Geschrieben am 29. Oktober 2011 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops

– heute ganz dem deutschsprachigen Kriminalroman zugeneigt, von Thomas Wörtche (TW), Frank Rumpel (rum) und Joachim Feldmann artig angerichtet.

Gewichtig!

(TW) Noch im Zuge der Dürrenmatt-Jubilarien zum 90. Geburtstag gibt es jetzt neben Peter Rüedis Biografie eine Bildbiografie aus dem Hause Diogenes. Cirka sechshundert, zum größten Teil noch unbekannte Fotos und Dokumente bieten einen Thesaurus, in dem nicht nur Dürrenmatt-Fans tagelang wühlen können.

Über die Bedeutung Dürrenmatts für die Literatur des 20. Jahrhunderts müssen wir kein Wort verlieren, die hier versammelten Fotos & Co. sind per se faszinierend genug. Erfreulich Platz gibt der Band dem Abschnitt „Kriminalroman und Film“ – jede Menge Plakate, Film-Stills, Manuskript-Repros, Gruppenbilder (auf meinem Lieblingsfoto von den Dreharbeiten der Maximilian-Schell-Version von „Der Richter und sein Henker“ 1975 grinst Jon Voight wie ein nettes Apfelbäckchenmonster), Plakate, Cover und so weiter, alles, was an Para- und Kontexten das Herz begehrt.

Zwar stimmt es immer noch nicht fröhlich, wenn man im Hinblick auf Dürrenmatts Kriminalromane immer noch die alten Kalauer vom „Durchbrechen der Regeln des Genres“ um die Ohren gehauen bekommt, im Einführungstext von Margaux de Weck und von Dürrenmatt selbst, aber meine Güte ja, vermutlich hat er’s damals geglaubt. Genauso wie sein Statement, er hätte mit Glauser und Simenon nichts am Hut gehabt (man schaue sich aber in Bezug auf Simenon einfach mal das Foto auf S. 239 an – Dürrenmatt in einer Simenon-Inszenierung als Pose mit Pfeife). Wird alles aufgewogen durch den wunderbaren Satz aus den „Theaterproblemen“: „Wie besteht der Künstler in einer Welt der Analphabeten? … Vielleicht am besten, indem er Kriminalromane schreibt, Kunst da tut, wo sie niemand vermutet. Die Literatur muss so leicht werden, dass sie auf der Waage der heutigen Literaturkritik nichts mehr wiegt: Nur so wird sie wieder gewichtig.“ Wo schon klar ist, wo Dürrenmatt die Analphabeten am Werk sieht …

Anyway, wichtiger und schöner Bildband!

Friedrich Dürrenmatt. Sein Leben in Bildern. Herausgegeben von Anna von Planta, Ulrich Weber, Monika Stefanie Boss, Kati Hertzsch, Winfried Stephan, Margaux de Weck. Einleitende Texte von Margaux de Weck. Zürich: Diogenes 2011. 370 Seiten. 49,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Kommissar mit Glaubenskrise

(rum) Die leichten Themen sind es offensichtlich nicht, die Rainer Gross interessieren. Er widmet sich gern und ernsthaft den ganz großen Fragen. In seinem aktuellen Roman „Kettenacker“, der zwar im Hier und Heute spielt und doch Vergangenes verhandelt, spielt einmal Grafeneck eine Rolle. Das ist ein ehemaliges Jagdschloss auf der Schwäbischen Alb nahe Reutlingen, in dem die Nazis 1940 10.654 behinderte Menschen ermordeten. Daneben geht es um schwere Fälle von Missbrauch in der katholischen Kirche. Der ermittelnde Kommissar hadert mit seinem Glauben und der 73-jährige Protagonist hat alle Hände voll zu tun, sein Leben zusammenzuhalten.

Hermann Mauser hieß der Protagonist in Rainer Gross‘ Debütroman „Grafeneck“ und ihn schickt er nun, in seinem dritten Roman, nochmals los. Mauser ist pensionierter Lehrer, leidenschaftlicher Motorradfahrer und Hobbyarchäologe. Bei Kettenacker, einem Dorf auf der Alb (den Ort gibt es zwar wirklich, die beschriebenen Ereignisse aber sind nicht historisch) entdeckt er auf der Suche nach den Resten einer frühkeltischen Siedlung ein Grab samt Kinderskelett. Er meldet den Fund der Polizei, forscht aber auch selbst nach, denn in dem Ort wohnte einst sein Onkel. Dessen Tochter verschwand 1933 spurlos. Doch je tiefer er in dem Fall und seiner eigenen Familiengeschichte gräbt, desto existentieller wird das alles für ihn. Denn seine Schwester Mutz wurde von den Nazis in Grafeneck ermordet, kam aber keineswegs behindert zur Welt, wie er immer gedacht hatte. Vielmehr kehrte sie traumatisiert von einem Besuch bei ihrer Cousine in Kettenacker zurück.

Rainer Gross

Nun wirkt die Ausgangssituation des Romans (Hobbyarchäologe findet Kinderskelett, das sich dann auch noch als die eigene Cousine entpuppt) zunächst einmal reichlich dick aufgetragen, doch walzt Gross das Ganze eben nicht zu einem schnöden Regionalkrimi aus. Dafür sind ihm die Themen, die er  anpackt, zu wichtig. Vielmehr entwickelt er daraus eine packende Kriminalgeschichte, die fest mit einer Landschaft und ihren Menschen verwoben ist. Mit seinen Figuren geht er sehr behutsam um und fängt deren Befindlichkeiten sprachlich subtil ein. Entstanden ist so eine präzise erzählte Geschichte, die sich gleich auf mehreren Ebenen mit dem Erkennen von und dem Umgang mit Schuld beschäftigt, sodass am Ende auch der Polizist mit Glaubenskrise und der mit sich selbst hadernde Protagonist wieder ins Bild passen.

Rainer Gross: Kettenacker. Roman. Bielefeld: Pendragon-Verlag 2011. 366 Seiten. 12,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Haas, bayerischer

(JF) Josef Sandner, Hauptkommissar bei der Münchner Kripo, ist erst 44, wirkt aber in seinem betonten Gegenwartsverdruss erheblich älter. So haben wir unsere Ermittler gern. Von Frau und Tochter verlassen und meistens mies gelaunt. Einzelgänger zwar, aber immer loyaler Freund. Gerne auch mit Kontakten in die Halbwelt. Man wird ja nicht als Beamter geboren. Sandner zum Beispiel hatte eine bewegte Jugend – Rockband inklusive. Heute spielt er meist für sich. Der Mann hat den Blues.

In Roland Krauses Krimidebüt „Der Sandner und die Ringgeister“ steht die Ermittlerfigur im Vordergrund. Die Aufklärung des Falles – in kurzem Abstand sind der Schlagzeuger und der Manager einer Gothic-Band ums Leben gebracht worden – dümpelt dagegen über weite Strecken des Romans vor sich hin, obwohl es der Autor nicht an falschen Fährten und anderen Verwirrungsmanövern fehlen lässt. Und weil er geahnt haben mag, dass sich die rechte Spannung so nicht einstellen will, erzählt Krause seine Geschichte ziemlich gekonnt im Stil eines bajuwarisierten Wolf Haas. Vom direkten Artikel vor den Familiennamen der Protagonisten über die Vorliebe für Ellipsen bis zu den alltagsphilosophischen Betrachtungen über die Fährnisse des Lebens fühlt man sich an die Brenner-Romane des eigenwilligen Österreichers erinnert. Und das darf man getrost als Kompliment auffassen.

Roland Krause: Der Sandner und die Ringgeister. Kriminalroman. 311 Seiten. München: Piper 2011. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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