Bloody Chops
heute zweimal roh, einmal mild: Kirsten Reimers (KR) über Belinda Bauer: „Der Beschützer“, Thomas Wörtche (TW) über Clément Baloup/Eddy Vaccaro/Robert Louis Stevenson: “Der Selbstmörderclub“, und Frank Rumpel (rum) über Markku Ropponen: „Tote Finnen tanzen keinen Tango“.
Gefühliger Psychoquark
(KR) Schockstarre in Shipcott, einem kleinen Dörfchen in der englischen Grafschaft Somerset: Ein brutaler Mörder geht um. Er hat sich auf hilflose Personen spezialisiert, die er zunehmend bestialischer abschlachtet, und hinterlässt hämische Botschaften. Und das Schrecklichste: Es muss einer aus dem Örtchen sein – „Einer von uns!!“ –, denn Shipcott ist wegen starken Schneefalls von der Außenwelt abgeschnitten.
Klingt wie aus dem Setzkasten für Whodunits mit Serienkilleranteilen, nicht wahr? Aber nicht nur der Plot ist abgedroschen (natürlich ist die unverdächtigste Person der Mörder), auch die Figurenkonstellationen wirken wie von der Stange: Da ist zum Beispiel der herzensgute, hilfsbereite und verantwortungsbewusste Dorfpolizist – natürlich intelligent und clever, dazu ein hingebungsvoller Ehemann, der seine vielversprechende Karriere bei einer Eliteeinheit der Polizei geopfert hat, um seine todkranke Frau zu pflegen –, und ausgerechnet dieser grundgute Mensch wird von den arroganten Stadtcops (die gerade noch rechtzeitig vor dem großen Schnee eingetroffen sind) unterschätzt und ganz, ganz gemein schikaniert. Dorf vs. Stadt, gewissenhaft vs. karrieregeil, liebevoll vs. selbstbezogen. Ganz fürchterlich ist, dass der Dorfpolizist lieber auf seine Gefühle hört, statt auf Verstand zu setzen: Er schließt Verdächtige aus, weil er spürt, dass sie es nicht waren. So sieht verantwortungsvolle Polizeiarbeit aus.
Zwei der Stadtcops sind allerdings gut gelungen: DCI Marvel ist ein überhebliches, versoffenes Arschloch, das die Taten auf Biegen und Brechen dem erstbesten Verdächtigen anhängen will; und sein DS ist ein hinterhältiger Kriecher, der Beweise gegen seinen Chef sammelt, um dessen Posten zu ergattern. Schön ist, dass die Charakterisierung nicht durch Zuschreibungen erfolgt, sondern darüber, wie andere auf die Figuren reagieren und wie die Figuren sich selbst und ihre Mitwelt sehen. Dank konsequent durchgehaltener Perspektivwechsel setzt sich so erst nach und nach ein vollständiges Bild der Personen zusammen, die zugleich als unzuverlässige Beobachter entlarvt werden.
Doch diese netten beiden Unsympathen können leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rest großer Mist ist: belanglos, hanebüchen, überkonstruiert und mit dem üblichen Zutaten Kindesmissbrauch und unverdaute Traumata zu einem albernen Psychoquark vermengt.
Belinda Bauer: Der Beschützer (Darkside, 2011). Deutsch von Marie-Luise Bezzenberger. München: Manhattan 2012. 383 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage von Kirsten Reimers.
Wirr
(TW) So kann´s gehen – Comics heißen heute aus distinktionsgewinnlerischen Gründen graphic novels und dann wird aus einer etwas längeren Story, einer novelette, wie der Engländer sagt, gerne mal auf Deutsch ein Roman. So steht es auf jeden Fall auf dem Cover der Comic-Adaption von Robert Louis Stevensons Erzählung „Der Selbstmörderclub“, die Clément Baloup (Text) und Eddy Vaccaro (Bilder) veranstaltet haben. Der durchaus kompliziert gebaute Text von Stevenson ist allerdings beim besten Willen kein Roman, sondern ein Baustein seiner Sammlung „New Arabian Nights“ von 1882, die, wenn man so will, zu den Gründungsdokumenten der Kriminalliteratur, verstanden als Vertextungsvariante der Poesie der Urbanen, gehört. Die Comic-Adaption, die dem zeitgeistigen Konzept der „Klassiker-als-Comics“ (äääh, als graphic novelette, neeee, als graphic novel) folgt, funktioniert hier gar nicht.
Das liegt nicht nur an den Bildern, die zwischen albern-karikaturhaft und „realistisch“ hin und her schwanken, mal mit Proportionsverzerrungen spielen, manchmal mit ungewöhnlichen „Einstellungen“ und manchmal auch nicht, aber nie irgendwelche Stragien erkennbar sinnhaft einsetzen; es liegt auch an der misslungenen Verfugung der disparaten Elemente von Stevensons Text, die man eben nicht aufs reine Narrativ reduzieren kann. Wie gesagt, „Der Selbstmörderclub“ mit seinen Elementen von décadence und Satire, von Action und Moral, von den beiden Stadtlandschaften London und Paris ( a tale of two cities, sozusagen) und zwei verknüpften Handlungssträngen – von all dem bleibt im Comic eine reichlich wirre, vermutlich ohne Kenntnis der Vorlage kaum verständliche Abenteuer-Schote übrig. Komplexionsreduktion ist dem Falle Simplifikation, die auch durch eine besonders gelungene Bildästhetik nicht egalisiert wird und schon gar nicht ästhetische Autonomie über den Text gewinnt. So schlicht war Stevenson nun wirklich nicht. Au contraire.
Clément Baloup/Eddy Vaccaro/Robert Louis Stevenson: Der Selbstmörderclub (Le Club du Suicide, 2011). Graphic Novel. Deutsch von Tanja Krämling. Bielefeld: Splitter Verlag 2012. 94 Seiten. 19,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Freundlicher Zynismus
(rum) Der zu sachter Melancholie neigende Privatdetektiv Otto Kuhala, der da im südfinnischen Städtchen Jyväskylä ermittelt, soll im Auftrag eines betuchten Rechtsanwalts nach dessen verschwundener, zu gelegentlicher Untreue neigender Frau suchen. Und auch von einem Kriminalhauptmeister fehlt jede Spur. Hier ist Kuhala im Auftrag der Ehefrau unterwegs, die vermutet, ihr Mann sei in illegale Geschäfte verwickelt. In beiden Fällen ist Kuhala es, der die Leichen der Verschwundenen findet und bei seinen weiteren Nachforschungen unter anderem an eine ungemütliche Rockerbande gerät, nur knapp einer Bombenexplosion entgeht und sonst ziemlich viel auf den Seen um Jyväskylä herum paddelt.
Der finnische Autor Markku Ropponen, der in den vergangenen zehn Jahren zehn Kuhala-Romane veröffentlichte, ist ein sehr entspannter Erzähler, in diesem, dem dritten auf Deutsch vorliegenden Band, vielleicht eine Spur zu entspannt, denn die Geschichte plätschert dahin und kommt bei weitem nicht an jene des Vorgängerromans („Ein beschissenes Sortiment an Schwierigkeiten“) heran. Das wirkt hier alles wenig zwingend und zu routiniert. Aber selbst ein mittelmäßiger Ropponen bietet immer noch reichlich hell leuchtende Momente. Denn der Mann kann einfach schreiben, hat Sinn für die Nuancen und seine Sätze sind durchdrungen von einem ungemein freundlichen Zynismus. Der schlägt sich auch in etlichen wunderbaren Bildern nieder. Da mustert etwa einer Kuhala, „als hätte der ihm Milzbrand als Gastgeschenk mitgebracht“ und an anderer Stelle erinnert Kuhala selbst „an einen Kosmonauten, der mit nur einem Bremsfallschirm in der Steppe aufgeprallt war.“
Ropponens Figuren sind eigenwillig, verschroben und doch mutet es etwas seltsam an, wenn sein deutscher Verlag ihn nun – Cover und frei erfundener Titel lassen darauf schließen – in die halbgare Komikerecke schiebt. Denn sein Blick auf die finnische Gesellschaft ist, bei aller Liebe, zu erfrischend absurden Details und Situationen, stets präzise, seine Kriminalromane sind handfest und sein Humor ist nie schrill, sondern staubtrocken und leise.
Markku Ropponen: Tote Finnen tanzen keinen Tango. Roman. (Original: Linnut vaikenevat, Kuhala. Helsinki: Tammi, 2005). Deutsch von Stefan Moster. München, Piper-Verlag 2012. 352 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.