Geschrieben am 7. Februar 2015 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – schnell, auf den Punkt und wooosh

Heute am Beil Joachim Feldmann (JF), Alf Mayer (AM) und Thomas Wörtche (TW). Auf dem Block Cynan Jones „Graben“, Elisabeth Herrmann: „Der Schneegänger“, Robert Hültner: „Tödliches Bayern“ und Antonio Fian „Das Polykrates-Syndrom“.

cynan_jones_grabenDachskämpfe

(JF) Seit 170 Jahren ist es Britannien verboten, Hunde zum Vergnügen eines sadistischen Publikums gegen Dachse kämpfen zu lassen. Aber ebenso wie es illegale Hunde- und Hahnenkämpfe gibt, ist auch die Praxis des sogenannten „Badger Baiting“ nicht ausgestorben. Dabei werden dem Dachs noch vor dem Kampf grausame Verletzungen an Gebiss und Klauen zugefügt, um die Hunde, in der Regel speziell abgerichtete Terrier, nicht allzu sehr zu gefährden. Viel Geld ist bei diesem blutigen Geschäft im Spiel, denn es werden hohe Wetter platziert. Ein kräftiges Dachsmännchen kann durchaus um die 500 Pfund einbringen.

Darauf spekuliert auch der Hundezüchter, von dem in Cynan Jones Roman „Graben“ nur als dem „großen Mann“ erzählt wird. Er ist schon häufiger mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, doch das scheint ihm egal zu sein. Er hat stillschweigende Verbündete unter lokalen Farmern, denen er als Rattenjäger willkommen ist. Was er sonst noch treibt, wird ignoriert. Die Zuschauer für die Dachskämpfe kommen aus der Stadt in die abgelegene Gegend irgendwo in Wales.

Dort liegt auch Daniels Farm. Er züchtet Schafe, ein harter und wenig einträglicher Broterwerb. Seit seine Frau bei einem tragischen Unfall mit einem Pferd ums Leben gekommen ist, verbringt er seine Zeit allein. Die Schafe fordern seine ganze Kraft, vor allem während sie lammen.

Die beiden Männer sind die Antipoden in diesem Roman. Auch Daniel tötet – um das Leben eines Mutterschafes zu retten, muss er das missgebildete Lamm noch vor der Geburt zerteilen. Aber er tut es eben nicht aus Mutwillen. Harte Kost ist die detaillierte Beschreibung dieser Prozedur dennoch. Auch das blutige Handwerk des „großen Mannes“ wird präzise geschildert. Dabei bleibt der Erzählton auf grausame Weise sachlich.

Von Anfang an ahnt man, dass die beiden Männer aneinander geraten werden. Am Ende ist es so weit. Und nur einer überlebt. Cynan Jones, 1975 in Wales geboren, hat einen schmalen Roman von existentialistischer Wucht vorgelegt, dessen Lektüre niemanden unberührt lassen dürfte. In Daniel und dem „großen Mann“ spiegelt sich das fatale Wesen unserer Spezies, wie es gerade im Umgang mit anderen Kreaturen zu Ausdruck kommt. Und dem mit Gesetzen nur bedingt beizukommen ist.

Cynan Jones: Graben. Roman (The Dig. 2014). Roman. Deutsch von Peter Torberg. München: Liebeskind 2015. 175 Seiten. Buch und Autor.

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Der Schneegaenger von Elisabeth HerrmannBeliebte Elemente

(JF) Kriminalromane konstruieren ihre eigene Wirklichkeit. Diese hat unabdingbar mit der Welt, in der wir leben, zu tun, sollte aber nicht mit dieser verwechselt werden. So weit, so banal, schließlich handelt es sich hier um eine Eigenschaft, die sie mit anderer realistischer Erzählliteratur teilen.

Interessant wird die Feststellung erst bei Betrachtung des Einzelfalls. Die Erfolgsautorin Elisabeth Herrmann zum Beispiel, gestaltet eine Welt, in die ihr viele Leser gern folgen. Und anders als beim Schlitzer- und Psychopathengenre, dessen Erzeugnisse sich ebenfalls auf den Bestsellerlisten tummeln, tun sie dies in der begründeten Annahme, dass die Parallelen zur empirischen Realität nicht nur oberflächlich sind. Nicht umsonst verweist die Autorin im Nachwort zu ihrem neuen Roman „Der Schneegänger“ auf ein Sachbuch, in dem das Ausmaß der Misshandlungen, denen Kinder in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind, drastisch dargestellt wird. Auch andere Handlungselemente – eine Wolfsstation in Brandenburg oder die Situation von Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien – sind nur begrenzt fiktiv. Aber wie ist es um die Authentizität der Milieuschilderungen bestellt? Geben neureiche Unternehmer ihren Söhnen Vornamen aus dem Wagner-Universum? (Oder stand die populäre britische Fernsehserie „Der Doktor und das liebe Vieh“, in der zwei der Hauptfiguren ebenfalls mit den Namen Siegfried und Tristan geschlagen sind, Pate?) Schmuggeln sich angehende Kriminalistinnen undercover als Haushaltshilfe in eine verdächtige Familie ein? Ganz zu schweigen von einer Motivkonstruktion, die die Mobilisierung beträchtlicher krimineller Energien plausibel erscheinen lassen muss.

Foto von Elisabeth Herrmann

Autorin Elisabeth Herrmann (© Boris Breuer)

Es ist dem narrativen Vermögen Elisabeth Herrmanns geschuldet, dass sich diese Fragen mit fortschreitender Lektüre immer weniger stellen, obwohl des Rätsels Lösung spätestens auf halber Strecke erahnt werden kann. Mit bemerkenswerter Effektivität arrangiert sie beliebte Strukturelemente des Genres neu: ein alter ungelöster Fall, ein ungleiches zerstrittenes Ermittlerduo, eine geschickt gelegte falsche Spur … Erzählt wird personal aus wechselnden Perspektiven in einer bilderreichen, nicht immer pathosfreien Sprache. Der so entstehende Kontrast zur Erbärmlichkeit des aufzuklärenden Verbrechens sorgt für einen ansehnlichen ästhetischen Überschuss dieses soliden Kriminalromans.

Elisabeth Herrmann: Der Schneegänger. Kriminalroman. München: Goldmann 2015. 448 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformation zu Buch und Autorin.

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Toedliches Bayern von Robert HueltnerSittengeschichte

(AM) Dieses Buch lag zu lange ungelesen auf meinem Nachttisch. Und hat es nicht verdient. Schande auf mein Haupt. Mea culpa. Im Frühjahr 2014 erschienen, nahm ich mir erst zehn Monate später die Zeit dafür und ärgere mich nun, mich nicht schon gleich mit der Lektüre belohnt zu haben. Acht Kriminalfälle aus zwei Jahrhunderten fächert Robert Hültner in „Tödliches Bayern“ auf. Literaturtechnisch müsste man vermutlich von acht Erzählungen sprechen oder von acht Kurzgeschichten. Was Hültner liefert, sind acht Romane. Komprimiert und rund gedrechselt, dennoch mit Breitwandblick auf Zeit, Menschen, Umstände und Milieu – seelenvoll, politisch und human, lebensklug, den niederen Ständen und all den menschlichen Motiven zugetan, die uns schlimme Sachen tun lassen. All das an – ok, bajuwarisch – prallem Leben, was den oft blutleeren, eher klinisch-kühlen Fallgeschichten eines von Schirach abgeht.

Die Jahresringe 1807, 1867, 1919, 1918-34, 1920, 1962, 1988 und 2004 hat Hültner sich gewählt. Immer bringt er Menschen und historische Hintergründe zusammen, erzählt von kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen, auf die Betroffene mit zuweilen fataler Konsequenz reagieren. Hültner zeigt uns den „Mensch in seiner Geschichte“, ein fürwahr vornehm sinnlicher Chronist, ein Volksschriftsteller und Simenon’scher Menschenfreund. Hültner erzählt von exemplarisch zeitspezifischen Drama-Konstellationen, sein Thema sind die Motivlagen und Methoden des kriminellen wie des staatlichen Handelns. Er macht anschaulich, wie ein Verbrechen in der jeweiligen Epoche gewertet und geahndet wurde –schärft damit unseren Blick, sogar noch den beim Zeitungslesen. Er macht uns wach. Aufregende Lektüre also.

Robert Hültner (© Peter von Felbert)

Robert Hültner (© Peter von Felbert)

Dies in einer großen Tradition: Verbrechen, die tatsächlich begangen wurden. Eines der ersten Werke dieser Art waren 1740 die „Causes célèbres et intéressantes“ des französischen Juristen Gayot de Pitaval, die Schiller mit höchstem Lob bedachte. Bis heute sind Angebot und Nachfrage an kriminalistischen Tatsachenberichten groß. Als ersten Fall nimmt Hültner sich den des schwängernden und mordenden Priesters Franz Sales Riembauer vor und lässt sich damit am großen Anselm von Feuerbach und dessen „Merkwürdige Verbrechen in aktenmäßiger Darstellung“ messen. „Tartuffe als Mörder“ hieß das bei Feuerbach 1828/29 (siehe hier), „Tartuffe auf dem Lande“ bei Hültner. In jeden der Fälle ließe sich ausgiebig steigen, über Quellenlage und Erzählperspektiven reden. Es wäre lohnend. Denn es ist aufregend, wie Hültner erzählt. Genauer: das Leben nacherzählt. In einem kleinen Absatz im Vorwort sagt Hültner sehr Wesentliches zum Handwerk des Erzählers.

Eine Herausforderung war die Arbeit an diesem Buch für den erfahrenen Hültner (bei CM hier, hier und hier), dessen erste Romane „Walching“ (1993) und „Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski“ (1995) im Verlag Georg Simader erschienen, was ich erwähne, weil es die Rolle von Kleinverlagen verdeutlicht. Ein Formelschreiber Holzschnitzer war Hültner noch nie. Wir können gespannt sein, was diese Erfahrung aus ihm macht. Sein nächstes Buch wird bei mir gewiss nicht zehn Monate liegen bleiben.

Robert Hültner: Tödliches Bayern. Kriminalfälle aus zwei Jahrhunderten. München: btb Verlag 2014. Hardcover. 352 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zu Robert Hültner.

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Antonio_Fian_Das_Polykrates-SyndromLeichenteile in Wien

(TW) Visionen und Halluzinationen suchen die Hauptfigur in Antonio Fians wunderbarem kleinen Roman „Das Polykrates-Syndrom“ heim, der uns leider völlig unter dem Radar durchgeflogen ist. Das ist schade, weil Fians Buch fies, gemein und bösartig ist, ohne in Austro-Grantl oder abgenudelte Wolf-Haasismen zu verfallen, die manchmal die Pest bei österreichischen (und überhaupt alpenländischen) Kriminalromanen sein können. Fian erzählt munter-zynisch vom verliebten Loser, der plötzlich mit Leichen zu tun hat und dessen nette, gemütliche avancierte Spießerwohnung sich in ein Slasher-Heim verwandelt, das allerdings dem bürgerlichen Putzwahn auch nichts entgegen zu setzen hat. Das wahrhaft Skurrile an dem Buch ist, dass es nicht von skurrilen, sondern banal langweiligen Gestalten bevölkert wird, selbst der Vamp ist eine relativ biedere Ausgabe der Femme fatale und nichts ist leichter, als Leichenteile in Wien zu entsorgen, wenn sie nur gut-spießbürgerlich bearbeitet sind. Und so wird bieder-banal zu sehr spannend und sehr amüsant.

Antonio Fian: Das Polykrates-Syndrom. Roman. Graz/Wien: Literaturverlag Droschl 2014. 238 Seiten. 19, 00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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