Geschrieben am 11. Oktober 2014 von für Bücher, Crimemag

Don Winslow: Missing New York

Don Winslow_Missng New YorkHölle Großstadt

– Mit „Tage der Toten“  hatte Don Winslow ein Meisterwerk abgeliefert, mit „Vergeltung“ den Verdacht genährt, er sei doch nur ein versatiler Allesschreiber mit fragwürdigen politischen Positionen.  Ein Eindruck, der sich bei der Lektüre des jüngst erschienen Romans „Missing New York“ verdichtet. Joachim Feldmann ist eher gelangweilt.

Frank Decker ist ein erfolgreicher Polizist in Lincoln/Nebraska, als ein Fall ihm die Chance gibt, sein altes Leben zu verlassen und sich als Ermittler im eigenen Auftrag neu zu erfinden. Es gilt, ein siebenjähriges Mädchen zu finden, das vermutlich entführt wurde. Und „weil ein Einzelner die Freiheit hat, zu tun, was getan werden muss“, macht sich der Irakkriegsveteran aus der Provinz auf den Weg. Ein Jahr lang reist er kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten, bis endlich der Anruf kommt, der ihn auf die richtige Spur bringt. Eine Frau ist im Internet auf das Foto des verschwundenen Kindes gestoßen und meint sich zu erinnern, es kurz nach der Entführung an einer Tankstelle gesehen zu haben.

winslow-tage-der-toten1Zu diesem Zeitpunkt befindend sind wir auf Seite 144 des neuen Romans von Don Winslow angelangt und haben recht viele jener kurzen Kapitel in stakkatohafter Parataxe hinter uns, für die der Autor so großartiger Thriller wie „Tage der Toten“ (The Power of the Dog. 2005) und „Zeit des Zorns“ (Savages. 2010) berühmt ist. Und vielleicht hat es einen in jeder Hinsicht mittelmäßigen, manchmal sogar ärgerlichen Krimi wie „Missing New York“ gebraucht, um die ästhetischen Grenzen dieses Erzählstils zu markieren.

Don Winslow ist ein Autor mit einer Botschaft. Das ist zunächst einmal nichts, woran man Anstoß nehmen könnte. „Tage der Toten“ beispielsweise widmete sich in bester aufklärerischer Tradition den katastrophalen Auswirkungen der amerikanischen Anti-Drogenpolitik. In „Missing New York“ allerdings geht es um das „sogenannte Böse“. Frank Decker ist „ziemlich sicher, dass es den Teufel gibt“. Und zu finden ist er in der Großstadthölle. Man muss ihn nur rechtzeitig erkennen. Leicht ist das nicht, denn er tarnt sich gut. Er ist attraktiv, präsentiert sich als freundlicher Gastgeber und unterstützt Wohltätigkeitsorganisationen. Aber sein Werk sieht anders aus. Eigentlich weiß Decker das genau, und doch lässt er sich täuschen. Schuld daran ist ein weiterer Anruf (auf Seite 318), der ihn dazu bringt, die Ermittlungen in New York kurzfristig abzubrechen. Dass er letztendlich wieder auf die richtige Fährte gerät, ist seiner Intuition geschuldet.

TaxidriverKlischee, Klischee

Damit wir uns richtig verstehen, Kindesmissbrauch ist ein furchtbares Verbrechen. Und der Umstand, dass es in den USA zwar eine „Datenbank für gestohlene Autos“ gibt, aber keine für „gestohlene Kinder“,  mag, wie Decker feststellt, einiges über das amerikanische „Wertesystem“ sagen. Vermutlich teilt Don Winslow diese Einschätzung. Umso schlimmer also, dass er ihr mit einem Roman Ausdruck verleiht, in dem es von Genreklischees nur so wimmelt. Erwähnt sei hier nur der Mafiaboss mit dem Ehrenkodex, der ihm verbietet von Kinderprostitution zu profitieren. Oder jene Szene, in der Decker wie weiland der schwer gestörte Travis Bickle in Martin Scorseses „Taxidriver“ (1976) eine Minderjährige aus den Fängen ihres Zuhälters befreit. Da ist es schon origineller, dass sich Don Winslow offenbar nun mit großem Ernst am Modell Mike Hammer zu orientieren gedenkt (dazu auf Crimemag).

Eine alte Lebensweisheit besagt, dass wir in einer großen, aber keinesfalls in einer guten Gesellschaft leben. Dieser beklagenswerte Umstand wird leider nicht besser, wenn man ihn in formelhafte Literatur verwandelt. Voreilig wurde Don Winslow einmal als „der beste Thrillerautor unserer Tage“ bezeichnet. Das war schon damals angesichts von Zeitgenossen wie James Sallis, Pete Dexter oder Daniel Woodrell vermessen. Mit „Missing New York“, das wohl als Auftakt zu einer Serie gedacht ist, hat er sich nun endgültig in den belanglosen Mainstream eingereiht.

Joachim Feldmann

Don Winslow: Missing New York (Missing New York 2014). Roman. Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte. 395 Seiten. München. Droemer: 2014. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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