Geschrieben am 24. November 2012 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops


Bloody Chops – kurz, knapp, erhellend: Heute choppen Senta Wagner (SW) Amaryllis Sommerer und Joachim Feldmann (JF) Jim Thompson und Simone Buchholz.

Voll daneben

(JF) Hochintelligent, belesen, amoralisch, misogyn und voller Wut: Der 18-jährige Allen Smith ist eine bemerkenswerte Erscheinung. Jim Thompson, der wegen anderer Romane zu Recht Klassikerstatus genießt, hat ihn um 1970 herum erfunden, um den offenen und versteckten Rassismus der amerikanischen Gesellschaft satirisch bloßzustellen. Smith ist eine reine Kunstfigur. Als Sohn einer weißen Luxusprostituierten und eines schwarzen Vaters, den er nie kennengelernt hat, gehört er nirgendwo dazu. Diesen Mangel kompensiert er durch ein unschlagbares Talent zur Manipulation. Seine Opfer sind alle, ihn selbst eingeschlossen. Denn wirkliche Befriedigung verschaffen ihm seine bösartigen Tricksereien nicht.

Jim Thompsons letzter Roman wirkt streckenweise wie die Versuchsanordnung eines diabolischen Sozialwissenschaftlers, und hätte er sich an dieses Erzählmodell gehalten, wäre vielleicht ein zwar bizarres, aber mit Gewinn zu lesendes Buch herausgekommen. Doch das hatte der Autor offenbar nicht im Sinn. Stattdessen kommt „Blind vor Wut“ als eine unausgegorene Mischung von Gewalt, Pornographie und Vulgärpsychoanalyse daher.  Besonders peinlich wird es, wenn nicht mehr Smith selbst, sondern sein Psychiater und eines seiner Opfer die Rolle des Erzählers übernehmen. Das taugt dann nicht einmal mehr zur Parodie, sondern tut nur noch weh. Vor allem denjenigen Lesern, die Thompsons große Noir-Romane schätzen und nun erkennen müssen, dass der Meister am Ende seiner Schriftstellerkarriere beim sauren Kitsch gelandet ist.

Jim Thompson: Blind vor Wut. Roman (Child of Rage. 1972, Erstveröffentlichung USA 2008). Deutsch von Peter Torberg. München: Heyne 2012. 365 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Bei den Monstern im Unterhaltungsfernsehen

(SW) Privater geht es nicht. Der jüngste Roman von Amaryllis Sommerer camoufliert sich mit seiner blutrünstigen Buchhülle und seinem Vorsatz als Terminkalender von Ulrich, den er den Lesenden quasi als Einsicht in sein berufliches wie intimstes Leben hinterlässt. Denn Ulrich ist abwesender anwesender Protagonist: „Erschlagen, zu Tode geprügelt. Verblutet. Kein schöner Tod.“ Er stirbt bereits auf Seite zwei und bleibt indirekt gegenwärtig in den übrigen sechs Figuren.  Erzählt wird sowohl deren eigene jämmerliche Geschichte als auch jene, die von „Ulrichs Tod handelt“. Ein bisschen Agatha Christie, am Schluss sind alle schuldig.

Es herrscht Showtime, und es geht rund – wir sind beim Unterhaltungsfernsehen, beim quotenträchtigen Format Familienserie. Das bedeutet Fließbandarbeit, Scharmützel und stete Hochform für die Drehbuchautoren, die Staffel für Staffel ihre Bücher raushauen müssen. Klar gehen Drogen hin und her, aufputschende wie abregende, der „Sprit“. Und Teamgeist ist gefragt, besonders jetzt, da der Chefsessel plötzlich leer ist. Auf ihm thronte Ulrich, ein erfolgsverwöhnter und charismatischer Mittfünfziger, der unter seinen Kollegen Neider wie Bewunderer hatte. Mit seinem Tod wird die Serie buchstäblich überschrieben von der hysterischen Story, die die Realität des Romans schreibt. Da können Fernsehhelden einpacken. Die werden einfach in Sendungen rein- oder rausgeschrieben, wie man es eben braucht.

In „Ulrich und seine Täter“ ist die ganze Zukunft der Soap mit einem Mal ungewiss, und es macht sich Panik unter den Autoren breit, die sich um Kopf und Kragen schreiben. Die Gemeinschaft an Profis zerbricht in Gestalten, die ebenso von der nackten Existenzangst, ihren quälenden Erinnerungen an Ulrich wie von der eigenen Hybris angetrieben werden. Cut für Cut für Cut werden so die letzten Stunden von Ulrichs Leben rekonstruiert. Schließlich ist die Autorin, selbst als Drehbuchautorin tätig, auch ein Profi und beherrscht das vorwärtsdrängende (personale) Erzählen in raschen Sequenzen, in deren Fokus jeweils eine der Romanfiguren steht und zerpflückt wird. Sie versteht es mühelos, diese mit ihren eigenen Abgründen zu konfrontieren und die Katastrophe heraufzubeschwören. Das ist Unterhaltungsliteratur über Unterhaltungsfernsehen. Erzählerisch bleibt der Roman dennoch zu wenig akzentuiert, zu sehr im Eindeutigen verhaftet. Formal bewegt die Autorin sich im Drehbuchjargon von Szenebeschreibungen, die Sätze sind häufig stark verknappt oder elliptisch (siehe oben).

Dass Amaryllis Sommerer aus dem Nähkästchen plaudert, ist unverkennbar. Das ganz große Glück für ihre Betriebsgroteske hat es ihr nicht gebracht.

Amaryllis Sommerer: Ulrich und seine Täter. Roman. Wien: Milena Verlag 2012. 205 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Taff und parataktisch

(JF) Knackig parataktisch und ellipsenverliebt kommt Simone Buchholz’ vierter Roman um die Hamburger Staatsanwältin Chas Riley daher. Das klingt authentisch, taff und spontan.  „Oberknurren. Noch ein Rülpsen. Und zack, noch dreimal geschluckt, dann sind die Bierflaschen auch schon leer.“ Man sieht, die Dame hat keine Berührungsängste. Wenn sie fast zu Tode geprügelte Obdachlose findet, ermittelt sie im Milieu, obwohl sie Urlaub hat und es fast schon Weihnachten ist. Das heißt, eigentlich ist Riley ganz froh, etwas zu tun zu haben, denn freie Tage gehen ihr auf die Nerven. Glücklicherweise stellt sich der Fall als kompliziert genug heraus, um sie bis Silvester zu beschäftigen.  Dann ist die Angelegenheit aufgeklärt, aber die Welt beileibe nicht wieder in Ordnung. Wenn sie das jemals war.

Dass „Eisnattern“ als „Hamburg-Krimi“ vermarktet wird, dürfte manchen vermuten lassen, er habe es mit einem der gängigen Produkte aus dem unteren Segment der Spannungsliteratur zu tun. Doch das wäre grundfalsch. St. Pauli dient hier nicht einfach als billige Kulisse mit Wiedererkennungswert, sondern wird zum erzählten Raum. Angesichts solcher Qualitäten verzeiht man der Autorin gerne, dass sie nicht ganz auf – wahrscheinlich dem Gesetz der Serie geschuldete – Soap-Opera-Effekte verzichten mag.

Simone Buchholz: Eisnattern. Ein Hamburg-Krimi. München: Droemer 2012. 220 Seiten. 12,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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