polizeiruf 110“-Drehbücher reichen, vom ehemaligen Topjournalisten, der eine seltsame Wohngemeinschaft in einem ehemaligen Gasthof betreibt, über dessen Sohn, der sich zum Missfallen seines Vaters als Schäfer verdingt, bis zu einem fanatischen Sammler von Opel-Oldtimern. Und nicht zu vergessen die alte Hebamme, die erheblich mehr weiß, als sie den Polizisten mitzuteilen bereit ist.
Virtuos jongliert Klugmann mit den Klischees des Provinzkrimis und zeigt dabei einen trockenen Sprachwitz, wie man ihn in der zeitgenössischen Spannungsprosa viel zu selten antrifft. Einen attraktiveren Titel allerdings hätte dieses literarische Vexierspiel schon verdient, auch wenn man die provinzpsychologisch wichtige Rolle der Legende von der „hölzernen Hedwig“ nicht unterschätzen darf. Aber nicht nur deshalb sollte man das Buch lesen.
Norbert Klugmann: Die hölzerne Hedwig. Kriminalroman. 292 Seiten. Lüneburg: Zu Klampen 2011. 12,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch
Beklemmend
(TW) Wenn der Begriff „Volksschriftsteller“ irgendwo sinnvoll ist, dann bei John Grisham. Sein neuer Roman, „Das Geständnis“, der im Original viel treffender „Confession“, also Beichte oder Bekenntnis heißt, ist ein sehr populär gemachtes Pamphlet gegen die Todesstrafe und erst recht gegen den Umgang damit in US-Staaten wie Texas.
Ästhetisch feinmotorige Prosa darf man bei Grisham erwarten, richtig schlechte liefert er nicht. Seine Figuren sind Funktionen und Typen: Der zu Unrecht in der Todeszelle sitzende, sympathische, schwarze junge Mann, der widerwärtige Mörder, dessen „Geständnis“ das Todesurteil gegen den falschen Täter als noch grotesker erscheinen lässt, als eh schon ist; der milde, gute Richter, der karrieristische Staatsanwalt, der korrupte Bulle, die beinharten Fundamentalisten, die Hinrichtungen toll finden, der wackere Provinzanwalt, der aus lauter Idealismus säuft, aber nie aufgibt … usw. Wir kennen sie alle aus Grishams Universum und wir mögen und wir hassen sie.
Wie amerikanisch Grisham wirklich ist, zeigt sich daran, dass er zwei dezidiert christliche Positionen gegeneinander antreten lässt: Die alttestamentarische Auge-um-Auge-Position, die Blut sehen will, vor allem von Schwarzen und von allem, was nicht in die Wertewelt der moral majority passt – und eine neutestamentarische Position, für die hier ein aufgeklärter idealistischer Pfarrer steht, der um den Aufschub einer ungerechten Hinrichtung kämpft.
Grisham macht keinen Hehl daraus, welcher Seite er zugeneigt ist. Bei aller schlichten Strickweise gelingt es ihm, den Mechanismus einer Hinrichtung, die eiskalten Rituale, Abläufe, Prozeduren und den ganzen inhumanen Irrwitz so präzise zu schildern, dass man durchaus Beklemmungen bekommen kann. Und dass er alle Ebenen – die politische, die lokale, die psychologische, kriminologische, juristische und nicht zuletzt die menschliche –, die zu der Geschichte des Mordes an einem weißen jungen Mädchen in einer texanischen Kleinstadt dazugehören, auffächert, gehört ebenfalls bei ihm zum Standard. Den beherrscht er so perfekt, dass selbst das Nicht-Überraschende völlig plausibel und sympathisch rüberkommt. Und: Man ist nach der Lektüre heilfroh, dass man mit diesem Räderwerk einer durchgeknallten Justiz nichts zu tun hat. Kafka lebt heute in den USA.
John Grisham: Das Geständnis (The Confession 2010). Roman. Deutsch von Oliver Neumann. München: Heyne 2011. 528 Seiten. 21,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.