Bloody Chops – sprotzzzzzzz’n splatter … Heute choppen Henrike Heiland (HH) P.D. James’ „Der Tod kommt nach Pemberley“, Anna Veronica Wutschel (WUT) Keigo Higashinos „Verdächtige Geliebte“ und Joachim Feldmann (JF) „Kalt geht der Wind“ von Welter/Gantenberg.
Wozu?
(HH) Es gibt ja einen Grund, warum Liebesgeschichten mit der Hochzeit enden. Danach wird’s nämlich arg fad. Das mag im richtigen Leben auch so sein, literarisch jedenfalls teilte P.D. James diese Überzeugung und gab den Protagonisten von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ einen Mordfall zum Rumspielen.
England, 1803. Ein großes Anwesen wie aus einer BBC-Verfilmung. Elizabeth und Mr. Darcy sind also schon ein paar Jahre verheiratet, lieben sich nach wie vor und haben diverse Kinder. Wie es dazu kam, wird von James noch einmal zusammengefasst, und damit auch nichts vergessen wird, kommen zwischendurch immer mal wieder kleine Rückblenden. Man muss also keine Jane-Austen-Leserin sein, um dem Inhalt folgen zu können.
Man muss lediglich sehr viel Geduld haben, auch Einschlafprobleme könnten hilfreich sein, um sich durch diese Geschichte zu beißen. James breitet, stilistisch an das späte 18. Jahrhundert angelehnt, das Tableau sehr weit aus, lässt die Figuren seitenlang monologisieren, macht lahme Verweise auf noch zu erlangende Fortschritte der Kriminaltechnik, lässt kaum eine Möglichkeit aus, die Figuren gesellschaftliche Betrachtungen anstellen zu lassen und über die Moral der Zeit zu sinnieren, schickt auch mal einen netten jungen Mann vor, der sich als früher Feminist geben darf, wiederholt sich, wiederholt sich – und was die Krimihandlung angeht: Die ist recht simpel und nahezu frei von Überraschungen.
Wen das Gewissen zwickt, der benimmt sich schon komisch, indem er herumschleicht und zu unerwarteter Zeit auftaucht, wer auf der Seite der Guten steht, tut dies in leuchtenden Farben. Am Ende dann, sollte man tatsächlich den betulichen Tonfall, die historisiernde Erzählhaltung lange genug durchhalten, am Ende wird dann seitenweise aufgeklärt. Es wird gestanden, erklärt, weitererklärt, noch mehr erklärt, von dieser und jener Seite noch mal Licht auf alles geworfen, es kommen Briefe mit Erklärungen, bis dann endlich, endlich alle nach Hause gehen dürfen und die Welt wieder in Ordnung ist. Die Guten bleiben gut, die Bösen finden gar reumütig ihren Weg ins Licht, und die Darcys, they live happily ever after.
Was hätte man alles daraus machen können. Aber dazu fehlte entweder der Mut oder der Wille, mit den Figuren dorthin zu gehen, wo es weh tut. Anders als Austen ist bei James jeder Dialog, jede Szene komplett ironiefrei, und die vermeintlichen gesellschaftlichen Katastrophen, die sich heute nur noch mit langen Erklärungen nachvollziehen lassen, wirken dadurch wie ein sanftes Kitzeln an der Oberfläche. Bloß nicht zu viel Schmerz. Bloß nicht zu viel Dreck. Aber wozu dann das Ganze?
P.D. James: Der Tod kommt nach Pemberley. (Death Comes to Pemberley, 2012). Deutsch von Michaela Grabinger. München: Droemer 2013. 384 Seiten. 19,99 Euro.
Leidenschaft und Liebe
(WUT) Liebe und Logik sind selten die engsten Verbündeten. Doch wenn die Liebe in Gefahr schwebt, kann die Logik ihr zuweilen vortrefflich Schützenhilfe geben, sodass beide mit den schlimmsten Taten ungeschoren davonkommen könnten. Es sei denn, ihnen stellt sich ein ebenbürtiger Gegner in den Weg.
Der japanische Autor Keigo Higashino erzählt in „Verdächtige Geliebte“, wie die schöne Yasuko Hanaoka ihren sie belästigenden, geldgierigen, brutalen Ex-Mann Shinji Togashi mehr oder weniger im Affekt ermordet. Und wie ihr heimlich in sie verliebter Nachbar Ishigami, der geniale Mathematiker, diese Tat deckt. Dabei geht Ishigami überaus einfallsreich und umsichtig vor, entsorgt die Leiche und versorgt Yasuko und ihre Tochter regelmäßig mit exakten Instruktionen, wie sie sich der Polizei gegenüber verhalten sollen. Und tatsächlich scheinen die beiden ermittelnden Kommissare Yasuko zwar bald für eine Hauptverdächtige zu halten, kommen aber bei ihrer Untersuchung kaum einen Schritt voran.
Higashino, ein in Japan sehr bekannter und erfolgreicher Krimiautor, indes interessiert die Arbeit der Polizei insgesamt wenig, er beschreibt sie als ziellos und unproduktiv, da sie den Taten lediglich folgt. Ein so brillant verschleiertes Verbrechen kann nicht von einer so ineffektiven Organisation wie der Polizei gelöst werden, dazu bedarf es eines kongenialen Gegners. Dieser findet sich fatalerweise in Ishigamis altem Freund, dem Naturwissenschaftler Yukawa. Und Yukawa, der sich als Physiker weitaus mehr auf die Beobachtung und das Experimentieren stützt als der Mathematiker Ishigami, hat alsbald einen entsetzlichen Verdacht.
„Verdächtige Geliebte“ zeichnet ein scharfsinniges Duell zweier Naturwissenschaftler, die mit dem Leben und den Emotionen in Berührung kommen. Zeigt, was passiert, wenn sich die vollkommene Theorie, ungeachtet aller Unbekannten tatsächlich in der Praxis bewähren muss. Dass in diesem Zweikampf der rein rationell kalkulierenden Gehirne die Frau zum Spielball ihrer Logik wird, ist bedauernswert, doch vielleicht sogar beabsichtigt, denn auch der große Retter und Komplize Ishigami könnte auf sehr unterschiedliche Weise für Yasuko zur größten Gefahr werden.
Higashino hat seinen Text klar und zweckdienlich wie ein wissenschaftliches Experiment angelegt und erzählt dabei sehr zurückgenommen, sehr verhalten, dabei zugleich sehr tiefgründig von Leidenschaft und Liebe. „Verdächtige Geliebte“ ist ein cleverer und feiner Roman, der die Eskalation elegant umzukehren weiß.
Keigo Higashino: Verdächtige Geliebte
(Yogisha X no kenshin, 2005). Roman. Deutsch von Ursula Gräfe. Stuttgart: Klett-Cotta 2012. 320 Seiten. 19,95 Euro.
Gehobene Konfektion
(JF) „Kalt geht der Wind“, das Krimidebüt der routinierten Drehbuchautoren Michael Gantenberg und Oliver Welter, zeigt, wie sich aus bewährten, gelegentlich leicht variierten Versatzstücken ein konkurrenzfähiges Produkt herstellen lässt. Sinnvoll ist es allemal, eine Provinzregion als Schauplatz schauriger Verbrechen zu wählen. Warum sollte, was in der Eifel, im Münsterland und im Allgäu zum Alltag zu gehören scheint, nicht auch im Sauerland passieren? Zumal dieser gebirgige Landstrich im Süden Westfalens von einem Menschenschlag bewohnt wird, der als notorisch verschlossen und wortkarg gilt, was polizeiliche Ermittlungsarbeiten zu einer besonderen Herausforderung werden lässt. Nur einmal im Jahr, zum dreitägigen Schützenfest, gerät der Sauerländer außer Rand und Band. Dabei kommt es gewöhnlich zu alkoholinduzierten Exzessen, die nicht immer gut ausgehen.
Für Kommissarin Inka Luhmann, die es aus der Ruhrgebietsmetropole Dortmund an den idyllischen Hennesee verschlagen hat, ist das nicht neu, schließlich ist sie mit einem „Eingeborenen“ verheiratet. Der ist ebenfalls Polizist, versucht sich aber gerade als Hausmann zu etablieren, nicht gerade ein gängiges Familienmodell in der konservativen Region. Dass Luhmann zudem einem männlichen Kollegen die Beförderung vor der Nase weggeschnappt hat, sorgt auch nicht unbedingt für einen herzlichen Empfang an ihrer neuen Arbeitsstelle. Doch die taffe Dame versteht es, sich Respekt zu verschaffen.
Damit hätten wir bereits einige genretypische Handlungsmuster ermittelt, die ein für den weiteren Verlauf des Romans ausgesprochen nützliches Konfliktpotential bilden. Zu heftig dürfen die Auseinandersetzungen aber nicht werden, damit der für die Zielgruppe wichtige Wohlfühlfaktor erhalten bleibt. Schließlich ist der Fall, mit dem sich Inka Luhmann beschäftigen muss, schon gruselig genug. Es geht – wie sollte es anders sein – um bizarre Mordfälle. Eine Leiche fischen Schwarzangler gleich zu Beginn aus dem See, die andere findet sich wenige Tage später. Beiden Opfern wurden Mund, Augen und Ohren zugenäht.
In eigenen, „Sie“ überschriebenen Kapiteln lernen wir schon frühzeitig die Mörderin kennen, deren Motiv sich rasch erahnen lässt. Wer hier auf einen Rachefeldzug tippt, liegt nicht falsch. Inka Luhmann und ihr Team brauchen natürlich ein wenig länger für die Ermittlungen, sonst käme der Roman trotz der ausführlichen und durchaus unterhaltsamen Exkurse in das Privatleben der Kommissarin nur schwerlich auf seine fast 450 Seiten. Wir haben es also mit gehobener Konfektionsware zu tun, die es problemlos mit vergleichbaren Produkten aus Skandinavien aufnehmen kann. Wer die Romane von Viveca Sten oder Liza Marklund schätzt, macht mit dem Erwerb von „Kalt geht der Wind“ nichts falsch.
Welter/Gantenberg: Kalt geht der Wind: Inka Luhmann ermittelt im Sauerland
. Roman. Fischer: Frankfurt am Main 2013. 448 Seiten. 9,99 Euro.