Bloody Chops – unparteisch, gerecht, blutig
Heute am Beil Frank Göhre (fg), Joachim Feldmann (JF) und Alf Mayer (AM). Unterm Beil die Anthologie „Sexy. Hölle. Hellweg“ herausgegeben von HP Karr, Herbert Knorr & Sigrun Krauß; Michal Viewegh „Die Mafia in Prag“ und Henriette Clara Herborn „Schmerz“.
Hölle
(fg) Ein angeblicher Psychopath spaziert mit einem „Lederhose und Stiefel“-Mädel durch die Nacht: „Ihr zutrauliches Pfötchen mit den schwarzen Krallen in meiner Linken. Mit Sex hatte das wenig zu tun.“ – Wohl wahr. Auch nicht an Sex denken, ist alles andere als sexy, obwohl der Titel des Buchs das verspricht. Es sind 21 Geschichten mit so anmachenden Headlines wie „Ahlener Feuchtgebiete“ und „Hagens älteste Lustgrotte“.
Da wird ein Russe geschlachtet, weil der deutsche Puff „ein sauberer, bodenständiger Puff von Soesterinnen für Soester“ bleiben soll. Da ist jemand „in, an oder auf der Wiebke“. Da „war das Loch feucht und pulsierte“ – doch ach, diesmal ist es nur der Geysirbrunnen einer bildenden Künstlerin. Und doppeldeutig bumst und rumst es weiter. Auf Biertischniveau, eine Zote nach der anderen. Sexy? „Mit düsterem Blick schob Droege die Wurst in den Mund“ und „Wolf rutschte das Herz in die Hose und pumpte unter Hochleistung – und ganz ohne chemische Hilfe – den kleinen Kollegen auf.“ Nein, das alles und noch viel mehr ist nicht sexy. Lediglich das zweite Titelwort wird eingelöst: Hölle. Es ist eine 311 Seiten Hölle, in der es nur ein-zweimal einigermaßen originell zur Sache geht. Ansonsten präsentiert sich dumpfer Dilettantismus, reaktionär mitunter, und klischeehaft bis hin zum „Sperma, Wasser und Perlmant-Cidre“-Kotzen in die Palmendeko. Aber so ist es gedacht und gewollt und geschrieben. Und so endet dann auch diese Textzusammenstellung mit einem trotzigen „Jawoll!“
HP Karr, Herbert Knorr & Sigrun Krauß (Hg.): Sexy, Hölle. Hellweg. Mord am Hellweg VII. Kriminalstories. Dortmund: Grafit Verlag. 314 Seiten. 11,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Moralischer Sarkasmus
(JF) Lange lebte Darek Balik wie die sprichwörtliche Made im Speck. Ob legal, halblegal oder illegal: Als gewiefter Lobbyist hatte er seine Finger in vielen profitablen Geschäften. In der Wahl seiner Partner war er nicht wählerisch. Balik unterhielt beste Beziehungen zu korrupten Politikern, Wirtschaftsmagnaten und den Vertretern des regionalen und internationalen organisierten Verbrechens. Und eben diese Vielseitigkeit wurde ihm zum Verhängnis. Noch befindet er sich als Kronzeuge unter Polizeischutz. Doch das wird bald ein Ende haben, davon ist er überzeugt. Schließlich zittern auch ranghohe Mitglieder der Regierung davor, dass er seine berüchtigte Kiste mit eindeutigem Material der Öffentlichkeit zugänglich machen könnte.
Und so kommt es auch. Auf Weisung des Innenministers wird der Zeugenschutz beendet und Dark Balik ist praktisch vogelfrei. Aber noch gibt es im post-sozialistischen Tschechien aufrechte Polizisten und wackere Journalisten, die der Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption noch nicht zermürbt hat.
Mit jener gehörigen Portion Sarkasmus, die den wahren Moralisten auszeichnet, widmet sich der Prager Schriftsteller Michal Viewegh in seinem Krimidebüt den politischen Zuständen in seinem Heimatland. Dabei ist er, wie man an den Skandalen der vergangenen Jahre sehen kann, beängstigend nah an der Realität. Sein Stil verrät amerikanische Vorbilder, vor allem die einem altgedienten Killer mit dem schönen Namen Schinder gewidmeten Passagen erinnern an Großmeister des lakonischen Erzählens wie Elmore Leonard oder George V. Higgins, auch wenn man hier und da noch manch erläuterndes Wörtchen tilgen könnte.
Seinen positiven Helden gönnt der Autor zumindest die Aussicht auf ein glückliches Ende, seine Perspektive für die tschechische Republik sieht – schließlich ist er Realist – erheblich düsterer aus. Ein paar üble Gangster bringen sich gegenseitig um, einigen besonders dreisten Politikern wird der Knast nicht erspart bleiben, doch im Grunde bleibt alles beim Alten. Es besteht also keine Gefahr, dass Michal Viewegh der Stoff für weitere Romane über Politik und Verbrechen ausgeht.
Michal Viewegh: Die Mafia in Prag (Mafie v Praze. 2011). Roman. Aus dem Tschechischen von Eva Profousova. Wien: Deuticke 2014. 316 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor.
Die Black Dahlia – in Mainz
(AM) Kann das gut gehen? Mainz-Bretzenheim, Wiesbaden-Biebrich und das Rotlichtmilieu von Mainz als Orte, an denen einer der größten Mordfälle der Kriminalgeschichte seine Wiederaufführung, respektive Nachahmung findet? An nichts Geringeres als an den schaurigen Tod von Elizabeth Short im Los Angeles von 1947 wagt sich da eine junge Autorin – wenn man das zu einer 36-Jährigen sagen darf. „Die Schwarze Dahlie“, die einen James Ellroy schon sein Leben lang verfolgt, hat es Henriette Clara Herborn derart angetan, dass sie der Ermordeten gar ihr Buch widmet.
Da zeigt jemand also ganz gut Muckis. In der Tat musste ich einige Male schlucken, wie gleichzeitig respektlos und gekonnt Miss Herborn mit ganzen Legionen von Genremustern spielt und wirbelt. Die Anforderungen an schräges Personal werden mehr als erfüllt. Klar erkennbar, dass die Autorin sich das nicht nur alles am Schreibtisch ausgedacht hat, in diesem prallen Buch steckt viel Vorort-Recherche. Besonders liebevoll, vorurteilsfrei und schnoddrig-lässig wird das Nutten-, Drogen-, Club-, SM- und Nachtmileu der Landeshauptstadt Mainz gezeichnet, ganz so als wäre hier eine alternative Stadtschreiberin in Lohn und Brot. Alle Achtung.
Die Handlung spielt zwischen dem 15. und 27. Januar 2017, also in der Zukunft. Das erlaubt erzählerische Freiheiten und manch bösen Seitenhieb auf Stadtentwicklung und Einkaufscenterwahn. Mainz bleibt aber erkennbar Mainz. Dieser Regionalkrimi ist geerdet. Nächtliches Herumballern mit Schusswaffen auf der Platte inklusive. (Hä? Ist ein Ort im Wald, oben im Taunus, weiß man doch.)
Kriminalhauptkommissar Ernst-August Malminger ist eine etwas tragische Figur. Die Autorin hat ihn mit einem leicht lächerlichen Geltungsdrang ausgestattet, als Fachkraft in Sachen „Schwarze Dahlie“ wurde ihm 2007 den „True Crime Award“ verliehen. Er träumt von noch mehr Ruhm und Zahnsanierung (muss ich da an Willefords Hoke Mosley denken?), einem Personal Trainer, jungen Thailänderinnen und vielleicht sogar einer Haartransplantation. Der Copycat-Fall ist wie auf ihn zugeschnitten – „als Nächstes würde ihm der Täter die Handtasche des Opfers schicken“ – und kommt ihm näher, als ihm lieb ist. In seinem Schatten ermittelt die Halbjapanerin Namiko, die sich als Kriegerin sieht, tätowierte Brüste hat, zur Informationsgewinnung auch mit dem Feind fickt und ihre rote Ducati Diavel gern auf 240 kmh peitscht.
Da wären wir beim Tempo. Das könnte in diesem auch optisch randvoll gefüllten Buch zwischendurch schneller sein, daran gilt es in künftigen Romanen aus diesem wunderbaren Mainzer Milieu etwas mehr zu feilen. Das Ende ist auf Fortsetzung angelegt. Und das ist gut so.
Henriette Clara Herborn: Schmerz. Malmingers letzter Fall. Roman. Ingelheim: Leinpfad Verlag 2014. 356 Seiten. 14,90 Euro. E-Book: 11,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.