Geschrieben am 21. April 2012 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops – kurz, blutig und auf den Punkt! Es choppen Kirsten Reimers (KR) Mark Boog, Frank Rumpel (rum) Wolfgang Brenner und Thomas Wörtche (TW) Joe R. Lansdale …

Die Abwesenheit von Leidenschaft

(KR) Ein namenloser Kriminalermittler erhält kurz vor seiner Pensionierung einen alten Fall aufgedrückt. Auf diese Weise soll er aus dem Weg sein und ohne großes Aufheben in den Ruhestand entschwinden, vermutet er. Denn eigentlich ist der Fall schon längst geklärt, wegen eines Verfahrensfehlers kam der Verdächtige zwar wieder frei, doch inzwischen ist er schon seit Jahren tot. Der unauffällige und zurückhaltende Polizist – „Ich habe mich nie gedrückt, aber auch nie verausgabt“, sagt er von sich selbst – ermittelt so erstmals ohne die gewohnte Struktur, ohne Zwang und ohne Druck, und verliert darüber nach und nach den Halt. Er überschreitet Grenzen, beginnt zu ahnen, was Leben bedeutet, und rutscht – nach kurzem Aufblühen – weg.

Dieser Roman ist definitiv kein Krimi. Zwar gibt es den Mord von vor dreißig Jahren, den Ermittler, der ihn wieder aufrollt, und die Andeutung, dass es sich damals tatsächlich vollkommen anders verhielt, als die Kriminalpolizei vermutete. Aber das ist nicht wichtig. Das ist nur der Aufhänger für diese kaleidoskopartige Reflektion über das Verhältnis von Leben und Mord, über Lebendigkeit und die Abwesenheit von Leidenschaft. Die Geschichte ist konsequent nur aus Sicht des ältlichen Polizisten erzählt. Er springt von Thema zu Thema, achtet auf keine Chronologie, spricht mal den Leser, mal seinen Vorgesetzten oder auch jemand völlig Indifferenten an und wechselt das Tempus von Abschnitt zu Abschnitt. Eigentlich soll er einen Bericht für seine Dienststelle schreiben, doch das Ergebnis gleicht weit eher Tagebuchaufzeichnungen ohne zeitliche Verankerung.

Eingehens entschuldigt sich der Erzähler für dieses Vorgehen, sagt, er schriebe einfach alles herunter, wie es ihm einfiele, ohne dies später noch einmal zu korrigieren – aber das ist natürlich nicht der Fall. Der Roman ist äußert bewusst geformt. Es ist die Geschichte einer Grenzüberschreitung und der Auflösung des Ichs. Am Ende ist nicht mehr klar, wo Wahn und Wirklichkeit zu trennen sind, ob sie je zu trennen waren. Boogs namenloser Polizist versucht, sich in den Mörder einzufühlen – so lautet der Originaltitel auch viel treffender „Ik begrijp de moordenaar“, „Ich verstehe den Mörder“ –, der Mörder, der für ihn der einzig vollkommene Mensch ist, und verliert sich darüber selbst. Boogs Roman ist durchaus faszinierend und merkwürdig, sprachlich gut geformt, aber ihm fehlt der Mut zur letzten Konsequenz. Das macht ihn dann im Rückblick leider ein wenig banal.

Mark Boog: Mein letzter Mord (Ik begrijp de moordenaar, 2009). Roman. Deutsch von Matthias Müller. Köln: Dumont 2012. 158 Seiten. 18,99 Euro. Zur Homepage von Mark Boog.

Leise und bösartig

(rum) Brandaktuell ist Wolfgang Brenners Roman über einen deutschen Berufssoldaten, der in Afghanistan stationiert ist und sich mitten im Kriegseinsatz als Problemfall für die Bundeswehr erweist. Er sei zu den Taliban übergelaufen, behauptet die, er habe ein Massaker unter afghanischen Zivilisten angerichtet, ein desertierter Freund.

Aber nicht in Afghanistan, sondern auf Usedom spielt die Geschichte, die der in Berlin und im Hunsrück lebende Autor, Journalist und Filmemacher Wolfgang Brenner da erzählt, und zwar aus Perspektive der daheimgebliebenen Frau Marie und des gemeinsamen Sohnes Felix. Deren Leben gerät aus den Fugen, als ihr ein Hauptmann der Bundeswehr mitteilt, ihr Mann sei bei einem Bombenanschlag in Kundus ums Leben gekommen. Den Leichnam allerdings bekommt sie nie zu Gesicht, und als sie schließlich doch einen Blick in den Sarg wirft, sieht sie, dass nur Sandsäcke beigesetzt werden. Da weiß Marie längst, dass ihr Mann noch am Leben ist. Er hat sie nachts angerufen, gesagt, er werde verfolgt. Gleichzeitig taucht ein Pfarrer bei ihr auf, der behauptet, ein Freund ihres Mannes gewesen zu sein, ein Psychologe der Bundeswehr versucht sie auszuhorchen, in ihrem Telefon findet sie eine Wanze, und sie weiß bald nicht mehr, wem sie noch trauen kann.

Es ist eine knappe, sehr kompakte Geschichte, die Wolfgang Brenner da erzählt, stets dicht an Marie und ihrem Sohn. Spannend ist hier weniger, was denn nun tatsächlich mit ihrem Mann los ist, sondern wie Marie in die Militärmaschinerie gezogen wird und sich innerhalb kurzer Zeit nicht nur mit deren Sicht der Welt, sondern auch mit deren Methoden auseinandersetzen muss. Dabei schildert Brenner die Bundeswehr als eine in ihrem Vorgehen eher linkisch agierende Truppe, die in zivilen Strukturen allenfalls auf Besuch scheint.

Gleichzeitig ist Marie gezwungen, das Verhältnis zu ihrem Mann und dessen Job zu überdenken, schließlich ist der zunächst totgesagt und wieder auferstanden, aber immer noch so weit weg, als gäbe es ihn nicht. Und damit sprudelt auch bisher erfolgreich Verdrängtes an die Oberfläche: Ihr Mann könnte in Kundus Menschen getötet haben und selbst, wenn er zurückkommt, ein anderer sein. Brenner hat einen leisen, subtil erzählten Kriminalroman mit ungewöhnlicher Perspektive und ziemlich bösartigem Plot geschrieben, eine spannende Geschichte über einen Krieg, der eigentlich weit weg sein sollte, es aber partout nicht ist.

Wolfgang Brenner: Alleingang. Roman. Meßkirch: Gmeiner-Verlag, 2012.  270 Seiten. 9,90 Euro.

Für die Jugend geeignet

(TW) Eigentlich bespricht CrimeMag keine Jugendbücher. Aber um Joe R. Lansdales schon sowieso antiquiertes Nebenwerklein „Ein feiner, dunkler Riss“ überhaupt wahrzunehmen – eigentlich nur, weil Lansdale ein sehr geschätzter Autor ist (Rezension „Gauklersommer“) –, bleibt uns nichts anderes übrig. Denn wir wollen nicht glauben, dass ein derart politisch korrektes und didaktisch aufdringliches Buch mit einer derart schlichten Handlung, rührseligen Hundegeschichten und sämtlichen Klischees vom bösen, reichen Mann und vom bösen, armen Mann und von der anständigen armen Familie und von den guten drolligen Schwarzen und den bösen brutalen Schwarzen tatsächlich the state of the art von Lansdales Erzählkunst für erwachsene Leser sein soll.

Das Buch spielt im historischen Universum des Autors, im Osten von Texas, in der Gegend des Sabine River, die wir aus vielen von Lansdales Romanen seit „Die Wälder am Fluss“ kennen; diesmal in den späten 1950ern, als die Welt nur noch für die Leute in Ordnung war, die es nicht anders wussten oder hartnäckig nicht wissen wollten. Rassismus, rigide Sexualmoral, Bigotterie, Willkürherrschaft des lokalen Plutokraten – die ganzen Untugenden und Laster (darunter kein einziges überraschendes) von small-town-America begegnen uns zum xten Mal und der „medienhistorische“ Reflex auf die unterschiedlichen Konzepte von Kino-Palast und Autokino sind zwar hübsch, aber verschenkt.

Denn die detektivischen Abenteuer (ja ja, coming of age) des Knaben Stanley, der mit seinen 13 Jahren von Sex bis Crime eine Menge zu entdecken hat, sind extrem bieder und harmlos. Spukt es wirklich im Wald? Wer hat Frauen und Tagelöhner umgebracht? Ist S/M krank? Gibt es Lesben? Ach, ja … und alles ist genauso, wie man denkt, dass es ist. Also zunächst mal völlig unspannend. Und weil zur Durchsichtigkeit auch noch die Figuren eher Typen aus dem Lehrbuch sind (dicke, nette, schrullige schwarze Mamas etc.) und bis auf die S/M-Frage (ja, die sind krank, zumindest ein bisschen, finden Lansdale und seine Figuren im Mainstream der moral majority) alles arg korrekt ist, ist auch das ganze Buch ein Muster von kleinteiliger, gar penibler Idyllenmalerei. Das ist nett und gut und hübsch, aber auch leider viel zu simpel.

Joe R. Lansdale: Ein feiner, dunkler Riss (A Fine Dark Line, 2003). Roman. Deutsch von Heide Franck. Berlin: Golkonda Verlag  2012. 275 Seiten. 16,90 Euro. Zur Homepage des Autors.

Tags : , ,