Bloody Chops – am Beilchen heute Anna Veronica Wutschel (WUT) über „Inspector Lewis“, die 5. Staffel; Klaus Kamberger (KK) über Therese Philipsen: „Sündenspiel“ und Joachim Feldmann (JF) über Christopher Brookmyre: „Die hohe Kunst des Bankraubs“.
Pseudo-intellektuell, pseudo-tiefsinnig
(WUT) Knifflig geht’s zu, wenn Inspector Lewis und Sergeant Hathaway gemütlich durch das malerische Oxford spazieren. Und dabei in pseudo-intellektuelle, pseudo-tiefsinnige Plaudereien versunken, über die sich der Zuschauer dezent amüsieren mag, unzählige Morde lösen. Da knobeln Rätselknacker ganz unter sich: Geboten werden fast so viele Tote wie Verdächtige, kompliziert gelegte Spuren und unzählige Motive, die praktisch jeden Beteiligten zum Verdächtigen machen.
„Lewis“, ein Spin-Off der überaus erfolgreichen Inspektor Morse-Serie, ist auch in der fünften Staffel einfach „Lewis“ ‒ hübsch anzusehen, überaus liebevoll gemacht, aber leider immer gleich. Inspector Lewis (Kevin Whately) grübelt gern über einem Bier, fachsimpelt neckisch mit dem gebildeten Hathaway (Laurence Paul Fox), flirtet auf seine eigene etwas befangene Weise mit der flotten Rechtsmedizinerin (Clare Holman) und denkt neuerdings sehr ernsthaft über den Vorruhestand nach. Doch ‒ wie auch immer er sich entscheiden wird ‒ zuvor ruft die Pflicht. Zunächst wird am Frauen-College ermittelt, wo der Haussegen seit Jahren schief hängt, denn Offene Wunden wollen hier in enorm absurder Verstrickung einfach nicht heilen. In der zweiten Folge wird an einem reaktionär religiösen College in ähnlichem Sinne, Im Zeichen der Rache nämlich, weiter gemordet, denn selbst unter den Gott Wohlgefälligen finden sich die übelsten Gedanken und Taten. In der Episode Die Todesdroge muss der Zuschauer bald am freundlichen Wesen des Psychiaters Alex Gansa zweifeln, vor allem, da dem Arzt unzählige Frauen verfallen sind, was zu vielerlei Komplikationen nicht nur in seinem Leben führt. In Mörderisches Verhängnis, der finalen Folge der fünften Staffel, begibt man sich in das undurchschaubare Zwielicht von Geheimdiensten, fiebriger Leidenschaft und Hochbegabung. Ein weites Feld also.
Der Taktgeber pendelt sich durch alle vier Episoden zwischen einem angenehm unaufgeregten Adagio und einem eindämmernden Larghissimo ein. Der Zuschauer schwelgt derweil in schönen Bildern, zwischen schönen Leichen und geschnörkelten Geschichten. Und wagt sich der Krimi als Genre zuweilen sogar in wildes, offenes Terrain, um sich mit der Realität herumzuschlagen, bleibt „Lewis“ ‒ wie eingangs bereits erwähnt ‒ einfach „Lewis ‒ Der Oxford Krimi“, wo man in feinster englischer Gediegenheit durch prachtvolle, altehrwürdige Harmonien lustwandelt.
Lewis – Der Oxford Krimi. Staffel 5. 4 DVDs. Studio: Edel Motion. Laufzeit: 360 Min. Darsteller: Kevin Whately, Laurence Fox, Clare Holman u. a. Erscheinungstermin: 2013. Produktionsjahr: 2011. Sprache: Deutsch, Englisch. FSK: 12. Preis: 32,99 Euro.
Dranpappen
(KK) Kommt da noch mal was Neues? Gar mancher Zeitgenosse murmelt ja nicht nur hinter vorgehaltener Hand von dräuender Verstopfungsgefahr, wenn die Rede aufs Angebot aus der skandinavischen Küche kommt. Immer die gleichen Zutaten und Würznoten: seelisch Monströses, menschliche Abgründe, soziale Verwerfungen und vor allem Düsternis, überall Düsternis.
Trotzdem darf man ja immer mal wieder hoffen. Also haben wir diesmal ein dänisches Menü gewählt. Vor zwei Jahren hat Therese Philipsen mit „Blutschande“ bei uns ihr Debüt gegeben, und dabei sind kundige Kritiker gleich auf Spuren gestoßen, die etwa ein gewisser Stieg Larsson (mit seiner, pardon, doch reichlich aufgedunsenen und, mit Verlaub, allzu überschätzten Trilogie) bei ihr hinterlassen haben soll: Bei Philipsens Ermittlerduo soll da der weibliche Part angeblich an Lisbeth Salander (und deren Vorbild Pippi Langstrumpf) erinnern. Na, na, das scheint denn doch ein wenig zu hoch oder zumindest an den falschen Garderobehaken gehängt … Am Ende bleiben nämlich diese Liv Moretti und ihr Kompagnon Per Roland als eher farblose Figuren im Philipsen’schen Figureneinerlei stecken. Und den Sog, den ein Larsson trotz manchmal ermüdender Längen in seinen Romanen erzeugen konnte, bleibt uns Philipsen komplett schuldig.
Dafür trifft man in „Sündenspiel“ durchaus auf einen Plot, der aktuell genug ist, „zeitnahes“ (Srebrenica-Massaker) Interesse zu erwecken, und verdreht genug, dass man merkt, wie viel Mühe die Autorin wiederum darauf verwenden musste, um immerhin 400 Seiten voll zu kriegen. Und damit sich ihr Roman am Ende doch ein wenig vom Schweden-Krimimuster abhebt, pappt sie zuletzt noch geschwind, nachdem erst einmal die Zerstückelung und Abhäutung nebst Skalpierung einer bosnischen Albino-Leiche auf Dänemarks Grund und Boden abzuhandeln war, ein kleines Seitenstrang-Happyend für einen Überlebenden des rituellen Schlachtens an.
Wie man hört, plant Therese Philipsen eine sage und schreibe zehnbändige Moretti-Roland-Saga. Bis sie damit allerdings wirklich zum vielleicht „neuen Star des Skandinavien-Krimis“ (Focus online) reüssiert, wird wohl noch viel Wasser durch die Ostsee bei Sønderborg strömen müssen.
Therese Philipsen: Sündenspiel
(Fortidens Synder, 2011). Roman. Aus dem Dänischen von Daniela Stilzebach und Günther Frauenlob. München: Goldmann 2013. 412 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Verschenkt
(JF) Samstagvormittag in Glasgow. Kassiererin Michelle Jackson hat einen schweren Kater. Dass ihre Bausparkassenfiliale ausgerechnet geöffnet haben muss, wenn andere Zeitgenossen das Wochenende genießen, trägt ebenso wenig zur Linderung ihrer fulminanten Kopfschmerzen bei wie das ohrenbetäubende Spektakel draußen vor der Tür. Verursacher sind fünf Clowns, die sich rhythmisch zu den Klängen eines überdimensionalen Ghettoblasters bewegen. Das übliche Straßentheater also. Man ist genervt, aber denkt an nichts Böses, auch dann nicht, als die Burschen in den lustigen Kostümen plötzlich in der Schalterhalle auftauchen. Was sich allerdings blitzartig ändert, als einer der Clowns eine Maschinenpistole zückt. Doch schon bald verwandelt sich der Überfall in eine künstlerische Performance. Den Geiseln wird einiges geboten – vom lustigen Bilderraten bis zu einer Aufführung von Becketts „Warten auf Godot“. Um Bankräuber scheint es sich aber dennoch zu handelt, am Ende der Vorstellung verschwinden mit den Artisten 800.000 Pfund aus dem Tresor der Filiale. Wer nun vermutet, dass ein Täuschungsmanöver dieses Kalibers nur mithilfe eines Zaubertricks gelingen konnte, liegt nicht ganz falsch.
Mehr soll hier nicht verraten werden. Schließlich kann der schottische Autor Christopher Brookmyre mit Recht stolz auf den ingeniösen Plot seines Romans „Die hohe Kunst des Bankraubs“ sein. Gangsterklamotte, Künstlersatire, Polizeithriller, Love Story – mit erkennbarem Vergnügen plündert Brookmyre einen ganzen Fundus an Genrekonventionen. Heraus kommt ein sehr unterhaltsames Stück Spannungsliteratur, das noch an Fahrt zulegen könnte, würde der Autor seltener der Versuchung erliegen, erklärend in die Handlung einzugreifen. So fragt man sich nicht nur einmal wehmütig, was Autoren wie Elmore Leonard oder Donald E. Westlake aus diesem großartigen Stoff gemacht hätten.
Christopher Brookmyre: Die hohe Kunst des Bankraubs
(The Sacred Art of Stealing. 2003). Roman. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. 381 Seiten. Berlin: Galiani 2013. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor.