Ein monströser Zauderer
– Gute Hauptfigur, eigene Erzählstimme, feine Nebenfiguren, eigentlich ist eine Menge gut gelungen in David Marks Roman „Sterbensangst“ – aber am Ende ist alles vermurkst. Anna Veronica Wutschel begründet, warum …
Erlaubt ist, was nicht den Spaß verdirbt. Zumindest in der Literatur, sollte man meinen. Doch alles ausprobieren birgt auch seine Tücken, und im schlimmsten Fall führt nur eine einzige Idee dazu, dass sich ein guter Text komplett in sich selbst verstolpert. David Mark erzählt in „Sterbensangst“ von gescheiterten, kranken, zerbrochenen Seelen. Ein Mörder schlachtet kurz vor Weihnachten ein junges Mädchen während eines Gottesdienstes ab. Ein ehemaliger Seemann will nach Jahrzehnten seiner bei einem Unglück verstorbenen Kameraden vor Island gedenken und segnet auf ungewöhnliche Weise das Zeitliche. Da es gänzlich unwahrscheinlich scheint, dass diese beiden Todesfälle in direkter Verbindung miteinander stehen, tappt die Polizei bei der Tätersuche lange Zeit im Dunklen. Doch dann sterben weitere Personen, und bald steht außer Zweifel, dass jemand der Vorherbestimmung ordentlich ins Handwerk pfuscht. David Mark entwirft ganz herrliche Nebenfiguren, die durch Originalität beeindrucken. Und auch die dem Schicksal-ein-mörderisches-Schnippchen-Schlagen-Story ist durchaus spannend, wenn auch die Auflösung – zu unvermittelt, zu wenig vorbereitet – letztlich nur wenig überzeugt.
Schamesröte
So weit, so gut, wäre da nicht der Protagonist, Detective Sergeant McAvoy. Er ist ein wuchtiger Riese und ein monströser Zauderer und Zögerer mit enormem Anerkennungsbedürfnis. McAvoy versinkt ständig mit Schamesröte auf den Wangen im Boden, bis selbst seiner taffen Vorgesetzten Pharaoh der Geduldsfaden reißt. Wachrütteln kann jedoch auch sie ihren Schützling nicht wirklich, gibt es doch kaum etwas, das ihn in dieser komplizierten Welt nicht verunsichert. Im Übrigen wurde McAvoy kürzlich von einem brutalen Serienmörder böse attackiert. Und nebenbei hat er auch noch im Alleingang einen Korruptionsskandal bei der Polizei aufgedeckt. Gedankt hat ihm das praktisch niemand, was seine grundsätzliche Verstörung verstärkt zu haben scheint. Gut, dass ihm daheim eine kleine, wunderbare Frau das Leben wenigstens etwas verschönert. Doch auch hier plagen ihn die Selbstzweifel – den armen Kerl – ob ihn die Liebe seines Lebens nicht eines Tages verlassen könnte. Das ist viel Gepäck für eine ängstliche Seele. Dabei bietet die Konstellation des bänglichen Riesen sicherlich viel Potential für Tragik wie auch Komik. Doch der Autor bleibt hier ganz im Klischee, wälzt und trudelt so langatmig, so umständlich und mit einem Hang zu schiefer Poesie durch diese Gegensätzlichkeit von zartem Wesen und robuster Erscheinung, dass es selbst den schönsten Text vermurksen muss. Sergeant Aector McAvoy hat gleich bei seinem ersten Auftritt – die Serie um ihn ist angekündigt – eine ganz eigene Stimme mit gesteigertem Wiedererkennungswert gefunden. Manch einer wird indes auf ein zweites Stelldichein mit ihm verzichten mögen.
Anna Veronica Wutschel
David Mark: Sterbensangst (The Dark Winter, 2012). Roman. Deutsch von Peter Friedrich. Berlin: Ullstein 2012. 349 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zum Blog von Anna Veronica Wutschel.