Geschrieben am 25. Januar 2010 von für Bücher, Litmag

Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger

Brigitte Kronauer: Zwei schwarze JägerPanoptikum der Träume

Brigitte Kronauers neuer Roman ist ein unvergessliches Plädoyer für die Macht der Visionen und Utopien. Von Tina Manske

Die Schriftstellerin Rita Palka kommt in eine Kleinstadt, um dort eine Lesung zu halten. Die allerdings wird ein ziemlicher Reinfall, denn es finden sich kaum Zuhörer – die wenigen, die im Publikum sitzen, sind Offizielle und Bezahlte. Palka versucht sich den Abend dadurch zu verschönern, dass sie nicht vorliest, sondern vorne am Pult ad hoc Geschichten erfindet – merkt ja eh keiner, da keiner da unten ihr Buch kennt.

Nach der Lesung gerät sie mit dem Veranstalter Herrn Schüssel in eine Diskussion über Utopien, ja um „die Utopie der Vision“. Doch es kommt zum Eklat, als Schüssels Frau die beiden in zweideutiger Pose erwischt und die titelgebenden Figuren auf ihren Köpfen zerkrachen lässt. Gemeinsam geht man dann auf die Knie, um die Scherben aufzusammeln.

Hier endet die Rahmenhandlung und beginnt das wahre Spiel der Brigitte Kronauer. Denn sie lässt ihre Schriftstellerin ganz nach ihrem Beruf handeln und das so gewaltvoll beendete Gespräch mittels des Erzählens von Geschichten weiterführen, lässt sie die Scherben literarisch aufsammeln und (neu) zusammensetzen. Ein ganzer Reigen (das „Schnitzlersche“ kann man sich dazu denken) von Figuren taucht aus der Fantasie Rita Palkas auf, jede für sich darum bemüht, ihre eigene kleine „Utopie der Vision“ zu erfüllen.

Empathische Boshaftigkeit

Da ist, als Hauptfigur, Wally Mülleis, eine kleinwüchsige, im wahrsten Sinne gefährlich unschuldige Frau, die als Mörderin und Selbstmörderin enden wird; da ist der Lektor Heiner Krapp, der sich in einen Kellner verliebt und angesichts des Mont Blanc in göttliches Licht getaucht wird (wie man überhaupt über die Bedeutung des Gebirges in Kronauers Werken ganze Abhandlungen schreiben könnte); da ist die alte Frau im Rollstuhl, die ihren Exgeliebten dazu auffordert, ihre Nachbarinnen nacheinander zu verführen und danach ins Unglück zu stürzen. Diese und weitere Figuren (ein Verzeichnis zu Beginn des Buches hilft den Überblick zu behalten) werden nach und nach einander näher gerückt, bis sie am Ende alle miteinander koagieren.

Brigitte Kronauer legt großen Wert darauf, dass man ihr Buch – obwohl es auch eine Sammlung von Erzählungen ist – von vorne nach hinten durchliest. Nur so könne man spüren, wie die einzelnen Geschichten sich gegenseitig gewichteten. Tatsächlich eröffnet sich bei dieser Lesart ein Panoptikum der Wünsche und Träume ganz alltäglicher und zeitgenössischer Personen (fast ist man erstaunt, plötzlich einem Mobiltelefon oder Hartz IV zu begegnen), denen Brigitte Kronauer mit der ihr eigenen Sprachmacht, ihrer von Humor durchsetzten Boshaftigkeit und ihrer großen Empathie ein äußerst unterhaltsames Denkmal setzt.

Tina Manske

Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger. Roman. Stuttgart: Klett-Cotta 2009. 286 Seiten. 21,90 Euro.

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