Bloody Chops – schnell, hart und unparteiisch blutig
Heute am Beil Joachim Feldmann (JF) und Alf Mayer (AM) – auf dem Hackklotz: Tana French „Geheimer Ort“, Jesper Stein „Weißglut“, Felix Huby „Heimatjahre“ und Clint Hutzulak „Ein wunderschön tödliches Ende“
Verwirrte Teeanger und ratlose Polizisten
(JF) Ein Jahr ist es her, dass die Leiche des 16-jährigen Chris Harper auf dem Gelände eines traditionsreichen Mädcheninternats in der Nähe Dublins gefunden wurde. Harper war Schüler der benachbarten, ebenso elitären, Bildungsanstalt für Jungen. Damals blieben die polizeilichen Nachforschungen erfolglos, doch nun ist ein neuer Hinweis aufgetaucht, und zwei Ermittler machen sich auf den Weg in ein Milieu, das ihnen ausgesprochen fremd ist. Stephen Moran, 32, hat als Erster aus seiner Familie eine höhere Schule besucht und schon eine kleine Karriere hinter sich. Aber noch ist er nicht zufrieden. Dieser ungelöste Fall könnte für ihn die Beförderung ins Morddezernat bedeuten. Und da will er hin. Nur deshalb tut er sich mit Antoniette Conway zusammen, die die Ermittlungen leitet. Ein Vergnügen ist das nicht, denn die Dame ist ein ziemliches Raubein, die ihrem ehrgeizigen Kollegen schnell klarmacht, dass diese Zusammenarbeit keineswegs den Beginn einer wunderbaren Freundschaft bedeutet.
Auf der anderen Seite stehen zwei Mädchencliquen. Merkwürdige Wesen mitten in der Pubertät. Fast alle aus stinkreichen Elternhäusern. Eine hat allerdings einen Polizisten zum Vater, den ehemaligen verdeckten Ermittler Frank Mackey, mit dem Moran schon einmal zusammengearbeitet hat. So entsteht eine Konstellation, die der Wahrheitsfindung alles andere als zuträglich ist.
Tana Frenchs neuer Roman „Geheimer Ort“ lässt Stephen Moran selbst von all den ermüdenden Verhören erzählen, die endlich ans Licht bringen sollen, was tatsächlich ein Jahr zuvor passiert ist. Ein zweiter Erzählstrang nähert sich der tödlichen Gewalttat aus der Retrospektive. Hier stehen die Mädchen im Mittelpunkt – ihre Träume, Hoffnungen und Ängste. Aber auch Liebe und Hass. Dabei wird ständig kommuniziert, die Smartphones sind im Dauerbetrieb. Das liest sich (gelegentlich bis an die Schmerzgrenze) authentisch. „OmeinGott, ihr vier seid richtig süß“, sagt Joanne mit einem Nasekräuseln, das ihre Augen nicht wärmer macht. „So ganz nach dem Motto Blutsschwestern-erzählen-sich-alles; wie in einer von diesen alten Fernsehserien. Habt ihr eigentlich wirklich diese Blutsschwestern-Nummer gemacht? Weil, das wäre ja mega-niedlich.“
So zicken sie drauflos und sind doch hochempfindlich. Tana French hat ein ausgezeichnetes Gespür für ihre Figuren, seien es verwirrte Teenager oder ratlose Polizisten. Die 700 Seiten dieses bemerkenswerten psychologischen Thrillers sind keine einfache Lektüre. Man sollte auch auf winzige Hinweise achten. Und die Hoffnung, mit der Ermittlung der Täterin würde irgendetwas besser werden, fahren lassen.
Tana French: Geheimer Ort (The Secret Place. 2014). Roman. Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Frankfurt am Main: Scherz 2014. 700 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformation zu Buch und Autor.
Nackte Angst lodert
(JF) Axel Steen ist ein armer Hund. Seit der Vizekriminalkommissar (so einen Rang gibt es offenbar bei der dänischen Polizei) schwer lädiert seinen letzten großen Fall hinter sich gebracht hat, rast er ungebremst auf den Abgrund zu. Seine inneren Dämonen lassen sich auch mit immer mehr Haschisch nicht betäuben, und der lustvolle, aber freudlose Gelegenheitssex mit einer prominenten Journalistin verschafft nur kurzfristig Linderung. Da kommt ihm ein neuer Fall gerade recht. Eine junge Frau ist brutal vergewaltigt worden. DNA-Spuren weisen auf einen Serientäter hin. Auch der unaufgeklärte Mord an der Abiturientin Marie Schmidt, der Steen vier Jahre zuvor völlig aus der Bahn geworfen hat, scheint auf sein Konto zu gehen. Nun beginnen die Ermittlungen von Neuem, instinktgesteuert wie immer, macht sich der verzweifelte Kriminalist an die Arbeit. Schon bald hat er eine Spur und einen mutmaßlichen Täter. Doch der Fall ist noch längst nicht gelöst, zumal sich Steen mit einem neuen Chef herumplagen muss. Und das ist ausgerechnet der Mann, der ihm einst die Frau ausgespannt hat. Jens Jessen, in jeder Hinsicht das Gegenteil des impulsgesteuerten Paranoikers Steen, hat die Aufgabe, den Polizeiapparat zu rationalisieren und auf diesem Wege Kosten einzusparen. Ein klassischer Konflikt also, der in Jesper Steins zweitem Kriminalroman „Weißglut“ auf ungewöhnliche Weise gelöst wird.
Leserinnen und Lesern, denen bei dieser knappen Zusammenfassung eines erheblich komplexeren Inhalts eine Häufung von Sprachklischees aufgefallen sein sollte, bittet der Rezensent um Verzeihung. Es handelt sich um den unheilvollen Einfluss eines Buches, in dem in den Augen eines überführten Täters zunächst Hass aufflammt und dann „nackte Angst“ lodert. Wer sich daran nicht stört und zudem ausführliche Psychogramme literarischer Figuren schätzt, wird diesen Roman mit Gewinn lesen.
Jesper Stein: Weißglut. Ein Fall für Kommissar Steen (Bye Bye Blackbird. 2013). Roman. Aus dem Dänischen von Patrick Zöller. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2015. 411 Seiten. 12,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.
Das Glück beim Händewaschen
(AM) Einer unserer großen Kriminalschriftsteller schreibt einen Heimatroman aus der Nachkriegszeit, 473 Seiten stark. An die Gefühle, die ich 1982 im Kino empfand, in einem lange untergangenen, nie vergessenen Film des Titels „Das Glück beim Händewaschen“ (nach einem Roman des Südtirolers Josef Zoderer), erinnerte ich mich öfter während der Lektüre von Felix Hubys „Heimatjahre“. Es ist ein Dorfroman, spielt im Württembergisch-Schwäbischen, 30 Kilometer vor Stuttgart. Ich muss das als Allgäu-Bayerischer Schwabe so genau und distanziert sagen. Aber sonst diese erste große autobiografische Einlassung Hubys, kurz vor seinem 75. Geburtstag erschienen, eine der wenigen Unternehmungen, sei es in Film oder Literatur, die mir Dorfgeborenem ein „Ja, das stimmt so“ abzuringen vermögen. Glauben Sie mir, ich bin immer auf der Suche nach so etwas. Das ist ein wenig bekannter Kontinent. Weit mehr Leute, als es zugeben, kommen vom Dorf. Aber dorthin zurückzukehren, kurz vor 75, und einen solchen – in so vielen Dingen ebenso genauen und harten wie weichen und verständnisvollen – Roman zu schreiben, das wagen nicht viele.
Felix Huby, ein zum Erschrecken produktiver Mann, immer noch, ein Autor, der sich stets gern zum Gebrauchsschriftsteller tiefstapelte und seinen Figuren wieder und wieder Zucker gab, darin durchaus anerkannten amerikanischen Vielschreibautoren wie Donald E. Westlake, Ed McBain, John D. Macdonald oder Robert B. Parker ähnlich, macht das scheinbar mühelos. Ohne Pathos, ohne Faxen, als wäre nichts dabei. „Heimatjahre“ beginnt mit dem Kriegsende 1945, erzählt von dem jungen Christian Ebinger und den Menschen um ihn herum, streift durch drei Jahrzehnte deutscher Geschichte, erzählt wie ein Dorf und ein Land aus selbst verschuldeten Trümmern etwas Neues aufbauen, mit aller Spieß- und Ängstlichkeit, allem Wagemut. Der Verlag bezeichnet das Buch als „autobiografischen Dorf- und Entwicklungsroman, ganz wie ihn das Leben schreibt: menschenseelenkundig und spannend von der ersten bis zur letzten Seite“, schreibt Huby auf seinem Blog. „Wollen wir mal hoffen, dass der Verlag damit Recht hat.“
Hat er. Das Glück beim Händewaschen, das ist für Hubys Helden, der weiß, dass Schreiben „auf jeden Fall sein Beruf werden wird“, ein unverhofftes Interview mit Louis Armstrong, die Eintrittskarte für ein Volontariat bei der Zeitung, und wie Satchmo bei seinem Konzert quasi nur für ihn spielt: „New Orleans Function“, sein Lieblingsstück, ein Erlebnis, „so unglaublich umwerfend, dass er danach ganz sicher war, das würde er sein Leben lang nie vergessen“.
Felix Huby: Heimatjahre. Roman. Tübingen: Klöpfer und Meyer Verlag 2014. 473 Seiten. 25,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Informationen zum Autor.
Organisch
(JF) Stace hatte sein Leben bereits verpfuscht, bevor er einen Menschen umbrachte. Es ging um Geld oder Drogen, wahrscheinlich um beides. Die Auskünfte des Erzählers sind sparsam. Auch was Stace in der Zeit seit dem Mord getrieben hat, bleibt weitgehend im Dunkeln. Auf jeden Fall ist er nun mit einem gestohlenen Lastwagen unterwegs zu seiner Ex-Frau. Er nennt sie so, obwohl sie nie verheiratet waren. Doch er hat sie geliebt. Das hält ihn aber nicht davon ab, mit deren Freundin die Nacht in einem Motel zu verbringen. Am nächsten Morgen liegt er tot im Badezimmer – zu viele Drogen, zu viel Alkohol. Aber das ist nicht das Ende der Geschichte. Ein Typ Namens Wes taucht auf, der Tanya dabei hilft, die Leiche verschwinden zu lassen. Währenddessen scheint Stace wieder zum Leben erwacht zu sein. Doch es handelt sich nur um seinen Geist, der sich plötzlich in einem Haus wiederfindet, wo Tote auf eine Art von Erlösung warten. Manche von ihnen schon seit Jahrzehnten. Denn zur Ruhe kommen sie nur, wenn ihr Leichnam gefunden und identifiziert wird. Und das kann im Falle von Stace nur seine ehemalige Lebensgefährtin.
Was sich in der Zusammenfassung wie ein seltsamer Mystery-Thriller anhört, ist einer der faszinierendsten Noir-Romane, der in den letzten Jahren auf Deutsch erschienen ist. Das Original publizierte der kanadische Autor Clint Hutzulak bereits 2002. Zehn Jahre soll er an dem Buch gearbeitet haben, und man glaubt es sofort. Die Sprache ist ebenso präzise wie lakonisch, die Atmosphäre großartig gestaltet. Kruder Realismus wechselt mit eindringlichen Traumpassagen, ohne dass die organische Einheit des Erzählens Schaden nähme. Tiefschwarz ist die hier dargestellte Welt, aber vielleicht nicht ganz ohne Hoffnung. Man würde es sich wünschen.
Clint Hutzulak: Ein wunderschön tödliches Ende (The Beautiful Dead End. 2002). Roman. Deutsch von Elvira Bittner. Wien: Septime Verlag 2014. 224 Seiten. 19,40 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.