Geschrieben am 27. Oktober 2008 von für Bücher, Litmag

Denis Johnson: Ein gerader Rauch

Ein Rausch

Denis Johnson ist zweifellos einer der bemerkenswertesten und eigenwilligsten amerikanischen Autoren mit Weltrang. Die Helden seiner Kurzgeschichten und Romane sind die Gescheiterten und Gestrandeten dieser Welt, deren Leiden, Hoffen und Suchen Johnson mit Bildern von intensiver Wucht schildert. Ob in Engel, Fiskadoro oder Schon tot: Jedes Mal schickt Johnson seine Leser dabei auch auf einen Parforce-Ritt zwischen Faszination und Irritation. Von Karsten Herrmann

Denis Johnsons neues Mammutwerk Ein gerader Rauch ist wieder so ein Buch: Ein Vietnam-Epos, das am Tag des Attentats auf John F. Kennedy einsetzt und in die Tiefen und Abgründe des Krieges und der darin verstrickten Menschen führt. Als bedrohliche Metapher dafür steht in diesem Buch der tropische Urwald mit seinem glitschigem Boden, seiner feucht wabernden Luft, seinen Schlingen, Ranken und klebrigen Spinnennetzen, seinem ungeheuren Surren, Kreischen und Schreien.

Johnsons Anti-Helden-Kosmos in Ein gerader Rauch ist von einer Vielzahl amerikanischer Soldaten, Spione, vietnamesischer Kollaborateure, Huren und ohnmächtiger Zivilisten bevölkert. Da sind zum Beispiel die Houston-Brüder Bill und James, die sich in diesem Krieg, der weit von den Orten ihrer Erinnerung stattfindet, vollends verlieren, die ziellos immer tiefer ins Dunkle sinken und schließlich schuldig werden: „Die Grenze zwischen Licht und Dunkel geht mitten durch jedes Herz.“ Da ist aber auch Skip Sands, ein CIA-Agent, der „ohne jegliche klare Parameter“ tausende Karteikarten archiviert, vietnamesische Mythen und Sagen sammelt und mit Kathy, der kanadischen Frau eines gerade verstorbenen Missionars, eine befremdliche Affäre beginnt.

Sinnlich pulsierende und kraftstrotzende Prosa

Im geheimen Zentrum des Romans steht jedoch der o­nkel von Skip, der „Colonel“, ein undurchsichtiger Geheimdienstler, der abseits aller Hierarchien und Befehlsketten seine Fäden spinnt und verdeckte Operationen führt. Der Krieg, der hier geführt wird, ist weniger ein Krieg der Waffen, als vielmehr ein psychologischer Krieg der Desinformation und der Manipulation, ein Krieg, der immer kafkaeskere Formen annimmt. Die klaren Fronten verwischen dabei ebenso wie die Ziele: „In puncto Wirklichkeit bewegen wir uns auf des Messers Schneide. Genau da, wo sie sich in einen Traum verwandelt.“

Johnsons Prosa zieht den Leser einmal mehr von Anfang an in ihren wilden Reiz. Sie ist sinnlich pulsierend und kraftstrotzend, sie ist aufgeladen mit betörenden Bildern und Dialogen. Seine Erzählweise ist dabei nicht linear, sondern diskontinuierlich, kreuz und quer durch Raum und Zeit jagend, voller Lücken und Sprünge. Und doch werden die unzähligen Atome in diesem Erzählkosmos durch eine unsichtbare Kraft, einen geradezu mythischen Hauch verknüpft. Es entsteht ein Sog, der den Leser immer wieder schwindeln und trudeln lässt. Ein gerader Rauch ist ein Rausch, auf den man sich unbedingt einlassen muss – auch auf die Gefahr hin, sich darin zu verlieren.

Karsten Herrmann

Johnson, Denis: Ein gerader Rauch. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell und Robin Detje. Rowohlt 2008. 880 Seiten. 24,90 Euro.