Bloody Chops ‒ es chopen heute Sophie Sumburane (SoSu) Åke Edwardsons „Die Rache des Chamäleons“, Alf Mayer Cilla & Rolf Börjlinds „Die Springflut“ und Stefan Linster (SL) Andrea Camilleris „Das Ritual der Rache“.
Vorhersehbar und wirr
(SoSu) Ein skandinavischer Autor, ein skandinavisches Cover, kein skandinavischer Plot. Doch die Eisblumen, die schneebedeckten Zweige und der winterliche See auf dem Buchdeckel lassen trotzdem Edwardsons bekanntes, beliebtes und erfolgreiches Metier erwarten. Genau: Spanien.
Abgesehen von diesem Überraschungseffekt ist die Umsetzung des Plots jedoch eher langweilig. Ein liebender Familienvater mit dunkler Vergangenheit überzeugt seine liebende Ehefrau unter schreiend auffällig gelogenem Vorwand, mit ihm nach Spanien zu reisen (immerhin aus Schweden), um einem alten Freund ein noch offenes Versprechen einzulösen und jemanden, der stört, um die Ecke zu bringen. Rita – die liebende Ehefrau – soll davon natürlich nichts merken, dank der von Genialität weit entfernten Ausreden Peter Mattéus’ klappt das zunächst auch. Aber natürlich nicht lange.
Die Geschichte ist vorhersehbar und trotzdem komplett wirr. Plötzlich auftauchende Figuren, die doch eigentlich an einem anderen Ort sein sollten und die dann eine kuriose Geschichte abhandeln, warum sie nun doch da sind – bevor sie endlich anfangen, wozu sie gekommen sind: erschießen, entführen, quälen, das ganze Repertoire. Doch so richtig kommt es nicht dazu, denn die endlosen Dialoge kosten Zeit und – siehe da – steht doch auf einmal die Polizei auf der Matte.
Der Autor der zehnteiligen Kommissar-Erik-Winter-Reihe versucht in seinem ersten Titel „danach“ etwas neues, fernab vom klassischen Whodunnit. Und der Plot hat Potenzial, geht es doch um ausländische Mitstreiter des ETA, um Terrorismus und Drogengeschäfte. Solides Material für einen guten Polittthriller, auch durch den Aspekt der Rache derer, die inhaftiert wurden, während andere sich verstecken konnten. Oder sie sogar verraten haben. Leider verschenkt Edwardson den vielversprechenden Plot, bleibt zu sehr an der Oberfläche der Konflikte, zeigt sie allenfalls auf, statt sie zu vertiefen.
Dazu kommt die für dieses Buch oft überladene Sprache, die sprachgewaltig sein will, den sowieso schon unorganisierten Handlungsverlauf aber noch zusätzlich streckt. Die Bilder sind symbolisch aufgeladen, häufig mehrdeutig, immer konzentriert und Zeugnis eines poetischen Erzählers. Sie unterstützen hier jedoch vor allem die Irritationen des Geschehens, aber dem leider fehlt die Tiefe.
Åke Edwardson: Die Rache des Chamäleons (Mmöt mig i Estepoa, 2011). Roman. Deutsch von Angelika Kutsch Berlin: Ullstein 2013. 255 Seiten. 19,99 Euro.
Freigeschwommen – mit einer Springflut
(AM) So sehen glückliche Autoren aus, dachte ich mir, als ich das relaxte und ziemlich coole schwedische Autorenpaar Cilla & Rolf Börjlind auf der Buchmesse traf. Auf eine fast verlegen bescheidene Art freuten sie sich über den internationalen Erfolg ihres ersten Romans, den ersten Schritt in eine unabhängige erzählerische Freiheit nach mehr als 20 Fernsehjahren. „Die Springflut“ war schon vor Erscheinen in über 20 Länder verkauft, die ohnehin reisefreudigen Börjlinds werden also auf künftigen Lesereisen noch manch seltsamer Synchronstimme „ihres“ Kommissars Beck begegnen können. Erinnerungen, die beide sofort zum Kichern brachten.
24 TV-Episoden „Kommissar Beck – Die neuen Fälle“, fünf Arne Dahls, sechs Episoden „Morden“, acht Folgen „Graven“, einen Wallander und zwei Dutzend anderer Sachen mehr haben sie für das schwedische Fernsehen geschrieben, haben gehörig Anteil daran, dass Schwedenkrimis auch im Fernsehen Exportgut geworden sind. Nun also ihr erster Roman, fast 600 Seiten, „und die Leser bekommen exakt das, was wir wollten, eins zu eins“, betonen sie. Kein Budget, das es zu beachten galt, keine sonstigen Vorgaben, sie genossen und genießen es, sich selbst völlig freie Hand zu geben. Die Fortsetzung der „Springflut“ wird im Frühjahr 2014 erscheinen: „Die dritte Stimme“.
Cilla & Rolf Börjlind sehen sich ausdrücklich als „politische Autoren“, wie sie mir bekräftigten. „Wir wollen etwas sagen, das ist die Verantwortung, die man hat“, schließlich hätten sie mit ihrem Kommissar Beck das Vermächtnis Maj Sjöwalls und PerWahlöös weitergeführt.
Im Unterschied zu deren Zeiten („Die Tote im Götakanal“ erschien 1965, „Die Terroristen“ 1975) sei das Verbrechen heute globaler und organisierter, „mehr eine Art des Krieges“ geworden. Folgerichtig hat der alte, wieder aufgerollte Mordfall in der „Springflut“ einen in die Wirtschaft führenden Zusammenhang, wird aus der Geschichte eine Bestandsaufnahme der heutigen schwedischen Gesellschaft. Die Börjlinds erzählen schnell und filmisch, sie wissen, wie man Leser im Sessel hält. Immer aber ist es ein Stück mehr als Konfektion, was sie bieten, immer ist es ein Stück mehr als Fernsehen, was und wie sie erzählen. Routine ist da und eigene Herausforderung, interessantes Personal (sie wollten explizit andere Figuren als die ihren aus dem Fernsehen), viel genau Beobachtetes, auch manch schräg aus der Perspektive Gekipptes. Am Ende des Prologs etwa, der die Ermordung einer Frau durch eine Springflut beschreibt, heißt es plötzlich: „Das Letzte, was sie spürte, war ein leichter sanfter Tritt von innen gegen ihre Bauchdecke.“
Ein Ufer, ein Mord, ein Opfer. Darum dreht sich alles. Und eben auch um jenen Tritt. Schwierig, sich den Spoiler zu verkneifen, aber das ist auf Seite 564 eine Volte, der man gewiss nicht jeden Tag begegnet. „Auserzählt“ sind die sich im Zuge der Ermittlungen findenden Personen noch nicht, etwa die Geschichte des in Marseille aufgewachsenen Abbas, des Aussteigers Tom Stilton oder der Polizeischülerin Olivia Rönning. Wenn die größeren Verlage sich von solchem Brot nähren, soll es mir recht sein. Ehrliche Kost.
Cilla & Rolf Börjlind: Die Springflut (Springfloden, 2012). Roman. Deutsch von Paul Berf. München: BTB Verlag 2013. 592 Seiten. 19,99 Euro. Ein Interview finden Sie hier. Mehr zu Rolf Börjlind hier.
Das Gute bleibt
(SL) Zugegeben, man sollte ihn schon mögen den alten Kauz Camilleri und sein sanguinisches Alter Ego Montalbano, das sich in fast zwei Jahrzehnten durch mehr als zwanzig Fälle getrickst, gekämpft, gefuttert und geliebt hat. Denn natürlich tut der Commissario dies auch hier, im 13. Werk der binnen zwanzig Jahren erschienenen 21 Bücher (sieben hiervon harren noch der dt. Übersetzung), in dem es um eine akkurat in dreißig Teile zerhackte Leiche geht, die auf einem „Töpferacker” – so der Originaltitel, welcher im Deutschen gleichfalls recht passend gewesen wäre –, einem Tonhang aufgefunden wird. Montalbano schließt zunächst, auch durch die Assoziation mit dem Roman eines gewissen Andrea Camilleri über die Gestalt des Judas, auf die Hinrichtung eines Verräters seitens der Mafia, wird sich aber rasch bewusst, dass diese bestechende Lösung eben zu platt, eine Finte des wahren Täters zu sein scheint. Als sich dann noch herausstellt, dass eine feurige Schöne südamerikanischer Herkunft und sein Vize und Freund Mimì Augello, der notorische Weiberheld, in die Sache verwickelt ist, wird sein bis dahin eher schlummernder Jagdinstinkt geweckt …
Wer also Camilleri, seinen Kommissar und dessen mäanderende Fälle schätzt, wird im „Ritual“ gewiss nicht enttäuscht. Auch beim zweiten Lesen fand ich demnach Gefallen an den Schrullen, an den Ausgeburten der überschwänglichen Fantasie des Autors und den komödiantischen Kabinettstückchen, etwa einer köstlichen Szene, in der sich Montalbano nolens volens als Monarchist ausgibt. Und bei all der gewitzten Verworrenheit kommt tatsächlich auch Spannung auf, die sich wie in jeder Posse zu guter Letzt löst, wenn die Welt, zumindest der Mikrokosmos von Vigàta durch die Entlarvung der Übeltäter fast wieder in die ursprüngliche Ordnung findet.
Andrea Camilleri: Das Ritual der Rache. Commissario Montalbano vermisst einen guten Freund (Il Campo del Vasaio, 2008). Roman. Deutsch von Moshe Kahn. Köln: Lübbe 2012. 288 Seiten. 19,99 Euro. TB 2014, 8,99 Euro.