Bloody Chops
– Heute angerichtet von Kirsten Reimers (KR), Frank Rumpel (rum) und Joachim Feldmann (JF).
Was bleibt
(KR) Frank Allcroft ist berühmt für seine schlechten Witze. Allabendlich moderiert er bei einem Lokalsender in Birmingham die Nachrichtensendung: ein Mann, der nicht in ein Loch in seinem Garten gefallen ist, landesweite Steak&Kidney-Pie-Wettbewerbe oder das neue Löschauto der Feuerwehr. Die schalen Kalauer, die Frank in seine Überleitungen einbaut, denkt er sich nicht etwa selbst aus, sondern er kauft sie beim ältlichen Witzeautor Cyril – allerdings nicht wegen deren Qualität, sondern weil Cyril schon für Franks Vorgänger und Mentor Phil Smethway geschrieben hat. Frank tut dies aus einem Gefühl der Loyalität heraus, denn das ist einer der Grundzüge Franks: Er fühlt sich verantwortlich, Vergangenes zu bewahren und Erinnerungen wachzuhalten.
Darin unterscheidet er sich grundsätzlich von seinem verstorbenen Vater, einem berühmten Architekten. Der strebte Zeit seines Lebens danach, die Zukunft zu gestalten – so sehr, dass er kaum die Gegenwart wahrnahm. Franks Mutter hingegen hat weder Interesse an der Zukunft, noch kann sie der Gegenwart oder der Vergangenheit etwas abgewinnen. Ganz anders Phil: Bis zu seinem etwas eigenartigen Unfalltod vor sechs Monaten versuchte er stets, sich selbst immer wieder neu zu erfinden und mit der Zeit zu gehen – trotz seines recht hohen Alters.
„Es kann nicht alles weg sein. Irgendwas bleibt immer“
Ganz besonders liegen Frank die einsam Verstorbenen am Herzen: Vor ihren Wohnungen legt er Blumen nieder, oder er besucht ihre Beerdigung. So wird er auch auf Michael Church aufmerksam. Wie sich herausstellt, war Michael ein langjähriger Freund von Phil – was aber schwer vorstellbar scheint: der glamouröse Fernsehmoderator, der im fortgeschrittenen Alter den Sprung ins überregionale Fernsehen schaffte und dort mit über 70 Jahren durch eine Samstagabendshow führte, und der unscheinbare Mann, der allein auf einer Parkbank starb? Frank geht dieser Freundschaft nach und kommt dabei nicht nur hinter das Geheimnis von Phils Tod.
„Der vierte Versuch“ ist kein Krimi, auch wenn er gern so verortet wird. Wie in Catherine O’Flynns wunderbaren Debüt „Was mit Kate geschah“ geht es auch in diesem Roman um das Verschwinden: um das Altern und Erodieren von Menschen, Gebäuden, Städten und Wirtschaftsstrukturen. Mit leiser, aber punktgenauer Ironie, klugem Blick für Zusammenhänge und unsentimentaler Wärme schildert O’Flynn die höchst unterschiedlichen Versuche von Gemeinden und Individuen, irgendwie mit diesem Prozess umzugehen, sich gegen ihn zu wehren und Spuren zu hinterlassen. Herausgekommen ist ein unaufdringlicher und sehr intelligenter Roman über das, was bleibt, wenn etwas verschwindet.
Catherine O’Flynn: Der vierte Versuch (The News Where You Are, 2010). Deutsch von Cornelia Holfelder-von der Tann. Zürich/Hamburg: Arche 2011. 304 Seiten. 19,90 Euro.
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Im Dschungel
(rum) Voriges Jahr veröffentlichte Kein&Aber mit „Schwarze Küsse“ den zweiten Roman des mexikanischen Drehbuchautors Joaquín Guerrero Casasola. Jetzt schiebt dtv sein Debüt mit der Vorgeschichte zu „Schwarze Küsse“ nach. Der Ich-Erzähler Gil Baleares, ein Ex-Polizist und Privatdetektiv „für schwierige Fälle“, spürt in Mexiko-Stadt Entführte auf und kümmert sich nebenher um seinen an Alzheimer erkrankten Vater. Er soll die gekidnappte Tochter eines Bonbonfabrikanten befreien, doch liegt der Fall komplizierter als bei den sonst weit verbreiteten Express-Entführungen, weil einer der Mafia-Clans seine Finger im Spiel zu haben scheint. Guerrero Casasola zeichnet ein grelles, vom Verbrechen durchdrungenes Mexiko-Stadt, dessen Bewohner Tag für Tag im Überlebenskampf sind. Hier gilt nur noch das Gesetz des Dschungels und auch Detektiv Gil Baleares macht reichlich Gebrauch von seiner .45er. Die Geschichte hat Tempo und liest sich durchaus flüssig. Allerdings pflegt der Autor vom Humor bis zur Figurenzeichnung einen etwas bemüht wirkenden derben und auch sprachlich wenig originellen Stil. Entsprechend grobkörnig und absehbar ist diese Geschichte.
Joaquín Guerrero Casasola: Das Gesetz des Stärkeren. (Ley Garrote, 2007). Roman. Aus dem mexikanischen Spanisch von Lutz Kliche. 254 Seiten. Deutscher Taschenbuch Verlag. 9,95 Euro.
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Wien, mal wieder
(FJ) Freunde des Genres, denen die Serienmörderepidemie der letzten Jahre zugesetzt hat, finden in „Ohnmachtsspiele“, dem zweiten Kriminalroman des Österreichers Georg Haderer um den depressiven Major Johannes Schäfer von der Wiener Polizei, ein geradezu wundersames Heilmittel. Der unorthodoxe Kriminalist meint nämlich, Zusammenhänge zwischen einigen mysteriösen Todesfällen entdeckt zu haben und sucht deshalb verbissen nach einem Wahnsinnigen, der seine Mordlust nach dem System eines Kartenspiels befriedigt. Dass es sich bei diesem um ein sogenanntes doppeldeutsches Blatt handelt, das außerhalb des ehemaligen Imperiums der k.u.k. Monarchie nahezu unbekannt ist, dürfte bei nicht österreichischen Lesern für zusätzliche Verwirrung sorgen. Doch je länger man Schäfer bei seinen seltsamen Ermittlungen beobachtet, desto sympathischer wird einem diese Figur. Man leidet mit, wenn ihm uneinsichtige Vorgesetzte auf die Nerven fallen, man möchte ihm Gesellschaft leisten, wenn er einsam vor dem Fernseher hockt und alte Kriminalfilme ansieht, und man versteht sogar, dass er nachts aus irgendeiner Eingebung heraus seinen Kollegen anruft, um mit ihm über die Qualität von Scheibenwischern beim VW Golf zu diskutieren.
Mit so einer Figur hat man nicht alle Tage zu tun, weshalb man auch die hanebüchene Serienmörderstory in Kauf nimmt.
Die Belohung bleibt nicht aus. Am Ende sind tatsächlich alle Fälle gelöst, aber eben ganz anders als Schäfer es sich gedacht hat. Auch der Leser fühlt sich aufs Angenehmste gefoppt. Und freut sich, dass mit Georg Haderer ein weiterer literarischer Spieler von Format im Kriminalgeschäft tätig geworden ist.
Georg Haderer: Ohnmachtspiele. Kriminalroman. Innsbruck-Wien: Haymon 2010. 316 Seiten. 19,90 Euro.
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