Lügen haben viele Beine
– Auch im neuen Spionagethriller „Der Deal“ von David Ignatius steht der amerikanische Geheimdienst CIA im Mittelpunkt. Und als wesentliches Element hat der Autor wieder einen Handlungsort von hoher politischer Aktualität und Brisanz gewählt; Pakistan, wo vor knapp einem Jahr Osama Bin Laden bei der „Operation Neptune Spear“ getötet wurde, ist diesmal einer der Hauptschauplätze des Romans. Eine Rezension von Susanna Mende.
Eine kleine, sich schlagkräftig und flexibel wähnende neue Geheimsektion, von der außer dem US-amerikanischen Präsidenten nur eine Handvoll Menschen weiß, soll eine neue Strategie im Kampf gegen Terrorismus und fundamentalistische Feinde in die Tat umsetzen. Einer der Gründe hierfür ist die CIA selbst, die auf höchster Regierungsebene das Vertrauen verloren hat, und nur noch aus einem Haufen unfähiger und demoralisierter Mitarbeiter zu bestehen scheint, die auf dem Feld der Terrorismusbekämpfung kaum Erfolge vorzuweisen hat.
Die neue Truppe, die ihren Firmensitz weit weg von Langley in Los Angeles hat und unter „The Hit Parade LLP“ firmiert, hat die Aufgabe, an verschiedenen Zielorten, die als Hochburgen für Terroristen gelten, neue inoffizielle Agenten zu rekrutieren und Partner zu gewinnen, frei nach der Devise: „If you can’t beat them, join them.“
Eine weitere Besonderheit dieser Sektion besteht darin, dass sich die benötigten Gelder nicht aus dem offiziellen Geheimdienstbudget speisen, sondern aus einem in London ansässigen Investmentunternehmen, dessen Chef sich, wenn auch nicht ganz freiwillig, im Austausch gegen Insiderinformationen dazu verpflichtet hat, einen Anteil der Firmengewinne für die kleine Geheimorganisation zur Verfügung zu stellen und somit unter dem Radar des Kongresses zu fliegen, der für seine unangenehmen Fragen berühmt ist.
Und erstens kommt es anders …
Doch so klandestin, wie es sich die Truppe – auch zum eigenen Schutz – wünscht, bleiben die Aktionen nicht, und als innerhalb kurzer Zeit mehrere Agenten an ihren Einsatzorten getötet werden, beginnt die fieberhafte Suche nach dem Informationsleck, für die Jeff Gertz, der hartgesottene Leiter von „Hit Parade“, die junge Agentin Sophie Marx anheuert.
Auch die angeschlagene Mutter CIA mischt sich an dieser Stelle in Person des etwas exzentrischen Cyril Hoffman wieder ein, der als drittwichtigster Mann der CIA außerdem das Verbindungsglied zum Weißen Haus ist. Mit Autorität und diplomatischem Geschick versucht er Druck auf seinen pakistanischen Amtskollegen, den Chef des dortigen Geheimdienstes ISI, auszuüben, der alle Hände voll zu tun hat, das freundschaftliche Verhältnis zu den Amerikanern aufrechtzuerhalten und gleichzeitig das Geben und Nehmen mit den Dschihadisten nicht zu gefährden.
Die Ereignisse überschlagen sich, als auf Sophie Marx in Islamabad ein Anschlag verübt wird, wo sie mehr über die Ermordung eines ihrer Kollegen in Erfahrung bringen will. Sie entgeht dem Tötungsversuch, muss jedoch feststellen, dass jeder ihrer Schritte vom pakistanischen Geheimdienst überwacht wird, der ihr gleichzeitig zu Diensten ist.
David gegen Goliath 2.0
Die verschiedenen „Interessengruppen“ kommen dem geheimnisvollen Unbekannten, der im Hintergrund die Strippen zieht, schließlich auf die Spur. Bei dem sogenannten „Professor“ handelt es sich allerdings nicht um einen verblendeten Extremisten, sondern um einen komplexen Charakter, dessen Taten durch seine ganz persönlichen Erlebnisse Plausibilität erlangen. Auf erzählerisch raffinierte und eindringliche Weise gelingt es Ignatius, dem Leser diese Figur näherzubringen, die auf den ersten Blick eine Erfolgsgeschichte des 21. Jahrhunderts ist (ein junger aus einfachen Verhältnissen stammender Paschtune macht nach seinem Studium in den USA eine internationale Karriere als IT-Berater).
Doch dann lenkt ein traumatisches Erlebnis, das von nun an sein Handeln bestimmen wird, sein Leben in neue Bahnen. Sein Vertrauen in den Westen, der ihn bereits stark geprägt hat, ist tief erschüttert, und gleichzeitig gehorcht er den Regeln seines Stammes in Süd-Waziristan; dem, was ihm sein Vater beigebracht hat, und was in seinem Innern so tief verankert ist, dass er sich weder entziehen kann noch will: „gundi“, was im Paschtunischen so viel heißt wie Gleichgewicht der Ehre, wird für ihn zum Leitfaden. Es ist ein geduldiges und mit langem Atem versehenes Unterfangen, diese Ehre wiederherzustellen, und bezahlt werden muss mit „saz“, Blutgeld. (Der Roman heißt übrigens im Original „Bloodmoney“, also Blutgeld, doch hat der Verlag den Titel schon einem früheren Roman von Ignatius gegeben; was umso bedauerlicher ist, weil der Begriff einen ironischen Anstrich durch die gemeinsame Vorliebe von Cyril Hoffmann und seinem pakistanischen Kollegen, Generalleutnant Mohammed Malik, für Philip K. Dicks Science-Fiction-Roman „Dr. Bloodmoney Or How We Got Along After the Bomb“ bekommt.)
Ignatius, der ein Meister der Ambivalenz ist, zeigt sowohl die moralische Legitimation dieses Handelns als auch das Verbrecherische daran. Denn Omar ist kein Extremist, der wahllos und bis zum bitteren Ende um sich schlägt, sondern jemand, der seine und die Würde seiner Familie zurückerlangen möchte, nicht mehr und nicht weniger. Und er ist hierfür bereit, über Jahre hinweg eine Art Doppelexistenz zu führen, die der eines Geheimagenten sehr ähnelt.
Wer niemals lügt, dem glaubt man nicht
Ignatius treibt das Motiv des Doppelspiels, auf dem das Geheimdienstgeschäft beruht, in diesem Roman versiert auf die Spitze, denn sämtliche Beteiligten scheinen sich gegenseitig etwas zu verheimlichen oder vorzutäuschen; „zur Wahrheit durch Lügen, Betrügen, Scheinwahrheiten und falsche Identitäten“, wie Tim Weiner es in seiner Geschichte der CIA zusammenfasst. Doch sind es hier eben nicht nur die vermeintlichen Gegner, die getäuscht werden, sondern die eigene Organisation, die Kollegen, externe Partner, Regierungen und sogar Menschen, denen man angeblich vertraut.
Die junge Agentin Sophie Marx erweist sich als Verkörperung dieses Prinzips, weil sie das Lügen und Betrügen bereits als kleines Mädchen bei ihren regelmäßig abgebrannten Hippieeltern miterleben musste, es also sozusagen in ihre DNA eingeschrieben ist und sie sich in ihrem Erwachsenenleben in der Rolle pudelwohl fühlt.
Neben diesem höchst komplexen Intrigenspiel gelingt es Ignatius außerdem, dem Leser das Gefühl zu geben, tiefe Einblicke in die inneren Strukturen von Geheimdiensten zu erhalten. Nach der Lektüre des Romans glaubt man beinahe, ein Insider zu sein, was sowohl der akribischen Recherche als auch einem gut austariertem Gleichgewicht zwischen Fakten und Fiktion zu verdanken ist. Für alle Spionagethrillerfans ist dieser Roman ein Muss!
Susanna Mende
David Ignatius: Der Deal (Bloodmoney, 2011) Roman. Deutsch von Thomas A. Merk. Reinbek: Rowohlt Verlag 2012. 477 Seiten. 9,90 Euro. Zur Homepage von David Ignatius.