Geschrieben am 15. Februar 2012 von für Bücher, Litmag

Dan Ross: Intersection: Cars Now. Vol.1

Arash und Mastretta, Venturi, Ascari und Westfield: alles super?

Über fünfhundert Seiten, zwei Kilo schwer, mehr als hundert Automarken: Der aufwendig illustrierte, dreisprachige Katalogband „Cars Now“ liefert einen Überblick über fast alle Automodelle dieser Welt und lässt neue Trends erkennen. Von Peter Münder

Diese Frage dürfte auch ausgefuchste Millionärsquiz-Kandidaten und ihre Telefonjoker ins Schwitzen bringen: Wer oder was sind: Arash, Mastretta, Mosler, Think!, Venturi, Ascari, Westfield, Koenigsegg, Gumpert? Nicht gewusst? Macht überhaupt nichts, es sind alles Automarken. Nicht gerade weltbekannte, von Großkonzernen produzierte, sondern exotische Nischenvehikel, die im spektakulären Riesenkatalog „Cars Now“ auf etlichen Seiten mit Texten und Bildern gewürdigt werden. Vom exotischen britischen Sportwagen Bristol wurden 2010 gerade mal 25 Exemplare gebaut – nicht am Tag, sondern im gesamten Jahr, Ferrari brachte es auf 6.573 Stück, vom italienischen Flügeltüren-Vehikel Pagani Huayara (V12-Zylinder, 380 km/h schnell) wurden rund fünfzig Exemplare gebaut, wobei jeder Pagani-Kunde mit einem Paar handgefertigter knallroter Lederschuhe vom Schuhlieferanten des Papstes beglückt wurde. Wahrscheinlich, weil der in edles Leder gewickelte Bleifuß dann nicht so schnell heiß läuft.

Von diesen sauteuren Edelmanufaktur-Rennern, zu denen auch noch der holländische Spyker (400 PS, 300 km/h) und der flinke schwedische Bugatti-Rivale Koenigsegg Agera R gehören (1.115 PS, 420 km/h, eine Million Euro teuer, auch mit praktischer Dachbox erhältlich und zum Trost für Umweltaktivisten auch mit Ethanol zu befeuern), kann der normale Golffahrer nur träumen. Aber der Durchschnittsautomobilist dürfte sich weniger für diese Dream Cars interessieren als für das breite Spektrum von Serienmodellen, bei denen es vor allem auf Alltagstauglichkeit, den günstigen Preis und den niedrigen Verbrauch ankommt.

Avantgarde-Murks oder Bereicherung für die Straße?

Da dieses PS-starke Kompendium in Kooperation mit dem englischen Automagazin Intersection (auch als deutsche Ausgabe erhältlich) produziert wurde, hat Chefredakteur Dan Ross in seinem Vorwort auf den Gebrauchswert für den Leser hingewiesen: „Wir möchten all jenen eine Entscheidungshilfe an die Hand geben, die ein Automobil kaufen müssen bzw. möchten. Dafür haben wir uns nahezu alle Automobilhersteller dieser Welt genauer angesehen und eine Auswahl an Fahrzeugen zusammengestellt, die unsere Aufmerksamkeit erregt haben. Bemerkenswert ist jedoch, dass nur wenige Modelle unsere Seele berührt haben. Und dazu gehören einige Sonderlinge wie limitierte Sportwagenserien und umwelttechnische Experimente. Vor diesem Hintergrund stellt sich dringend die Frage, ob all diese neuen Fahrzeuge überhaupt eine Bereicherung für unsere Straßen sein werden.“

Rund eine Milliarde Autos werden wohl in den nächsten zehn Jahren gekauft werden – da kommt man natürlich ins Grübeln: Wo ist überhaupt noch Platz dafür? Was kann man technisch verbessern, wie sollte ein Design aussehen, das die Funktion nicht beeinträchtigt? Darüber befinden die Käufer ja schon seit Jahrzehnten, inzwischen auch in Schwellenländern wie Indien und China, die bei der Motorisierung die höchsten Zuwachsraten haben. Die Trends bei neuen Antriebskonzepten, die Versuche mit Elektroautos, Hybridkonzepten usw. deutet Dan Ross zwar an, doch er geht weder auf Brennstoffzellen-Experimente ein noch auf die Schwachstellen der Elektrovehikel, deren lange Akkuaufladezeit immer noch Lichtjahre von jeder Alltagstauglichkeit entfernt ist. Was nützt einem schon ein 200 km/h flotter Tesla, der zwar bei einigen Hollywoodstars sehr beliebt ist, aber nach spätestens 180 km ohne Saft auf der Strecke bleibt und dann acht Stunden lang wieder aufgeladen werden muss? Ist so ein Avantgarde-Murks etwa eine Bereicherung für die Straße?

Übrigens gab es die Diskussionen (im Band wird dies nicht erwähnt) über zukunftsfähige Antriebskonzepte schon vor über hundert Jahren: Beim legendären Autorennen Paris-Madrid waren im Jahr 1900 Dampfwagen, Automobile mit Ottomotoren und sogar Elektrovehikel am Start. Schon 1899 hatte der französische Elektrorennwagen „La jamais contente“ mit dem belgischen Fahrer Camille Jenatzy am Steuer 105,8 km/h erreicht und damit den Geschwindigkeitsweltrekord für Automobile über 100 km/h gebrochen. Damals war noch längst nicht ausgemacht, welches Antriebskonzept sich bei einer Großserienproduktion durchsetzen würde.

So what´s new? Neu ist die Idee, Baukasten-Module anzubieten, aus denen man sich in Do-it-Yourself-Manier sein eigenes Auto zusammenbauen kann, wie dies bereits von der kalifornischen Firma Local Motors praktiziert wird. Ihr Modell Rallye Fighter wird als Open Source Baukasten-Modul gebaut: Es kam zustande, nachdem potenzielle Kunden in einer Online-Befragung über CAD-Zeichnungen und technische Details abgestimmt hatten und der futuristisch wirkende Rallye Fighter den Zuschlag erhielt. Die Kunden können jetzt für 50.000 Dollar einen Bausatz erstehen, der in einer Werkstatt zum SUV mit 430 PS zusammengebaut wird. Ein neuer, interessanter Weg, um die Wünsche von Autofahrern zu berücksichtigen, die sich für die üblichen Großserienprodukten nicht begeistern können.

Kaum kritische Gedanken zum Thema Design

Während die Vorstellung der Autotypen trotz der nicht allzu ausführlichen technischen Details auch optisch ansprechend gelungen ist, mutet das Gespräch von Dan Ross mit dem Range-Rover-Designer Gerry McGovern ziemlich läppisch und unergiebig an. Von wegen Design oder Nichtsein: Während sich etwa der Kunsthistoriker, Autokenner und brillante Autor Niklas Maak („Fahrtenbuch“) anlässlich der Autoshow in Detroit in der FAZ („Das Leben, vom Tode her gedacht“) Gedanken über den Designtrend hin zu grimmigen Scheinwerfern, bösen Kühlerfratzen, verchromten Überrollbügeln und Fensterscheiben in der Form festungsartiger Sehschlitze machte und damit den vom Scheitern faszinierten Zeitgeist diagnostizierte, der den Straßenverkehr als worst case scenario in Formen und Blechskulpturen auszudrücken versucht, verläuft der minimalistische Small Talk von Dan Ross und Gerry McGovern im beliebigen Ungefähr. Man hat den Eindruck, die beiden würden am liebsten nur über Lackschuhe, die neuesten Rolex-Modelle oder Badezimmerarmaturen plaudern. Dem vom pompösen Landsitz des Designers beeindruckten Ross verschlägt es offenbar völlig die Sprache – er beschreibt zwar ausführlichst die Möbel, die Drucke an den Wänden und anderen Gucci-affinen Schnickschnack im schicken Country House, aber irgendetwas Substanzielles zum Stellenwert des Autodesigns erfährt man in diesem sieben Seiten langen Hofbericht nicht.

Das Verdikt des französischen Kulturphilosophen Roland Barthes, der 1955 in Paris die Vorführung des neuen Citroën DS-Modells erlebte und angesichts des revolutionären DS-Designs völlig überwältigt befand, „Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen ist“, kann man so generell sicher nicht mehr akzeptieren. Das Auto muss auch nicht gleich, wie Roland Barthes es in seinem Essay (In: „Mythen des Alltags“, 1964) tat, zum Mythos hypostasiert werden. Aber eine faszinierende, raffinierte Ästhetik kommt wahrscheinlich nirgendwo sonst so ostentativ und intensiv zum Ausdruck wie beim Automobil – wenn das Design entsprechend intelligent ist und dem Zeitgeist entspricht. Darüber hätte man in diesem Interview gerne mehr gehört. Doch Dan Ross will mit seinem voluminösen, schön illustrierten Band nicht allzu entschlossen in kritische Dimensionen vorstoßen, sondern lieber eine aufgehübschte, auf Hochglanz polierte Autowelt präsentieren.

Peter Münder

Dan Ross: Intersection: Cars Now. Vol.1. A guide to the most notable cars today. (Engl., Dt., Frz.). München: Taschen Verlag 2011. 512 Seiten. 29,99 Euro.
Niklas Maak: Das Leben, vom Tode her gedacht. In: FAZ, 12. Januar 2012, S. 29.
Sehr empfehlenswert: Matthias Penzel: Objekte im Rückspiegel sind oft näher, als man denkt. Die Auto-Biografie. Freiburg: Orange Press 2010. 287 Seiten. 25,00 Euro. (Zur CM-Rezension).

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