Geschrieben am 13. April 2011 von für Bücher, Litmag

Dave Eggers: Zeitoun

Erschütterndes Lehrstück

– Mit „Zeitoun“ unternimmt der amerikanische Romancier, Verleger und Creative-Writing-Aktivist Dave Eggers einen Ausflug in das Genre der Doku-Fiction. Von Karsten Herrmann

Die Folie des Buches bildet der Hurrikan Katrina, der 2005 die Stadt New Orleans auf unvorstellbare Weise verwüstete: „Eine Katastrophe, deren Größe und Schwere mythische Dimensionen hatte“ – und mit der alle bisherigen Gewissheiten und Sicherheiten plötzlich nichts mehr galten.

Dave Eggers zeigt das am Beispiel der Familie Zeitoun. Der Vater Abdulrahman ist gebürtiger Syrer und gläubiger Moslem und hat den Ehrgeiz, seiner Frau Kathy und seinen vier Kindern ein gutes Leben zu bieten: „Wirklich erstaunlich, was sie sich inzwischen aufgebaut hatten – eine große Familie, ein florierender Betrieb, Freunde in jedem Viertel ihrer Wahlheimatstadt.“

Die Nachrichten über den heranziehenden Hurrikan beunruhigen den pflichtbewussten Handwerker Abdulrahman zunächst nicht weiter und auch als der Exodus aus der Stadt beginnt, bleibt er, um sein Haus und die seiner Kunden zu schützen. Doch dann brechen die Dämme rund um New Orleans und er findet sich in einer Stockwerk hoch überfluteten Stadt wieder – abgeschnitten von der Außenwelt und seiner bei Verwandten im Landesinneren untergeschlüpften Familie.

Mit einem Kanu gleitet er durch die gespenstischen Wasserstraßen der Stadt, bringt alte hilflose Menschen in Sicherheit, füttert allein gelassene Hunde und kämpft gegen die Zerstörung seiner Häuser. Als er einen seiner Mieter besucht, wird er zusammen mit zwei weiteren Männern von einem Spezialkommando der Polizei brutal verhaftet. Abdulrahman gerät unter Terrorismus-Verdacht und in einem eilends errichteten Freiluftgefängnis à la Guantánamo beginnt für ihn eine beispiellose Entrechtung: „Das übertraf selbst den absurdesten Bericht über Polizei-Willkür in Dritte-Welt-Ländern.“

Die Absurdität des Kampfes gegen den Terror an der Heimatfront

© Michelle Quint

Minutiös rekonstruiert Dave Eggers das Schicksal von Abdulrahman und zeigt auf erschütternde Weise, wie das Fundament von Zivilisation und Demokratie im Chaos einer Naturkatastrophe zerbröselt und durch staatliche Willkür, Gewalt und Sadismus ersetzt wird. Als zusätzliche Katalysatoren dienen die Paranoia nach 9/11 und der Generalverdacht gegen alle arabischstämmigen Menschen in den USA.

„Zeitoun“ ist damit nicht nur ein beeindruckendes Dokument über die Folgen einer Naturkatastrophe, sondern auch ein Lehrstück über die Gefahren einer Recht, Demokratie und die Menschlichkeit bedrohenden Terrorismusabwehr.

Sämtliche Erlöse des Buches gehen übrigens an die gemeinsam von Dave Eggers, den Zeitouns und dem Verlag Mc Sweeney’s gegründeten „Zeitoun-Foundation“. Ihr Zweck ist es, den Wiederaufbau von New Orleans zu unterstützen und die Achtung der Menschenrechte in den Vereinigten Staaten und weltweit zu fördern.

Karsten Herrmann

Dave Eggers: Zeitoun (Zeitoun, 2010). Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Köln: Kiepenheuer & Witsch. 368 Seiten. 19,95 Euro. Zu einer Leseprobe des Buches geht es hier, Ein ausführliches Interview mit Dave Eggers finden Sie hier.