Bloody Chops
– Heute haben zum Beilchen gegriffen: Joachim Feldmann (JF), Jörg von Bilavsky (JvB), Senta Wagner (SeWa) und Kirsten Reimers (KR)
Gewitzter Erzähler
(JF) – Leicht kann es schiefgehen, wenn ein Hobbykoch und Marathonläufer einen Kriminalroman schreibt, in dem ein Wirtschaftsanwalt, der nebenher in der Küche brilliert, zusammen mit einem dem Langstreckenlauf verfallenen Kommissar einen Mordfall klärt. Glücklicherweise ist der Journalist Jörg Reckmann ein gewitzter Erzähler, der das Rätsel um den Tod eines bemerkenswert unsympathischen Immobilienfritzen auf sehr unterhaltsame Weise aufdröselt. Und die mitgelieferten Rezepte sind auch nicht so übel. Allerdings möchte ich bald mal einen Krimi lesen, in dem ein liebenswerter Baulöwe (Sagt man das heute noch so?) und ein grundsympathischer Speditionsbesitzer in ihrer karg bemessenen Freizeit auf Mördersuche gehen. Und vielleicht auch ein bisschen kochen.
Jörg Reckmann: Bärlinger. Splitt. Frankfurt am Main: Frankfurter Verlagsanstalt. 2010. 317 Seiten. 19,90 Euro.
Das Gähnen nach der letzten Seite
(JvB) – Jaja, es fröstelt einen bei dieser Lektüre. Aber nicht, weil aus Geldgier viele Köpfe gespalten werden. Nein, der kühl kalkulierte Plot in der eiskalten Klischeekulisse schmerzt. Junges abgebranntes Paar nimmt dahinsiechenden Passanten mit auf seinem Trip ins Nirgendwo. Sie geraten in einen Schneesturm, dann in ein Motel mitsamt monströser Mieter und schließlich in mächtige Schwierigkeiten. Alle reißen sich um die zwei Millionen Dollar des scheinbar toten Autostoppers, bis die Schneepflüge den Weg für das junge Glück wieder freimachen und der Winter alle Sorgen und Toten unter sich begräbt. So einfach geht das. Auf die Vorhölle folgt das Gähnen nach der letzten Seite.
John Rector: Frost. Thriller. Deutsch von Katharina Naumann (O: The Cold Kiss, 2010). Reinbek: Rowohlt 2010. 283 Seiten. 8,95 Euro.
Geschmacklos, obszön und komisch
(JF) – Einst betrieb Max Fisher eine Computerfirma in New York und wünschte sich nichts sehnlicher, als seine Frau Deirdre loszuwerden, um seine Geliebte Angela zu heiraten, zumal diese ihm versprochen hatte, ihre ohnehin üppige Oberweite mit Silikon aufzupolstern. Später versuchte er sich mit einigem Erfolg als Crackdealer, während Angela mit einem irischen Serienmörder anbandelte. Nun sitzen beide im Knast, sie auf der griechischen Insel Lesbos und Max im berüchtigten Attica, wo er im wahrsten Sinne des Wortes seinen Arsch retten muss. Und das ist noch nicht einmal die halbe Geschichte.
„Attica“ heißt der dritte Teil der Trash-Saga um den fiesen Max und die böse Angela, die sich Ken Bruen und Jason Starr ausgedacht haben. Geschmacklos, obszön und komisch bis an die Schmerzgrenze. Bücher, die so virtuos an unsere niederen Instinkte appellieren, findet man selten.
Bruen & Jason Starr: Attica. Übersetzt von Richard Betzenbichler. Berlin: Rotbuch (Hard Case Crime) 2010. 206 Seiten. 9,95 Euro.
Unlustig, trübselig und spannend
(SeWa) – Sie waren schon einmal dort? Am bösen, bösen Neusiedler See? Campen, segeln oder surfen? Ich nicht. Der See soll ganz flach sein, zum Durchwaten, wenn kein Sturm geht. Voller Schilf. Er ist der größte in Österreich und schwappt noch rüber nach Ungarn. In den nächsten Jahrzehnten droht seine Austrocknung. In Gerhard Roths Roman „Der See“ wird nicht fröhlich geplanscht, je düsterer die Stimmung, umso besser. Der See schluckt Menschen. Der dürftige Protagonist Eck Tabletten. Der Pharmavertreter als sein eigener bester Kunde. Eck sucht seinen im See verschollenen Vater. Leichenteile werden geborgen und bringen den Sohn in Verdacht. Wenn das Verbrechen doch nicht so böse wäre. Ein unlustiger, trübseliger und spannender Roth-Roman erzählt in hundert Kapitelchen. Viel Spaß beim nächsten Urlaub am Neusiedler See …
Gerhard Roth: Der See. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1995/2003. 239 Seiten. 8,90 Euro.
Dünne Geschichte, breit gewalzt
(KR) Der 16. Fall für Inspector Lynley und Barbara Havers hat Höhen und Tiefen. Leider weniger von dem einen, dafür umso mehr von dem anderen. Ein richtiger Reißer ist das neue Buch von Elizabeth George nicht. Mit großer Behutsamkeit nimmt sie die Langzeitfolgen von Gewalt – erlittene wie ausgeübte – in den Blick und beschreibt sie mit scharfer, unvoreingenommener Beobachtungsgabe. Das ist gut und ehrenwert, aber leider auch ein wenig langatmig. Daneben führt George vorsichtig Inspector Lynley zurück ins Arbeitsleben und drückt ihm eine neue, ziemlich zickige Chefin mit Alkoholproblemen auf, die auch gleich Barbara Havers grundüberholen will.
Richtig packend wird es nur, wenn in kurzen Exkursen geschildert wird, wie in den achtziger Jahren drei Jugendliche ein Kleinkind entführten und töteten: Da findet George zu konzentrierter, klarer Form. Leider nimmt das nur einen sehr kleinen Teil des 830 Seiten langen Wälzers (bereits der 16. Fall für Lynley und Havers) ein. Der Rest schlängelt sich rund um einen Mord auf einem Londoner Friedhof, der seine Wurzeln in Hampshire hat. Diese Geschichte ist eher etwas dünn und wird nicht dadurch besser, dass jeder Aspekt lang und breit ausgewalzt wird. Das mag für Pizzaboden prima sein, als Buchkonzept trägt es selten. In diesem Fall gar nicht.
Elizabeth George: Wer dem Tode geweiht (This Body of Death, 2010). Roman. Deutsch von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann. München: Blanvalet 2010. 830 Seiten. 24,99 Euro.
Zur Promoseite des Verlags.
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