Bloody Chops – hack, zack, wusch: „Die Angebetete“ von Jeffery Deaver fällt unter hack bei Joachim Feldmann (JF), der es im Falle von Georg Veits „Bergers Mord“ mit einem anerkennenden „wusch“ gut sein lässt, während es für Karr/Wehners E-Book-Gonzo-Compilation eine freudiges „zack“ setzt. Fröhlich auch Alf Mayer (AM) über „Respekt“ von Vins Gallico und Henrike Heiland (HH) zu John Grishams „Verteidigung“.
Warum?
(JF) Jeffery Deaver ist ein belesener Mann. Ob es um die Geschichte der Country-&-Western-Musik geht, um Copyright-Verletzungen im Internet oder die komplizierte Wissenschaft von der Körpersprache, der amerikanische Bestseller-Autor ist wahrscheinlich in der Lage, zu all diesen interessanten Wissensgebieten spontan Kurzreferate zu halten.
Doch leider führt er dieses Talent auch in seinem neuen Thriller „Die Angebetete“ vor und bringt es so fertig, den etwas wirren Plot um eine populäre Country-Sängerin, die von einem Stalker bedroht wird, auf 570 Seiten auszudehnen. Selbstredend gibt es mehrere Morde, manch falsche Spur und gelegentliche Momente der Überraschung. Da Deaver jedoch konsequent darauf verzichtet zu erzählen, sondern stattdessen lieber berichtet, erläutert und beschreibt, haben wir es mit einem bemerkenswert spannungsfreien Exemplar der Gattung zu tun, dessen bürokratisch-hölzerne Sprache die Lektüre zu einem Geduldsexerzitium werden lässt. Weshalb sich die Bücher dieses Autors weltweit wie geschnittenes Brot verkaufen, wäre eine interessante Forschungsfrage für die empirische Literatursoziologie.
Jeffery Deaver: Die Angebetete
(XO. 2012). Roman. Deutsch von Thomas Haufschild. München: Blanvalet 2013. 573 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Kalabrien und die ’Ndrangheta
(AM) 30 Jahre schon sind sie ein eingespieltes Duo, Rummenigge und Bergomi, zwei Männer fürs Grobe in der kalabrischen Region Reggio. Sie sind ’Ndranghetisti, Fußsoldaten der kalabrischen Mafia. Als Schutzgeldeintreiber hatten sie angefangen, zu ihrem Namen waren sie 1982 gekommen, als die „Gazzetta dello Sport“ zum Endspiel der Fußball-WM in Spanien ein Foto veröffentlichte, wie der achtzehnjährige Bergomi hinter Rummenigge herrannte. Irgendjemand aus der ’Ndrina war die Ähnlichkeit aufgefallen, und so hatte man sie nach den beiden Fußballspielern benannt. Selbst ihre Schutzbefohlen pflegten zu sagen: „Diesen Monat haben sich Bergomi und Rummenigge noch nicht blicken lassen.“
Mitte der 80er stiegen sie, mittlerweile Compari d’Anello, auf. Ihr Don vertraute ihnen verantwortungsvollere Aufgaben an: eine Warnung per Autobombe, erste Erschießungen vom Motorrad aus, erste zu verschwindende Leichen. Aber wie die CHiPs, die beiden Motorradbullen der California Highway Patrol aus der Fernsehserie (von 1977 bis 1983 in 139 Episoden und sechs Staffeln produziert), hatten sie vergessen, was eine Beförderung ist. Dem Meldeamt waren sie als Alessio Caridi und Domenico Quattrone bekannt, der Letztere hatte ein loses Mundwerk, während Caridi sich umso pflichtbewusster an die Regeln und Hierarchien hielt und dabei „deutscher als ein Deutscher“ war.
Das alles erfahren wir von ihnen auf den Seiten 14 und 15, zuvor haben wir erlebt, wie zwei junge Fußballspieler brutal erschlagen wurden und wie Rummenigge und Bergomi einen Hund in den Wald hetzten, dem sie einen in Benzin getauchten und in Brand gesetzten Fetzen Stoff an den Schwanz gebunden hatten.
Kalabrien und die ’Ndrangheta, glorios ist die Mafia dort nicht, aber tief verwurzelt. Geradezu schichtweise entblättert der 1978 in der Provinz Reggio Calabria geborene Vins Gallo die spezifischen Strukturen des organisierten Verbrechens. Er gibt uns dafür die Parallelhandlungen der Insider Rummenigge & Bergomi und die Außensicht der jungen Sportjournalistin Tina Romeo, die – von Reportage hat sie noch keine Ahnung – über die beiden Toten für das Lokalblatt „Quotidiano“ berichten soll.
„Respekt“ (Portami Respeto im Original, also: Zeig mir Respekt) ist ein Erstlingsroman, eine Art Widerstandsleistung gegen die Verhältnisse, wie auch die Widmung klar macht: „Für Romana und Nino, die mir beigebracht haben, mich zu wehren.“ Manche Begegnungen, Konflikte und Figuren wirken ein wenig geschnitzt, andere dafür umso überzeugender. Schön sind die immer wieder im Text belassenen und sich aus dem Zusammenhang erklärenden italienischen Wendungen und Flüche, „Pezzu i fangu, ’nfami“, zum Beispiel.
Der geradezu süditalienisch-leidenschaftlichen Empfehlung von Christian Koch kann ich mich anschließen. Respekt gebührt auch dem Verlag, der Assoziation A, die sich an dieses immerhin 380 Seiten starke Buch gewagt hat, es ist mit Herzblut geschrieben und in ihm pulsiert ganz klar die Liebe zum Genre. Respetto.
Vins Gallico: Respekt. Ein ‚Ndrangheta-Krimi
(Portami Respeto, Mailand 2010). Roman. Deutsch von Max Henninge. Berlin/ Hamburg: Assoziation A 2013. 384 Seiten. Paperback. 14,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Überraschung
(JF) Oldenburg in der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts. Johann Oscar Georg Berger, Hilfsschreiber in der Landesbibliothek, darf man getrost als armen Tropf bezeichnen. Beinahe 47 Jahre ist er nun schon alt, doch weit gebracht hat er es nicht. Seine zahlreiche Kinderschar vermag er nur mit Mühe und Not zu ernähren, Gattin Clara verweigert ihm seit geraumer Zeit die Freuden des Ehelebens, und dass ihm seine subalterne Berufstätigkeit Freude bereiten würde, lässt sich wahrhaftig nicht behaupten.
In diesem Mann gärt etwas, und zwar metaphorisch wie auch ganz real. Von heftigem Bauchgrimmen gequält, hockt er frierend an seinem Schreibtisch und hat Angst. Denn Berger hat sich etwas zu Schulden kommen lassen. Nicht nur einen wertvollen Band, der eigentlich die Bibliotheksbestände bereichern sollte, hat er zum halben Preis dem Gymnasialdirektor a. D. Hagena zukommen lassen – mit dem Geld ließ sich die angespannte finanzielle Situation des Berger’schen Haushalts immer wieder kurzfristig lindern.
Und nun plagen den untreuen Angestellten berechtigte Befürchtungen, dass seine kriminellen Machenschaften bemerkt worden sind. Sollte ihm sein Vorgesetzter, der Oberbibliothekar Dr. Merzdorf, auf die Schliche gekommen sein? Die Anzeichen sind da, allein, Berger ist sich nicht sicher. Doch wenn er ertappt wurde, wäre sein Schicksal besiegelt. Also denkt der Hilfsschreiber an Mord. Das passende Gift liegt auch schon bereit. Jetzt fehlt nur noch die Gelegenheit. Aber auch die ergibt sich …
Georg Veits historische Kriminalgeschichte „Bergers Mord“ hat es in sich. In prachtvoll konstruierten Satzgefügen berichtet ein anonym bleibender, aber immer präsenter Erzähler aus dem Innenleben einer gequälten, aber mit reichlich krimineller Energie ausgestatteten Kreatur, zeichnet minutiös deren verwinkelte Gedankengänge nach und scheut sich nicht, gelegentlich manipulierend in die Handlung einzugreifen. Und all dies, um nachzuweisen, dass der menschliche Überlebensinstinkt, fordert man ihn heraus, sich gegen gesellschaftliche Normen durchzusetzen vermag.
Muss man all das ernst nehmen? Es ist zu befürchten. So unterhaltsam und skurril Georg Veits erzählerisches Kabinettstückchen daherkommt – „Bergers Mord“ ist auch eine Studie über die menschliche Fähigkeit, das eigene Gewissen auf elegante Weise zu betrügen. Wie die Angelegenheit für den armen Hilfsschreiber ausgeht, wird hier nicht verraten. Für Überraschungen, so viel sei gesagt, ist gesorgt.
Georg Veit: Bergers Mord. Eine historische Criminalerzählung. Coesfeld: Elsinor Verlag 2012. 140 Seiten. 12,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Gerichtskomödie
(HH) David Zinc, Harvard-Absolvent, macht einen Haufen Geld in einer Großkanzlei, bekommt dafür aber seine Frau nur noch höchst selten zu Gesicht, was den Plänen, sich um Nachwuchs zu kümmern, deutlich im Wege steht. Überhaupt ist er sehr unglücklich, und eines Morgens bekommt er so etwas wie einen Nervenzusammenbruch: Er verlässt fluchtartig das Büro und lässt sich in der nächsten Bar volllaufen. Auf dem Höhepunkt seines Saufgelages landet er in der auf Verkehrsdelikte spezialisierten Vorstadtkanzlei Finley & Figg, um dort erst einmal alles vollzukotzen und dann bei ihnen anzuheuern.
Obwohl er dort nur einen Bruchteil seines aktuellen Gehalts verdienen wird und die beiden Partner Chaoten höchster Güte sind, bereut er nichts und unterstützt die beiden bei einer ausgesprochen windschiefen Sammelklage gegen einen der größten US-amerikanischen Pharmakonzerne: Ein cholesterinsenkendes Medikament soll zu Herzerkrankungen führen. Doch die Klage, von der sich besonders Juniorpartner Figg ewigen Reichtum verspricht, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, und keiner der drei Anwälte hat auch nur einen blassen Schimmer von Prozessführung vor einem Bundesgericht. Dann engagiert die Beklagte auch noch ausgerechnet Anwälte aus Davids ehemaliger Kanzlei.
Grisham diesmal ohne große Dramatik, dafür mit einer Farce auf das US-amerikanische Rechtssystem und die Mechanismen, die die bekannten Sammelklagen möglich machen. Die komische Überhöhung ist in den Figuren schön angelegt: Der reiche David wechselt die Fronten, um seiner wahren Bestimmung nachzukommen, nämlich gegen die Goliaths dieser Welt zu kämpfen. Der unglücklich verheiratete Finley, der am liebsten seine Ruhe hätte, und der multigeschiedene, schmierige Figg, der von schönen Frauen und viel Geld träumt, stammen fast schon aus der Klamaukkiste, aber Grisham passt gut darauf auf, dass sie nicht zu tief abrutschen und nicht eindimensional bleiben. Genussvoll werden die Absurditäten, die ein solches Klage-Unterfangen haben kann, ausgeschlachtet, und trotz aller Vorhersehbarkeit im Hauptplot und den Nebensträngen ist der Roman tatsächlich nichts anderes als spannend.
John Grisham: Verteidigung (The Litigators, 2011.). Deutsch von Bea Reiter und Imke Walsh-Araya. München: Heyne 2012. 464 Seiten. 22,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Legendär
(JF) Als ich bei einem großen Internet-Versandhaus ein elektronisches Lesegerät erwarb, hatte ich eigentlich nicht im Sinn, Geld für papierlose Bücher auszugeben, sondern beabsichtigte, mich an das reichhaltige Gratisangebot an klassischer Literatur zu halten. Nun verfüge ich über eine reichhaltige digitale Bibliothek und muss in Wartezimmern nicht mehr zu zerlesenen Illustrierten greifen. Stattdessen vertreibe ich mir die Zeit mit Arthurs Conan Doyle, C. K. Chesterton oder Karl Kraus.
Doch kürzlich ließ mich eine verführerische Offerte meinen Vorsatz vergessen. Für den Schnäppchenpreis von nur 2,99 kaufte ich mir eine Sammlung der besten „Gonzo“-Geschichten des legendären Autorenduos Karr und Wehner und habe es nicht bereut. Gonzo, die Älteren unter uns werden sich erinnern, ist der Spitzname des Video-Artisten Heinrich Gonschorek, der sein Geld damit verdient, sensationsgeile Redaktionen mit Bildmaterial von all den Katastrophen zu versorgen, die das Zusammenleben vieler Menschen zwangsläufig mit sich bringt. Ob Verkehrsunfälle oder häusliche Gewalt – Gonzo ist, die Kamera im Anschlag, immer zur Stelle, wenn irgendwo im Ruhrpott Blut fließt. Wofür würde er sonst ständig den Polizeifunk abhören? Dass so ein Knabe auch mit handfesten Verbrechen konfrontiert wird, versteht sich von selbst.
Zwischen 1994 und 1999 erschienen vier Romane um den moralisch zweifelhaften, aber nicht unsympathischen Spezialisten für die Drecksarbeit im Mediendschungel, die zum Besten gehören, was die deutsche Kriminalliteratur in jenen Jahren hervorgebracht hat. Der im Genre so häufig beschworene lakonische Stil – hier gibt es ihn wirklich. Karr & Wehner formulieren in der Regel so knapp und zielsicher, dass es schon störend wirkt, wenn zwischen drei Prädikaten mal ein „und“ das schlichtere Komma ersetzt. Der Beleg dafür findet sich in der Bonusgeschichte dieser digitalen Wundertüte, die sich das Etikett „Satisfaction guaranteed“ redlich verdient hat.
Karr & Wehner: GONZO!
Storys aus dem echten Leben. Autoren Edition 2013. 2,99 Euro. Informationen zum ebook.