Geschrieben am 26. April 2014 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – bone crushing good …
Es choppen Joachim Feldmann (JF) Paul Finchs „Mädchenjäger“, Rainer Wittkamps „Kalter Hund“ und Jonathan Coes „Liebesgrüße aus Brüssel“; Stefan Linster (SL) Andrea Camilleris „Der Tanz der Möwe“ und Alf Mayer (AM) Toby Barlows „Baba Jaga“.

Paul_Finch_MädchenjägerDas Böse ist arg organisiert

(JF) Glauben Sie auch, dass das Böse in der Welt gut organisiert ist? Und finden Sie die Vorstellung, dass ein Polizist, einzig unterstützt von einer ehemaligen Soldatin, in der Lage ist, der geballten Macht des Verbrechens erfolgreich die Stirn zu bieten, spannend? Dann sollten Sie sich unbedingt „Mädchenjäger“ zulegen, das Thrillerdebüt des englischen Autors Paul Finch, der bislang vor allem durch Horrorromane aufgefallen ist.

Achtunddreißig Frauen verschwinden ohne Spur und ohne erkennbares Motiv. Doch Mark Heckenburg, Spitzenkriminalist beim Dezernat für Serienverbrecher, meint einen Zusammenhang erkannt zu haben. Dummerweise steht er mit dieser Meinung allein in seiner Behörde. Also wird er nach zwei Jahren erfolgloser Ermittlungen in Zwangsurlaub geschickt. Doch Heckenburg, genannt „Heck“, wäre für die ihm zugedachte Heldenrolle völlig ungeeignet, hätte er nicht längst alle relevanten Akten kopiert, um privat weiterzurecherchieren. Ein passender Sidekick steht auch schon parat: Lauren Wraxford, eine kampftrainierte Veteranin des Irakkriegs, ist, auf der Suche nach ihrer verschwundenen Schwester, auf den verbissenen Polizisten gestoßen und lässt sich nicht wieder abschütteln. Die zunächst unerwünschte Verstärkung erweist sich als bitter notwendig, denn das Duo bekommt es mit Geschäftsleuten der übelsten Sorte zu tun, deren Kundschaft sich aus den sogenannten besseren Kreisen der Gesellschaft rekrutiert.

Bestens vernetzt scheinen sie ebenfalls zu sein, es gibt offenbar sogar einen Informanten bei der Polizei. Die Verbrechersuche verläuft aktionsreich. Jede Begegnung mit den Schurken und ihren Helfershelfern gibt Gelegenheit zu handfesten Auseinandersetzungen, in denen es nicht bei blauen Flecken und blutigen Nasen bleibt. Am Ende kommt es zu einem Etappensieg, der natürlich genug Stoff für Fortsetzungen lässt. Weder wird der Maulwurf im eigenen Haus enttarnt, noch lässt sich der überlebende Obergangster Informationen über eventuelle Hintermänner entlocken. Aber so ist das halt mit dem organisierten Bösen. Immerhin sind in England bereits der zweite und der dritte Roman um den störrischen Ermittler auf dem Markt. Und wenn es sich dabei um ähnlich robuste und klischeegesättigte Schmöker wie „Mädchenjäger“ handelt, dürfte ihnen der Erfolg nicht versagt bleiben.

Paul Finch: Mädchenjäger (Stalkers, 2013). Roman. Deutsch von Johannes Sabinski. München: Piper 2014. 422 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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Andrea_Camilleri_Der Tanz der MöveAllzu routiniert?

(SL) Um mit Erfreulichem zu beginnen: Nach einer jahrelangen Durststrecke erinnert Camilleris neuester Band mit Aventüren seines Commissario Montalbano – und zweiter in der Übersetzung des Gespanns Seuß/Kögler – endlich wieder an die amüsanteren Vorgänger. Zumindest sprachlich.
Denn leider, wie soll ich es ausdrücken, konnte mich „Der Tanz der Möwe“, obwohl mir dem Autor gegenüber sicher ein positives Vorurteil nachgesagt werden kann, nicht ganz überzeugen. Was kaum am sinngebenden Einstieg und dem Talent des Autors liegt, der gewiss stets weiß, wovon und über wen er schreibt, und sich erneut eines realen Vorkommnisses aus seiner Heimat bediente.

So beobachtet Montalbano eines Morgens eine aus der Luft förmlich herabstürzende Möwe, die auf dem Strand angelangt einen äußerst merkwürdigen Tanz vollführt und unmittelbar darauf verendet, ein eigenartiges Schauspiel in seinen Augen, hat man doch wohl nie eine Möwe sterben sehen. Als dann auch noch sein alter Freund und Kollege Fazio zunächst verschwindet und man ihn schwer verletzt in der Nähe eines offenbar von der Mafia hingerichteten ehemaligen Tänzers auffindet, ist ihm klar, dass seiner Beobachtung tatsächlich prämonitorische Züge anhafteten.

Allerdings mangelt es der Geschichte in der Folge an Schwung, Montalbanos Gewitzt-, ja Durchtriebenheit bei der Lösung (und im Umgang mit seinen wie eh und je hinderlichen Vorgesetzten) erscheint einem gleichermaßen allzu routiniert wie manche Posse leicht verbraucht und seine kulinarischen Gelage repetitiv. Und wenn auch sein letztlich angewandter Kunstgriff der einzige logische Weg sein dürfte, eine authentisch „sizilianische“ – typisch italienische? – Verwicklung doch aufzuklären und öffentlich zu machen, damit sie nicht wie andere unter dicken Teppichen landet, bleibt am Ende zu wenig Brisanz, etwas zu wenig Fleisch am Knochen dieses fünfzehnten Bands seines Helden. Verständlich vielleicht, auch diese sind manchmal müde und selbst schöpferischen Geistern wird bisweilen die Tinte zäh. Aber es besteht ja Hoffnung, schließlich weilt der alte Grande weiter unter den Lebenden und warten noch einige bereits fertige Bände auf uns.

Andrea Camilleri: Der Tanz der Möwe. Commissario Montalbano erblickt die Wahrheit am Horizont (La danza del gabbiano, 2009). Roman. Aus dem Italienischen von Rita Seuß und Walter Kögler. Köln: Lübbe 2014. 272 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor. 

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image descriptionBurlesk

(JF) Heißt es eigentlich „Unterweltsanwalt“ oder „Unterweltanwalt“? Das WORD-Korrekturprogramm akzeptiert beide Varianten dieser, eifrigen Konsumenten von Kriminalliteratur hinreichend bekannten, Berufsbezeichnung. Rainer Wittkamp jedenfalls hat sich in seinem zweiten Roman „Kalter Hund“ für die Spielart mit dem eingeschobenen Genitiv-S entschieden. Gemeint ist Dr. Baerwald, ein Berliner Winkeladvokat mit ausgefallenem Geschmack. Seinen Klienten allerdings dürfte es egal sein, dass er sich wie „eine Kasperlefigur“, so der mitleidsfreie Erzähler, kleidet. Hauptsache, er hält ihnen die Staatsgewalt vom Leib. Dr. Baerwald ist der Mann, dem dubiose Immobilieninvestoren ebenso vertrauen wie libanesische Großfamilien mit vielfältigen Geschäftsinteressen. Und der Erfolg gibt ihnen Recht.

Männern wie ihm ist es zu verdanken, dass sich Kriminalbeamte wie Martin Nettelbeck an den Misserfolg gewöhnt haben. So ist ein notorischer Vergewaltiger (aber mit besten Verbindungen) noch immer auf freiem Fuß, weil Baerwald den meisten Opfern ihre Bereitschaft auszusagen abkaufen konnte. Bis auf zwei. Doch das nützt wenig, denn der dringend Tatverdächtige ist abgetaucht. Nettelbeck, man kennt den Liebhaber der Jazz-Posaune aus Wittkamps Krimidebüt „Der Schneckenkönig“, gibt dennoch nicht auf. Und tatsächlich gelingt es dem unorthodoxen Ermittler, den Gesuchten aufzuspüren.

Das geschieht allerdings erst, als das furiose Verbrechensspektakel, das Rainer Wittkamp hier anrichtet, seinen Höhepunkt bereits überschritten hat. Gleich mehrere Handlungsstränge müssen geschickt miteinander verknüpft werden, damit es zum finalen Shoot-out auf einem Großmarktgelände kommt. Die undankbarste Rolle übernimmt dabei ein unter erektiler Dysfunktion leidender vormaliger Playboy mit dem schönen Namen Hasso Rohloff, der sich auf wundersame Weise mit dem deutsch-libanesischen Kleinkriminellen Bilal Gösemann angefreundet hat. Außerdem treten auf: eine kluge junge Frau und ihre nicht ganz so schlauen Brüder, ein alternder Familienpatriarch, ein tumber Bräutigam in spe, zwei holländische Blumenlieferanten und eine tote deutsche Dogge.

Die Liste muss notgedrungen unvollständig bleiben, sollte aber genügen, um Neugier auf diese rasant erzählte Kriminalburleske, die nie zur bloßen Alberei gerät, zu wecken. Setzte „Der Schneckenkönig“ noch auf die klassische – mit Psycho-Elementen angereicherte – Mördersuche, wagt sich Rainer Wittkamp mit seinem neuen Roman auf ein Terrain, auf dem sich bislang erfolgreich amerikanische Autoren wie Carl Hiaasen oder James W. Hall tummeln. Dass er die Konkurrenz nicht scheuen müsste, wäre zu viel gesagt. Ein vielversprechender Anfang ist „Kalter Hund“ aber allemal.

Rainer Wittkamp: Kalter Hund. Roman. Dortmund: Grafit 2014. 251 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors. 

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Toby_Barlow_Baba JagaDie CIA war auch schon besser

(AM) Die Amerikaner und Paris. Eine Liebesgeschichte der besonderen Art. Toby Barlow, Creative Direktor einer Werbeagentur in Detroit, bereichert sie um einen 580-seitigen Roman, der zumindest als Briefbeschwerer taugt. Eigentlich war ich für Barlow eingenommen, der 2008 das sehr sonderbare „Sharp Teeth“ vorgelegt hatte, eine vom Mondlicht des Planeten Noir angehauchte Werwolf-Geschichte aus East L.A., in der ein Hundefänger sich in eine (manchmal) vierbeinige Schönheit verliebt und das gegen einen bösen Rudelanführer verteidigen muss, der tagsüber als Rechtsanwalt seine Kunden ausweidet. Das Besondere an diesem schrägen Teil: Es war in freiem Vers geschrieben – und das funktionierte.

Nun kommt Barlow mit einem Plot, der die CIA-Unterstützung für liberale Geister und Zeitschriften wie etwa die „Paris Review“ in den 1950ern weiterschreibt. Einer der damaligen CIA-Mitarbeiter war der gerade gestorbene, mit „Killing Mister Watson“ und „In the Spirit of Crazy Horse“ ziemlich unsterblich gewordene Peter Matthiessen, der als Erbe eines großen Vermögens ausschließlich patriotische Gründe hatte, in Paris für die CIA zu arbeiten.
Toby Barlow steigt nicht in solche Realitäten. Sein Ansatz: Auch die US-Werbeagenturen in Paris wurden damals von der CIA unterstützt. (Was sich dazu dann aber erzählerisch findet, lässt die Socken schnarchen.)

Der junge Werbetexter Will verliebt sich in eine russische Hexe namens Zoja, die seit Jahrhunderten nicht altert und reichen Männern das Geld aus der Tasche zieht. Weil sie ihren letzten Liebhaber recht ungeschickt um die Ecke brachte, hat sie nun Kommissar Charles Vidot am Hals – und verwandelt ihn kurzerhand in einen Floh. Fortan muss er sich an den Bauch von Hunden klammern, um quer durch Paris zu kommen. Haha. Zoja muss sich der rachsüchtigen alte Hexe Elga erwehren, eine merkwürdige Apotheke mit allerlei Wirkstoffen spielt eine Rolle, Russen natürlich und ein Jazztrio, bei dessen erstem Auftritt ich ein neues Wort lernte: „Das besmokingte Jazztrio spielte …“ Wie eine Art Chor kommentieren das alles drei alte Hexen in „Hexenliedern“, dies in freiem Vers, ohne dass es der Spannungsfindung dienen würde.

„Mad Men, Bulgakow und James Bond – ein unglaubliches Lesevergnügen!“, schwärmte die Los Angeles Times. Sie müssen dort andere Medikamente genommen haben. Die Werbebranche, eine Hexenfigur der slawischen Mythologie, jene Baba Jaga des Titels, und irgendwie Spione machen zwar eine Art Cocktail, wenn man Schlaftrünke auch darunter subsummieren kann. Das Buch ist innen so Retro wie auf dem Titel. Verschnörkelt und die Puderquaste nie ganz weit. Manche „Dialoge“ bestehen aus mehr als halbseitigen, gegenseitigen Schwurbeleien. „Ich will meinen Speer tief in deine feuchten Blütenblätter stoßen“, lesen Polizisten sich Pornografie vor. Für Kommissar Vidot hatten „die klassischen Kriminalgeschichten um Dupin, Sherlock Holmes und Inspektor Lecoq den Initialfunken zu seiner Berufswahl gegeben“. Wahrscheinlich war dieser altmodische Schmöker verwunschen und lag 70 Jahre auf einem Dachboden, ehe er als Manuskript bei Farrar Straus & Giroux landete, also irgendwie Literatur sein MUSS. Hex hex.

Toby Barlow: Baba Jaga. (Babayaga, 2013) Roman. Deutsch von Gitte und Giovanni Bandini. Hamburg: HoCa/Atlantik 2014. 544 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor. 

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Liebesgruesse aus Bruessel von Jonathan CoeDas Vergnügen an kulturellen Missverständnissen

(JF) Die Pistole auf dem Cover täuscht. In Jonathan Coes historisierendem Roman über die Erlebnisse eines jungen britischen Familienvaters in der belgischen Hauptstadt während der Expo 1958, den der deutsche Verlag in Anspielung an einen damals wie heute populären Agentenreißer „Liebesgrüße aus Brüssel“ betitelt hat, kommt es nicht zu Schießereien. Einen Mord gibt es allerdings, doch der findet nahezu unbemerkt im letzten Drittel des Buches statt und ist ein winziger Beitrag zur Rettung der westlichen Welt. Eigentlich geht es auch weniger um das bunte Treiben britischer, amerikanischer und sowjetischer Geheimdienstler an einem Ort der internationalen Begegnung, wie ihn eine Weltausstellung mitten im Kalten Krieg nun einmal bietet, sondern eher um das Identitätsbewusstsein der Inselbewohner, zu dessen Überprüfung Thomas Foley, Juniortexter im regierungseigenen Zentralen Informationsbüro, auf den fremdartigen Kontinent Europa geschickt wird.

Das heißt, eigentlich ist seine Aufgabe, den Pub, der als Wahrzeichen britischer Kultur auf der Expo aufgebaut wurde, zu beaufsichtigen. Die Sache mit der Identität war wohl eher die Idee des Autors Jonathan Coe, der großes Vergnügen an kulturellen Missverständnissen hat und es bestens versteht, dieses auch seinen Lesern zu vermitteln. Dabei bedient er sich eines ausgesprochen kultivierten Sprachstils, der in der deutschen Übersetzung noch eine Spur altertümlicher wirkt, so dass die Schilderung einer harmlosen (und zudem aufgrund des Status der Partizipierenden als Eheleute geziemenden) Kopulation wie ein Schock daherkommt.

Das Buch endet auf einer melancholischen Note. Sein Brüsseler Abenteuer hat Thomas verändert, doch in seinem Leben in Britannien bleibt es beim Alten. Er lässt sich sogar auf einen Handel mit den beiden Geheimdienstleuten, deren slapstickartige Auftritte zu den komischen Höhepunkten des Romans gehören, ein, um seine Ehe zu retten. Eine Entscheidung, die er später bereuen wird. Leider erfahren wir nicht, welche Art von „Botengängen“ und „Routinejobs“ ihm angetragen werden. Aber wir dürfen uns sicher sein, dass er bei deren Erledigung keine Pistole tragen musste.

Jonathan Coe: Liebesgrüße aus Brüssel (Expo 58. 2013). Roman. Deutsch von Walter Ahlers. München: DVA 2014. 318 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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