Geschrieben am 19. September 2012 von für Bücher, Litmag

David Mitchell: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Verpasste Chance

– David Mitchell ist einer jener polyglotten britischen Autoren, dessen Schreiben die Welt umspannt und der mit sprühender Fantasie Zeiten, Räume und Kulturen verschränkt. Eine besondere Rolle spielen dabei immer wieder der Ferne Osten und Japan, wo er selbst für einige Zeit lebte. Und hier spielt auch der neue voluminöse Roman von David Mitchell – und zwar an der historisch bedeutsamen Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert. Von Karsten Herrmann

Japan ist zu dieser Epoche des blühenden westlichen Kolonialismus hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen und einzig ein Handelsposten der niederländischen Ost-Indien-Kompanie bei Nagasaki bildet ein kleines Fenster zur Welt.

Hierhin verschlägt es den jungen Handelsangestellten Jacob de Zoet, der sich in der Ferne bewähren und unter einem neuen Kommandanten der jahrelangen Korruption und Unterschlagung Einhalt gebieten soll. Fasziniert nähert er sich dabei der japanischen Kultur an und knüpft vorsichtige Kontakte mit dem Übersetzer Ogawa und der Hebamme Orito. Diese darf, nachdem sie dem Neugeborenen des Shoguns das Leben gerettet hat, beim niederländischen Arzt und Universalgelehrten Doktor Marinus die westliche Medizin kennenlernen. Ihr Ziel ist es, eine „Brücke vom Nichtwissen zum Wissen“ zu bauen. Doch dann wird sie vom mächtigen Enomoto in den „Shiranui“-Schrein verschleppt, wo ein obskurer und menschenverachtender Shinto-Kult betrieben wird. Zugleich muss Jacob de Zoet erkennen, dass auch mit ihm ein falsches Spiel betrieben wird und seine Redlichkeit ihm alles zu nehmen droht.

In den Untiefen des Trivialen

Wie in seinen vorherigen Romanen beeindruckt David Mitchell auch in „Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet“ durch sein süffiges Erzähltalent. Mit viel exotischem Kolorit und historischen Details zeigt er das Zusammentreffen zweier fremder Kulturen, die sich misstrauisch beäugen und sich in ihrer Lebensart jeweils überlegen fühlen. Ein wirkliches interkulturelles Verstehen und ein gegenseitiger wissenschaftlicher, medizinischer, ökonomischer oder auch spiritueller Austausch findet jedoch kaum statt. Das einzig wirklich verbindende Element ist das rücksichtslose Streben nach möglichst viel Macht und Profit. Dieses spickt Mitchell mit einer Vielzahl von Geschichten, Intrigen, zwielichtigen Gestalten und einigen wenigen aufrechten Helden.

Dabei bleiben die Charaktere und Beweggründe seiner Protagonisten flach und er verliert sich zunehmend im fotorealistischen Beschreiben von Räumen und Ereignissen. So ist dieser Roman nicht mehr als ein klassischer historischer Abenteuerroman, der zuweilen sogar in die Untiefen des Trivialen gerät. David Mitchell hat mit ihm die Chance verpasst, ein auch für unsere Zeiten relevantes interkulturelles Lehrstück zu schreiben und bleibt damit weit unter seinen in der Vergangenheit schon unter Beweis gestellten Möglichkeiten.

Karsten Herrmann

David Mitchell: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet (The Thousand Autumns of Jacob de Zoet, 2010). Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Berlin: Rowohlt 2012. 720 Seiten. 19,95 Euro. Foto: Wikipedia.

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