Eine ziemlich matte Story
Da ist es wieder, das alte Elend – Romane, die „mit den Elementen des Kriminalromans spielen“ und alle anderen Dummfloskeln, die meist über solche Texte gestülpt werden, die so grottig sind, das man sie nur noch als „Kriminalroman“ statt als richtigen „Roman“ verkaufen möchte, wobei sie gerne auch die zweite Dumpfformel „mehr als ein Kriminalroman“ bedienen dürfen. Thomas Wörtche hat sich so ein Teil eingetreten …
Denis Johnson ist in den USA und zunehmend auch bei uns ein gefeierter Literat. Für seine Prosa und Reportagen hagelt es Superlative. Jonathan Franzen, so wird zitiert, wird gar metaphysisch – oder intrikat: „Der Gott, an den ich glaube, hat eine Stimme und einen Humor wie Denis Johnson.“ Man könnte fast versucht sein, dieses Bonmot als ironischen Reflex darauf zu beziehen, dass Johnson bekennender Christ sei. Denn Humor & Komik sucht man in dem Buch, über das wir reden, ganz und gar vergeblich.
Überhaupt, liest man den schmalen kleinen Roman Keine Bewegung, ist kaum nachzuvollziehen, wie es zu Hymnen und Lobpreisungen gekommen sein mag. Entstanden ist der Text als Fortsetzungsgeschichte für den PLAYBOY und natürlich liegt es nahe, bei einem solchen Projekt ein wenig Scherz und Ironie, gerne auch ohne tiefere Bedeutung zu treiben. Das sehr gelungene nostalgische Comic-Cover, das der Rowohlt Verlag der deutschen Ausgabe spendiert hat, lässt auf das Schönste hoffen. Aber der Umschlag ist betrüblicherweise das bei weitem Erfreulichste an dem ganzen Buch.
Ohhh, neee …
Den „grandiosen Genre-Scherz“, den die Buchwerbung und der Klappentext versprechen, die „knallige Pop-Art“, die der New Yorker gefunden hat und für ein „ungemein eingängiges Vergnügen“ hält, findet man im Text, egal, wie tief man gräbt und wie intensiv man noch in seine hintersten Eckchen schaut, nirgends. Johnson erzählt eine matte Story, die er anscheinend für typisch noir hält. Ein Spieler namens Jimmy Luntz zahlt seine Schulden beim Kredithai nicht und verletzt auch noch dessen psychopathischen Eintreiber. Er flieht und trifft auf seinem Trip die betrügerische, wenngleich schöne Anita Desilvera, die gerade hinter zwei, drei Millionen Dollar her ist, die sich ein paar miese, fiese Kleinstadtpotentaten unter den Nagel gerissen haben. Am Ende hat niemand das Geld, manche sind tot, andere nicht.
In der Tat eine Standardsituation für unzählige kleine Thriller, irgendwo zwischen Roadmovie und Roman noir. Erhältlich in allen möglichen schriftstellerischen Qualitätsstufen, spätestens seit den 1940er Jahren. Ein Großmeister wie Elmore Leonard hätte natürlich auch aus einer solch dünnen Geschichte möglicherweise etwas machen können, und dass Johnson mit seinem Text in Richtung Leonard zielt, scheint evident.
So lässt Johnson zum Beispiel den psychopathischen Eintreiber Gambol, dessen grimmigste Drohgebärde darin besteht, die Hoden seiner Opfer verspeisen zu wollen, besonders dann irgendwelche Banalitäten vor sich hin plappern, während er sich für irgendwelche Grausamkeiten zurüstet. Quentin Tarantino hat dieses typisch Leonard’sche Verfahren für seine Filme weidlich adaptiert – ob Johnson hier nun wirklich Leonard zitiert oder ob er auf Tarantino anspielt, ob er ein Pastiche im Sinne hat oder nur eine Hommage auf wen auch immer – witzig oder komisch ist das alles bei ihm nicht. Und ob er Leonard verstanden hat oder einfach nur etwas kopiert, was er für Attitüde hält, man weiß es nicht, denn eine irgendwie geartete Auseinandersetzung mit Stil, Gestus oder Haltung kann man nicht erkennen, so sehr man sich bemüht, irgendetwas nett zu finden.
Kein Witz, no wit, pas d`esprit …
Weder witzig noch komisch ist auch die weibliche Hauptfigur, Anita. Zwar schläft sie hin und wieder mit Luntz, manchmal aber auch wieder nicht; sie lockt ihn weder in den Untergang noch legt sie ihn aufs Kreuz. Sie ist meistens betrunken, dann von ihm schwanger und am Ende ist sie weg, aber ein starker Abgang ist das nicht. Keine Femme fatale, kein Biest, keine irgendwie interessante Figur und noch nicht einmal ein wiedererkennbares Klischee. Dito der Oberfiesling Juarez, der – hahaha – gar kein Latino ist, sondern Araber oder so. Auch er ist nur mäßig fies, teilt mit Schläger Gambol die Vorliebe für Menschenhoden und scheidet, ohne irgendwelche Konturen gewonnen zu haben, wieder final aus der Handlung aus. Auch hier: Keine Figur, kein Klischee, über das man spotten könnte, nur ein Platzhalter für die Funktion „Schurke“.
Gähn …
Man könnte das ganze Büchlein auseinanderbauen, man käme zu keinem anderen Ergebnis. Was wir hier letztlich für eine Sorte Text haben, ist und bleibt unerheblich. Keine Parodie, weil nicht komisch; kein Pastiche, weil kein Autor, der als Vorlage in Frage käme, je so bescheuert geschrieben hat; keine Satire, denn was könnte satirisch verarbeitet sein?
Also doch wieder der inzwischen anscheinend unvermeidlich gewordene Ausflug eines Mainstream-Autors in das, was er für Genre hält. Vielleicht wirklich ein Scherz, aber dann ein ziemlich schlechter.
Thomas Wörtche
Denis Johnson: Keine Bewegung! (Nobody Move, 2009). Roman.
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell.
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2010. 205 Seiten. 17,95 Euro.
| Biografie von Denis Johnson
| Die Zeit über Keine Bewegung!