Geschrieben am 7. Mai 2014 von für Bücher, Litmag

Colm Tóibín: Marias Testament

Toibin_24484_MR.inddVerratene Mutter & Verräterin des Sohnes

– Colm Tóibíns antichristlicher Monolog „Marias Testament“. Von Wolfram Schütte

Im vergangenen Herbst brachte der Hanser-Verlag drei etwa gleich kurze Romane in dem kleinen Format heraus, das sich gut dazu eignet, als literarisches „Mitbringsel“ bei einer Einladung zu dienen. Es waren höchst unterschiedliche Bücher, jedes aber auf seine Art sehr eigen & alle drei von einer jeweiligen geistigen Dringlichkeit: Navid Kermanis „Große Liebe“, Jean Echénoz’ „14“ (LitMag-Rezensionen hier und hier), diese paradigmatische Suggestion des Ersten Weltkriegs, und „Marias Testament“ des irischen Schriftstellers Colm Tóibín.

Seine „Maria“ ist die Mutter Jesu, ihr „Testament“ der selbstgesprächshafte Monolog einer alten Frau am Ende ihres Lebens. Ursprünglich als Einpersonenstück gedacht & auch aufgeführt, ist es unter den drei Büchern nur wegen seines Sujets, aber nicht (wie bei den beiden anderen) auch durch seine Form bemerkenswert.

Denn es hat nicht die Form eines geschriebenen Testaments. Wem sollte es zugedacht sein, da ihr einziger Sohn wie ihr wesentlich älterer Mann schon lange tot sind & von anderen Kindern in den unterschiedlichen „Berichten“ der Apostel nicht die Rede war?

Nur vor dem Hintergrund dessen, was das „Neue Testament“ erzählt, entfaltet der Monolog Marias seine literarische Kraft & wird verständlich als eine Art subjektive Kontrafaktur der offiziösen Rolle, die Maria als „Gottesmutter“ in der orthodox-katholischen Mythologie einnimmt.

US-Cover

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Der irische Katholik, als der Colm Tóibín getauft wurde, setzt der vielfältig konnotierten Hagiographie Mariens ein radikal anderes Bild entgegen: das einer selbstbewussten, eigensinnigen, auch störrischen Frau, die sich auf vielfache Weise in ihrem Leben von fremden Männern manipuliert sieht & keineswegs ihrem gekreuzigten Sohn als gläubige Adeptin nachgefolgt wäre – wie ihr Verwandter Lukas, aus dessen „Evangelium“ wir wohl noch am meisten von ihr & über sie – im Sinne der neuen Religion – erfahren. D. h. aber im Sinne des irischen Autors: die Unwahrheit. Tóibín hat ihr eine andere Biographie & Persönlichkeit angedichtet. Sie betet als alte Frau immer noch heidnisch die griechische Artemis in Ephesos an. Dorthin war sie einst – um den Propagandisten der neuen Religion nicht durch ihre Eigenwilligkeit im Wege zu sein – nach dem Kreuzestod ihres Sohnes klandestin von den Christen verbracht worden. Man hatte ihr sowohl mit dem Hinweis auf einen lautlos arbeitenden „Würger“ als auch mit den Geheimagenten der Römer Angst gemacht, ihr Leben sei bedroht, weil sie die Mutter des blasphemischen Häretikers sei, der von sich als „Gottes Sohn„ sprach & auch durch seine sonstigen undurchsichtigen angeblichen „Wunder„ immer mehr Gläubige um sich scharte. Die Spitzel der römisch-jüdischen Macht hatten ihn & seine Jünger schon lange im Verdacht & im Visier ihrer erkennbaren Observation.

Maria war von Lukas u.a. mehrfach gewarnt worden. Als sie ihren Sohn, der seinen vor drei Tagen gestorbenen Freund Lazarus von den Toten erweckt & auf der Hochzeit von Kana Wasser in Wein verwandelt haben soll, dort vor dem ihm drohenden Unheil warnen will, entgegnet er, ganz arroganter Überzeugungstäter, seiner besorgten Mutter: „Weib, was geht’s dich an, was ich tue?“

Ihm ist nicht zu helfen – schon gar nicht von seiner Mutter. Sie lässt sich von Lukas & anderen Neugläubigen aber auch nicht die ehebrecherische Insemination durch Gott einreden; als seine leibliche Mutter weiß sie, wie es zu Jesu Zeugung & Geburt gekommen ist.

UK-Cover

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Nachdem er sich harsch von seiner Mutter ab & der Erfüllung seines Schicksals zugewandt hat, sieht ihn Maria erst wieder auf seinem Passionsweg & auf Golgatha, wenn ihm die Nägel durch die Hände getrieben & er am Kreuz schmerzverzerrt hängt. Tóibín hat die Marter des Gekreuzigten mit der gleichen bestürzenden realistischen Ausführlichkeit beschworen wie Echenoz das Grauen des Weltkriegs in den Gräben der französischen Stellungen in seinem Roman „14“. Die Mutter kann ihrem gequälten Sohn nur einen beschleunigten Tod wünschen, wenn sie hilflose Zeugin seiner Schmerzensschreie wird & nicht wagt, sich ihm zu nähern: „Es war die Stimme, die ich wiedererkannte, die Geräusche, die er machte, die ausschließlich ihm gehörten“, erinnert sie sich.

Colm Tóibín versucht, mit seiner Maria die Leiblichkeit der Mutter gegen die Verfügungsgewalt der Religiösen & die Metaphysik des Sohnes über sie (argumentativ) ins Feld zu führen. So sehr sie sein Sterben bestürzt, so sehr weiß sie doch, dass es nicht ihr Schmerz ist, sondern seiner, dem sie dabei zuschaut. Deshalb lässt Colm Tóibín sie häretisch wünschen: „Wenn Wasser in Wein verwandelt werden kann und die Toten zurückgeholt werden können, dann will ich, dass sich die Zeit zurückdreht. Ich will noch einmal leben, bevor sich meines Sohns Tod ereignet, oder bevor er wegging, als er noch ein Kleinkind war und sein Vater lebte und es Behagen in der Welt gab„.

Das „Behagen in der Welt“ ist wohl endgültig dahin, nachdem der seltsame Sohn von seinem „Gottvater“ spricht & seine liebende Mutter verstoßen & sie den sterbenden Sohn auf Golgatha noch vor dessen qualvollem Tod fluchtartig verlassen hat – nur um sich in Sicherheit zu bringen vor dem Zugriff seiner Feinde, wie sie sich noch Jahrzehnte später vorwirft. Die vielfach ikonographisch ausgemalte Pietà, bei der die Mutter den toten Sohn hingebreitet auf ihrem Schoß hält, ist eine bewusst erfundene Propaganda-Lüge. Weder hat sie ihn als Toten gesehen, noch seinen Leib gewaschen & ihn beerdigt. Mehr noch aber: der Autor lässt sie über die Urchristen (& über diese Religion generell) äußern: „Wenn ihr sagt, dass er die Welt erlöst hat, dass es das nicht wert war. Das war es nicht wert“ – womit sie offenbar Jesus´ Martyrium am Kreuz meint.

Deshalb steht auch für den Autor die physische Tortur des Gekreuzigten im literarischen Mittelpunkt des Buches: als leibhaftiger Protest gegen den christlichen Glauben.

Wolfram Schütte

Colm Tóibín: Marias Testament. Roman. Aus dem Englischen von Giovanni & Ditte Bandini. München: Carl Hanser Verlag. 2014. 128 Seiten. 14,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor. Zur Homegage des Autors.

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