Geschrieben am 9. August 2014 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops, bluttropfend, frisch vom Hackklotz. Am Beil heute Joachim Feldmann (JF) und Alf Mayer (AM). Auf dem Klotz: Friedrich Ani: „Unterhaltung“, Torkil Damhaug: „Feuermann“, Joel F. Harrington: „Die Ehre des Scharfrichters“ und Frank Köhnlein: „Vollopfer“.

Friedrich_Ani_UnterhaltungFinstere Komik

(JF) Friedrich Ani, der hochspannende Roman schreiben kann, die eindeutig der Detektivliteratur zuzurechnen sind, obwohl es letztendlich kein Verbrechen aufzuklären gibt, hat mitnichten Angst vor Leichen, im Gegenteil. In seiner Kurzgeschichte „Wo es dem Verbrecher schmeckt“ lässt er, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Handvoll Zeitgenossen, denen ihre bürgerliche Existenz abhandengekommen ist, über die Klinge springen. Andere Erzählungen warten mit bösartigen Auftragskillern, mordlustigen Hotelangestellten und schießwütigen Polizisten auf.

Und weil Ani von ihren Missetaten im sachlichen Ton größter Gelassenheit zu berichten weiß, entsteht eine finstere Komik, die auf seltsame Weise der unendlichen Melancholie der „Süden“-Romane verwandt scheint. Der ehemalige Kriminalbeamte und jetzige Privatdetektiv Tabor Süden findet verschwundene Menschen auch gegen ihren Willen wieder, aber er zwingt sie zu nichts. Auch davon kann man in einigen der Geschichten lesen, die unter dem Titel „Unterhaltung“ nun in einem Sammelband erschienen sind. Es lohnt sich.

Friedrich Ani: Unterhaltung. Geschichten. München: Droemer 2014. 315 Seiten. 18,00 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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Torkil_Damhaug_FeuermannWespennest

(JF) Oslo im April 2011. Die Studentin Synne Clausen arbeitet an ihrem zweiten Buch. Ungefähr ein Jahr ist es her, dass ein renommierter Verlag auf ihre unverlangte Manuskriptsendung nahezu enthusiastisch reagiert hat. Auch das Feuilleton fand Gefallen an ihrem literarischen Debüt, was die junge Autorin noch mehr verblüffte. Eigentlich schreibt sie, um sich selbst Klarheit über ihre Biografie zu verschaffen. Denn da ist so manches, das sie nicht versteht. Und das könnte mit ihrem älteren Bruder Carsten zusammenhängen, der exakt acht Jahre zuvor spurlos verschwunden ist. Synne beginnt nachzuforschen und stößt dabei auf ein Wespennest.

Das Sprachklischee sei gestattet, da wir es mit einem Thriller zu tun haben, und in diesem Genre hat die intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit in der Regel Effekte, für die das Bild eines stechfreudigen Insektenschwarms durchaus angemessen erscheint. Der Leser könnte übrigens an diesem Punkt der Romanhandlung einige Fragen der Jungautorin durchaus beantworten. Schließlich ist ihm auf den vorhergehenden 300 Seiten recht drastisch vor Augen geführt worden, was Carsten im April 2003 widerfahren ist, auch wenn er natürlich nicht weiß, wer den 18-Jährigen auf dem Gewissen hat. War es Shahzad Chadar, Spross einer pakistanischen Einwandererfamilie, der den unerwünschten Verehrer seiner Schwester aus dem Weg geräumt hat? Oder einer der militanten Neo-Nazis, mit denen Carsten durch den charismatischen Junglehrer Adrian in Kontakt gekommen ist? Könnte es vielleicht sogar der mörderische Brandstifter sein, der damals sein Unwesen trieb? Durch Zufall ist Carsten dem gefährlichen Psychopathen, dessen Identität zu diesem Zeitpunkt für den Leser kein Geheimnis mehr ist, auf die Spur gekommen.

Wie all diese Handlungsfäden zusammenhängen, das erzählt der norwegische Autor Torkil Damhaug in seinem Roman „Feuermann“ auf packende Weise. Zudem gelingt ihm ein überzeugend gestaltetes Bild einer Gesellschaft, der ihr innerer Zusammenhalt und ihre Prinzipien abhanden zu kommen scheinen. Dass das mit dem wichtigsten norwegischen Krimipreis ausgezeichnete Buch im Oktober 2011, nur wenige Monate nach den verheerenden Anschlägen des Massenmörders und selbsternannten „Tempelritters“ Anders Behring Breivik, erschien, ist symptomatisch. Ein wirklich politischer Roman wird „Feuermann“ dadurch noch nicht, denn die Konventionen des Genres fordern auch bei der Gestaltung von Überraschungseffekten ihren Tribut. Aber immerhin ist das Buch ein erfreulicher Beleg dafür, dass psychologische Thriller sich nicht notwendigerweise in blutrünstigem Eskapismus erschöpfen müssen.

Torkil Damhaug: Feuermann (Ildmannen. 2011). Roman. Aus dem Norwegischen von Knut Krüger. 635 Seiten. München: Knaur Taschenbuch 2014. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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Joel_F_Harrington_ Die Ehre des ScharfrichtersGeschichtsschreibung, wie man sie sich wünscht

(AM) Gleich der erste Satz transportiert uns in der Präsensform zu einer öffentlichen Hinrichtung am 13. November 1617. Die Freie Reichsstadt Nürnberg ist zu Zeiten Kaiser Ferdinand II. als Bastion von Recht und Ordnung bekannt, hochgehalten wird das mit der schärfsten Klinge der Stadt vom Meister Frantz Lamprecht, dem städtischen Scharfrichter. Ihn rückt uns Autor Joel F. Harrington, Professor für Europäische Geschichte an der Vanderbilt University, mit der Unbekümmertheit unakademisch auftretender amerikanischer Sachbuchautoren sehr nahe. Schnell sind wir quasi per Du mit dem Protagonisten dieses merkwürdigen Ausflugs in die Geschichte unseres Rechtsempfindens, obwohl Harrington nicht davon ablässt, ihn mit Meister zu titulieren – nicht umsonst geht es hier um eine Sache der Ehre. Dies in vielfacher Hinsicht.

Noch während wir uns beklommen anschicken, einem Henker bei der Arbeit zuzusehen, breitet Harrington seine Instrumente aus, erzählt uns, wie er Meister Frantz kennenlernte, wie wenig dessen Tagebuch ein „Ego-Dokument“ und eben deshalb eine zeitgeschichtlich hochinteressante Quelle sei. Die Niederschriften des Scharfrichters – insgesamt sind es 621 Einträge – verknüpft der Forscher mit einer Petition, in der sich der mittlerweile 70 Jahre alte Henker nach 45 Dienstjahren, unzähligen Folterungen von Delinquenten zwecks Verhör und über 400 Hinrichtungen an den Kaiser wandte, um seine und seiner Familie Ehre wieder herstellen zu lassen. Vom Vater in den Beruf gezwungen, hatte er mit seiner Arbeit im Lochgefängnis und auf dem Galgenhof (heute im Bereich des Hauptbahnhofs zu finden) seinen Beitrag zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens geleistet, sogar den eigenen Schwager gefoltert und gerichtet. Jetzt will er samt seiner Nachkommen von dieser Arbeit freigestellt werden und als Arzt und Heiler arbeiten.

„Was habe ich mit dieser Person gemeinsam?“, dies sei seine Hauptfrage während der mehrjährigen Recherchen gewesen, berichtet Harrington. Was er vorlegt ist eine anschaulich plastische Rechts- und Sozialgeschichte, eine Erhellung gesellschaftlicher Zusammenhänge anhand eines individuellen Schicksals.
Harrington lässt sich bis in den Epilog Zeit, ehe er anhand der Rezeptionsgeschichte der Scharfrichternotizen die bis heute vorherrschende „Faszination“ an Wanderhuren und Henkern thematisiert. Schon die Autoren der Romantik machten sich die melodramatische Figur des mittelalterlichen Henkers zur Folie. Ludwig Achim von Armin schrieb den Gebrüdern Grimm begeistert vom „Nürnberger Schinder“, in Clemens Brentanos Novelle „Die Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl“ (1817) tritt ein köpfender „Meister Franz“ auf. Goethe pflegte Freundschaft mit Karl Huss, dem Scharfrichter von Eger. Bram Stoker („Dracula“, 1897) besuchte Nürnberg zweimal und ließ sich die eiserne Jungfrau erklären. Die städtische Foltersammlung machte eine ausgiebige Tour durch England und Amerika. Wohlgemerkt, das war vor SAT 1 und Iny Lorentz.

Joel F. Harrington: Die Ehre des Scharfrichters. Meister Frantz oder ein Henkersleben im 16. Jahrhundert (The Faithful Executioner. Life and Death, Honour and Shame in the Turbulent Sixteenth Century). Deutsch von Norbert Juraschitz. München: Siedler Verlag 2014. 400 Seiten. 24,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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Frank_Köhnlein_VollopferLeichtes Bauchgrimmen

(JF) Die ersten vier Romane um den ehemaligen Polizisten, späteren Versicherungsdetektiv und Privatermittler Brenner, in jährlicher Folge zwischen 1996 und 1999 als Taschenbücher erschienen, haben die österreichische Kriminalliteratur neu definiert. So etwas hatte man vorher noch nicht gelesen. Ihr Verfasser, der ehemalige Werbetexter und studierte Linguist Wolf Haas, verblüffte durch einen ausgesprochen eigenwilligen, am mündlichen Erzählen orientierten Stil, dessen Plauderton nicht selten in krassem Gegensatz zu den geschilderten Verbrechen stand. Unsereiner konnte zunächst nicht genug kriegen von diesen bösen Geschichten, doch dann setzte ein Effekt ein, den man auch verspürt, wenn einen die reine Gier dazu verleitet, ein zweites Stück Sachertorte mit Schlagobers zu bestellen. Glücklicherweise versuchte sich Haas zwischenzeitlich erfolgreich auf literarischen Feldern außerhalb des Kriminellen und so verging immer mehr Zeit, bis ein neuer Brenner erschien. Wenn also am ersten September „Brennerova“ in den Buchhandel kommt, sind es bereits fünf Jahre seit dem Vorgängerband „Brenner und der liebe Gott“. Und viele werden den Termin ungeduldig erwarten.

Wer sich bis dahin nicht gedulden kann, dem sei an dieser Stelle ein passendes Surrogat empfohlen. Frank Köhnlein, ein in Stuttgart geborener und in Basel tätiger Psychiater, hat sich für sein Krimi-Debüt „Vollopfer“ in einem Maße des Haas’schen Stils bemächtigt, dass man beinahe von einer perfekten Stimmenimitation sprechen möchte. Sein Ermittler heißt Hepp, im Brenner-Duktus selbstredend „der Hepp“ und ist Psychiater in einem Wohnheim für schwer gestörte Jugendliche. Als der Heimleiter halbtot und übel verletzt in der Sauna gefunden wird, beginnt er zu ermitteln. Schließlich gilt es, den professionellen Kriminalisten, die den Täter unter den Jugendlichen suchen, zuvorzukommen. Leider löst er den Fall erst, nachdem es zu einem tragischen Todesfall unter den Heimbewohnern gekommen ist, der ursächlich mit dem Mordversuch zusammenhängt.

„Vollopfer“ überzeugt durch einen soliden und spannenden Plot – nebenher erfährt man allerhand aus dem Alltag der Kinder- und Jugendpsychiatrie –, doch die Entscheidung des Autors, sich stilistisch wie erzähltechnisch an Haas zu orientieren, bereitet leichtes Bauchgrimmen, denn dafür ist die Schreibweise des Österreichers doch erheblich zu individuell.

Frank Köhnlein: Vollopfer. Ein Hepp-Roman. 190 Seiten. Gockhausen: Wörterseh Verlag 2013. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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