Geschrieben am 26. Oktober 2013 von für Bücher, Crimemag

Derek Nikitas: Brüche

Derek_Nikitas_BrücheElegant in den Abgrund

‒ Beinahe durchgerutscht wäre uns in CrimeMag Derek Nikitas feiner Roman „Brüche“, der schon vor beinah einem Jahr erschienen ist. Aber lassen wir uns von Aktualität tyrannisieren? Anna Veronica Wutschel über ein elegantes Buch …

Begeisterung ist ein famoser Motor, ein Knall im Hirn, der ‒ so will es die Hirnforschung herausgefunden haben ‒ Impulse durch den gesamten Körper jagt und ihn zu Höchstleistungen treibt. Gut zu wissen, da sollte man sich eventuell viel öfter für etwas begeistern lassen ‒ von einem guten Buch zum Beispiel, einem großartigen Text, einem grandiosen Autor. Nur ist Begeisterung allein im besten Fall ansteckend, doch keinesfalls intellektuell überzeugend, also nähert man sich dem Text lieber auf akademische Weise: Was kann er denn ‒ der Text? Die Antwort darauf ist simpel: So einiges!

Bad news

Nikitas eröffnet seinen zweiten Roman „Brüche“ ebenso klassisch wie seinen Erstling „Scheiterhaufen“. Eine unüberlegte Geste des Verzweifelten, schlechte Nachrichten, eine miese Party, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Jodie Larkin arbeitet Tag für Tag in einer Putzkolonne und eigentlich, irgendwie, stiehlt sie gar nicht einen großen Batzen Geld, sie greift einfach nur zu, nimmt mit, was vor ihr liegt. Und für das sich umgehend meldende schlechte Gewissen bleibt dann kaum noch Zeit, denn die Angst und die Panik treiben sie in die Flucht, die sie in einem gestohlenen Auto antreten muss. Und selbst die logische Idee, bevor die Polizei sie endgültig einkassieren wird, noch einmal ihren Sohn Calvin zu sehen, den Sohn, den sie direkt nach seiner Geburt zur Adoption freigab, soll sich als eine mörderisch miserable herausstellen.

Autor Derek Nikitas

Autor Derek Nikitas

Calvin, der überaus behütet bei seinen konservativ-liberalen Eltern aufwächst, könnte trotz der Adoption und der Sehnsucht nach seiner leiblichen Mutter fast ein halbwegs glückliches Leben führen, würde er nicht gerade sein Schwulsein entdecken und sich dafür enorm schämen. Und so überredet er Jodie, kaum steht sie vor ihm, zu einer Menge Unfug und einer weiteren Flucht. Denn schließlich schuldet sie ihm was, seit dem Tag, an dem sie ihn verließ. Zur gleichen Zeit sorgt sich Deputy Hartwick um seine sterbenskranke Frau Jill und begibt sich auf die Spur eines Mörders, der viel zu viel weiß. Und das so tragisch verwirrte Mathematik-Ass Wynn, das sich eigentlich nur auf seine nächste Klausur vorbereiten wollte, wird sich nach einigen harten Schicksalsschlägen im Untergang an Hartwicks Tochter klammern. Simpel gesagt, jede dieser Figuren entscheidet sich permanent für das Falsche, weil es eigentlich das Richtige sein könnte

Godards „Außer Atem“ ist aufgrund seiner innovativen filmischen Mittel berühmt geworden. Dazu zählt z. B. die Schnitttechnik des Jump Cut.

Godards „Außer Atem“ ist aufgrund seiner innovativen filmischen Mittel berühmt geworden. Dazu zählt z. B. die Schnitttechnik des Jump Cut.

Auf der Flucht

Nikitas Erzählen liegt weiter hinter der Suche nach Glück. Seine Figuren sind alle auf der Flucht, Verwirrte, Ratlose, Resignierte, denen das Leben so gnadenlos eiskalt entgegentritt wie die düstere matschig-graue Winterlandschaft, durch die der Autor seine Protagonisten jagt. Keine Bodenhaftung, kein Halten, kein Funken von Wärme bei dem Versuch, Körper, Geist und Seele irgendwie über die Runden zu bekommen.

Das klingt nun nach einem entsetzlich trostlosen Text ‒ und zugegeben ‒ „Brüche“ treibt konsequent in den Abgrund. Doch schreibt Nikitas dabei so elegant, mit solch großer Sensibilität für die kleinen Gesten, die die großen Gefühle, den undefinierbaren Seelenzustand offenlegen, dass er mit einer Menge Action in souveränem Szenen- und Perspektivwechsel, mit clever ausgearbeiteter Dramaturgie enorme Spannung auf unterschiedlichen Ebenen erzeugt. Nikitas lässt das Logische im Absurden, das zerbrechlich Verwundbare im Brutalen, die Wahrheit in der Lüge, die Unschuld in der Tat aufgehen und kommt so dem Bösen, das in vielerlei Form überall im Hintergrund lauert, enorm nah.

Zahlreiche interkulturelle Bezüge, vor allem die Nähe zum Film, die betörende Einfachheit der Sprache, die enorme Dichte des Textes, die sich erstaunlicherweise gerade über die sprachlichen Auslassungen ergibt, mit denen Nikitas seine Szenen beginnen und enden lässt ‒ nach Bekunden des Autors eine kleine Hommage an Godards Jump Cuts ‒ machen den Text zum literarischen Genuss.

Um nun jedoch nach all der angeführten Begeisterung nicht der simplen Schwärmerei bezichtigt werden zu können, sollen die kleinen Bedenken nicht verschwiegen werden. Ja, Nikitas, der früher Creative-Writing studierte und nun selbst unterrichtet, scheint dann doch an manchen Stellen ein klein wenig zu klug, zu überlegt, zu dogmatisch. Und wird, sollte sein nächster Roman ebenso stringent in den Abgrund führen wie die beiden Vorgänger, als Autor enorm berechenbar. Doch er hat genug Talent, nein, Genie, um dieser Falle entgehen zu können. Indem er selbst eventuell einen Schritt zurücktritt, dem Text mehr Freiheit, den Figuren mehr Eigensinn vor dem anvisierten Ziel einräumt. Indem er vielleicht seinen bislang eleganten Humor härter ausspielt. Oder? Indem er den Leser einfach mit gänzlich unerwartetem Optimismus überrascht, denn gerade dort könnte …

Anna Veronica Wutschel

Derek Nikitas: Brüche (The Long Division, 2009). Roman. Deutsch von Manfred Roth. Frankfurt/Main: Seeling Verlag 2012. 328 Seiten.15.00 Euro. Verlagsinformationen zu Buch. Mehr zum Autor. Zum Blog von Derek Nikitas. Den Blog von Anna Veronica Wutschel finden Sie hier.

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