Geschrieben am 1. Februar 2014 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

beil12

Bloody Chops – schnell, schmerzhaft, au point. Heute liegen bei Joachim Feldmann (JF) auf dem Hackklotz: Dirk van Versendaals „Die Engel warten nicht“, Ludwig Homanns „Jung Siegfried“ und „Attack. Unsichtbarer Feind“ von Preston & Child.

Die Engel warten nicht von Dirk van VersendaalDer gute, alte MacGuffin

(JF) Dass der gute alte MacGuffin noch immer etwas taugt, um einen Plot in Gang zu halten, zeigt der Journalist Dirk van Versendaal in seinem beeindruckenden Krimidebüt „Die Engel warten nicht“. Das Objekt der Begierde ist eine Metallkiste, gefüllt mit wundersamer Elektronik, die in einem SUV der Luxusklasse versteckt ist. Natürlich ahnt Kleinganove Knut Giovanni Myrbäck nichts von diesem Schatz, als er den Wagen im Auftrag klaut und, weil ihn sein Komplize Jan Holzapfel versetzt hat, aus purer Ratlosigkeit in einem Parkhaus deponiert. In welch misslicher Lage er nun steckt, wird dem armen Kerl allerdings erst richtig bewusst, als ihm zwei finstere Gestalten auflauern, denen er nur mit Mühe entkommen kann. Doch das ist erst der Anfang.

Rasch wechselt die Handlung von Hamburg nach Schweden, um dort so richtig Fahrt aufzunehmen. Myrbäck flieht in eine Kleinstadt nahe Stockholm, um bei seiner alten Flamme Heidi, der Schwester seines unzuverlässigen Kumpans Holzapfel, Unterschlupf zu finden. Der ist natürlich schon da. Bei Heidi wohnt auch Sassie Linné, die nach einer Verurteilung wegen Drogenbesitz eine elektronische Fußfessel tragen muss. Die junge Frau ist seit einer traumatischen Kindheit in der Kopenhagener Hippiekommune Christiana ziemlich von der Rolle, was ihrer erotischen Anziehungskraft auf die beiden Kleingauner keinen Abbruch tut.

Dirk van Versendaal (© Martin Kunze)

Dirk van Versendaal (© Martin Kunze)

Außer diesem seltsamen Quartett spielen, von zahlreichen gut besetzten Nebenrollen abgesehen, mit: ein verzweifelter deutscher Geheimdienstmann, drei Agenten im eigenen Auftrag und ein paar wenig zimperliche heimische Gangster. Überschattet wird das furios inszenierte, zwischen makabrer Komik und echtem Drama changierende Geschehen von Sassies Vergangenheit, die mithilfe zahlreicher Rückblenden immer präsent bleibt und für einen eigenen kleinen Roman taugen würde. Sie ist die tragische Heldin in einem pikaresken Rüpelspiel.

Und man liest und staunt, wie van Versendaal all diese scheinbar disparaten Handlungselemente mit leichter Hand zu einem beachtlichen Stück Spannungsliteratur arrangiert. Respekt!

Dirk van Versendaal: Die Engel warten nicht. Kriminalroman. München: btb 2014. 508 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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jung-siegfriedDer Streifen-Käfer

(JF) „Welcher Autor demontiert schon gerne seine zentralen Figuren und begnügt sich mit negativen statt positiven Helden“, fragte Jochen Schmidt im dem kritischen police procedural gewidmeten Kapitel seiner Typengeschichte des Kriminalromans. („Gangster, Opfer, Detektive“, Ullstein 1989). Es hatte nämlich ziemlich lange gedauert, bis sich im Genre die Erkenntnis durchsetzte, dass die „Polizei im täglichen Leben den gesetzestreuen Bürger nicht nur schützt“. Erst in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts tauchten vermehrt staatliche Ermittler mit nicht ganz sauberer Weste in Romanen (Joseph Wambaugh) und Fernsehen („The Sweeney“ dt. „Die Füchse“ ab 1975) auf. Doch es sollte noch etliche Jahre dauern, bis ein schwer korrupter Bulle wie Vic Mackey („The Shield“) als Held einer Krimiserie für tauglich erachtet wurde.

Nun ist „Jung Siegfried“, das neue Buch des westfälischen Schriftstellers Ludwig Homann, obwohl es den Untertitel „Ein Polizeiroman“ trägt, auf den ersten Blick weit entfernt von solch actionreichen Kunstprodukten. Es führt uns zurück in die Polizisten noch im VW Käfer Streife fuhren und der „Schutzmann“ sich des allgemeinen Respekts der Bevölkerung sicher sein konnte. Was allerdings die Demontage seiner Hauptfigur angeht, so steht dieser Roman avancierten Erzeugnissen des Genres in nichts nach. Eigentlich ist der junge Beamte Ruprecht Adolphi ein Paragraphenreiter, der seine persönliche Unsicherheit dadurch wettzumachen versucht, dass er sich peinlich genau an die Dienstvorschriften hält. Dass ausgerechnet dieser schwache Mensch durch Zufall zum Helden wird, ist die bittere Ironie des Romans. Adolphi scheitert an der ihm zugedachten Rolle. Teils angespornt, teils weiter verunsichert durch seinen plötzlichen Ruhm verbeißt er sich in die Verfolgung eines dubiosen örtlichen Familienunternehmens und steuert geradewegs auf die Katastrophe zu.

Ludwig Homann schildert den Fall Adolphi in deprimierende Sachlichkeit. Dabei kommt er seinem wenig sympathischen Helden erheblich näher als uns Lesern lieb ist. Und genau hier liegt die Kunst dieses großen Erzählers, der, trotz des beachtlichen kritischen Echos, das seinen früheren Büchern („Engelchen“, 1994, und vor allem „Der weiße Jude“, 1998) beschieden war, beinahe in Vergessenheit geraten ist. Zu Unrecht, wie dieser „Beinahe-Krimi“, der manchem genuinen Genreprodukt an Spannung weit überlegen ist, deutlich zeigt.

Ludwig Homann: Jung Siegfried. Ein Polizeiroman. Bielefeld. Aisthesis Verlag 2013. 204 Seiten, 14,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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Preston_Child_AttackWas frisst?

(JF) FBI-Spezialagent Aloysius Pendergast ist ein Mann, dessen Ausstrahlung man sich nur schwer entziehen kann. Das spürt Jenny – eine bedauernswerte junge Frau, deren Leben nur wenig später auf grausame Weise beendet werden wird – schon bei der ersten (und aus genannten Gründen einzigen) Begegnung: „Er verströmte eine Aura, die sie innehalten ließ. Lag es an seinen wie gemeißelt wirkenden alabasterfarbenen Gesichtszügen? Oder an seinem Haar, so blond, dass es fast weiß war? Oder an seinen Augen von einem solchen blassen Blau, dass er, selbst quer durch den Raum, fast wie ein Außerirdischer wirkte?“

Freunde des erlesenen Kitsches kommen also auch auf ihre Kosten im mittlerweile dreizehnten Abenteuer, das sich die amerikanischen Autoren Douglas Preston und Lincoln Child für ihren Superhelden ausgedacht haben, einem Schmöker, der sich wieder einmal ungeniert im reichen Fundus der Kolportageliteratur bedient.

Skrupellose Geschäftsleute halten das Städtchen Roaring Fork in den Bergen Colorados seit 150 Jahren im Klammergriff. Einst profitierten sie von den reichlich vorhandenen Bodenschätzen und heute von exorbitanten Immobilienpreisen. Wo nämlich im 19. Jahrhundert unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen Silber abgebaut wurde, trifft sich nun der Geldadel zur Skifreizeit.

Als die Forensik-Studentin Corrie Swanson im Rahmen eines Forschungsprojekts herausfindet, dass Bergarbeiter, die angeblich vor mehr als einhundert Jahren einem menschenfressenden Grizzlybär zum Opfer gefallen sind, offenbar von ihren eigenen Artgenossen ums Leben gebracht wurden, reagiert man ausgesprochen ungehalten und sperrt die aufmüpfige junge Frau kurzerhand ein. Bevor ihr jedoch der Prozess gemacht werden kann, ist Pendergast zur Stelle. Schließlich gilt es außerdem, einen mutmaßlich wahnsinnigen Mörder zur Strecke zu bringen. Im Zuge seiner Nachforschungen fördert der hochbegabte Exzentriker auch noch eine verschollene (selbstredend fiktive) Sherlock-Holmes-Geschichte zutage, die sich bei der Lösung des Falles als ausgesprochen hilfreich erweist.

Eine Mischung bewährter Zutaten also, die sich als sehr unterhaltsam erweist und, obwohl durchgängig ironiefrei vorgetragen, auf keinen Fall ernst genommen werden darf.

Preston & Child: Attack. Unsichtbarer Feind. Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast. Thriller (White Fire. 2013). Aus dem Amerikanischen von Michael Benthack. 480 Seiten. München. Droemer 2013. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autorenduo.

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