Wenn Spießer erzählen
David Wagner hatte eigentlich eine gute Idee: Der Supermarkt als Möglichkeit zur inneren Einkehr, als Anstoß zur Reflexion über modernes Konsumverhalten. Leider gelingt es Wagner nicht, diesen essayistischen Ansatz zu einem homogenen Roman zu verweben, musste Tina Manske feststellen.
„Lange bin ich nicht gern in Supermärkte gegangen“ – gleich mit dem ersten Satz seines Romans Vier Äpfel stellt sich David Wagner in die Tradition von Marcel Proust. Seine Madeleine allerdings hängt Wagners Ich-Erzähler nicht in Lindenblütentee, sondern schnüffelt daran in Form eines Aufenthalts in eben einem dieser Supermärkte, die er lange Zeit vermieden hat. Der Aufenthalt dürfte so etwa eine Stunde dauern, doch die erzählte Zeit erstreckt sich über Jahre, denn dem Ich-Erzähler kommen anhand der Gerüche, der haptischen Eindrücke, der Geräusche und der Atmosphäre im Supermarkt viele alte Geschichten hoch, zuvorderst die der eben erfolgten Trennung von seiner Freundin, die jetzt einen anderen hat. Ausgelöst wird das Ganze durch das Wiegen der titelgebenden vier Äpfel, deren Gesamtgewicht genau 1.000 Gramm beträgt. Der Ich-Erzähler vermutet, dies könnte einen besonderen Tag einläuten, und schon ist die Gedankenmaschine angeschmissen und raucht vor sich hin.
David Wagners Talent liegt in seiner Fähigkeit, Dinge so zu beschreiben, dass man sie förmlich vor sich sieht und meint, sie greifen zu können. Im Buch kann man auch viele alte Marken wiederentdecken, die man schon ganz vergessen hat und an die man sich wieder erinnert, weil sich der Ich-Erzähler wieder daran erinnert – selbst längst vergessene Werbejingles tauchen wieder aus der Versenkung auf. Nebenher erzählt Vier Äpfel von der guten alten Zeit, als Kartoffelpüree noch aus Kartoffeln gemacht wurde, die der Enkel seiner Großmutter aus dem dunklen Keller holte.
Behäbiges, altmodisches Erzählen
Das Shoppen als Möglichkeit zur inneren Einkehr des Menschen, zur Rekapitulation und zur Reflexion über modernes Konsumverhalten: eine sehr charmante Idee, die David Wagner da hatte. Leider ist Vier Äpfel jedoch eine sehr behäbige, altmodische und gar spießig anmutende Erzählung geworden, was zu einem Gutteil daran liegen mag, dass der Ich-Erzähler eigentlich nicht viele Gedanken hat. Wenn ihm etwas auffällt, dann ist es meistens ein Gemeinplatz, aus dem er dann ein ganzes philosophisches Universum aufzublasen versucht. Den großen, das Platzen anzeigenden Knall hört er schon gar nicht mehr.
Mag sein – sehr wahrscheinlich sogar –, dass das alles von David Wagner genau so angelegt und gewollt ist. Wenn aber Spießer in einer Erzählung das Heft in die Hand nehmen, dann kommt selten Erhebendes heraus. Wie denn auch, das Erhebende interessiert sie ja nicht, sondern nur die Bestätigung ihrer Sichtweisen. David Wagner hätte über den Roman Vier Äpfel lieber die Gattungsbezeichnung „Essay“ schreiben sollen, denn das ist er, eine Aneinanderreihung vieler Alltagsbeobachtungen. Figurenentwicklungen, wie man sie aus Romanen kennt, sucht man hier nämlich vergebens.
Tina Manske
David Wagner: Vier Äpfel. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 2009. 160 Seiten. 17,90 Euro
Foto: © by Susanne Schleyer