Geschrieben am 2. November 2013 von für Bücher, Crimemag

Donald Ray Pollock: Knockemstiff

KnockemstiffSeit Wochen aufgetaute Fischstäbchen

‒ Donald Ray Pollocks „Knockemstiff“ konfrontiert den American Dream mit dem wahren Leben. Eine Besprechung von Sophie Sumburane.

„Alle Amerikaner stammen ursprünglich aus Ohio, wenn auch nur kurz.“ Diesen Ausspruch der 1965 verstorbenen Schriftstellerin Dawn Powell stellt Donald Ray Pollock seinem literarischen Debüt voran. Für ihn mag das stimmen, doch würde es tatsächlich für alle Amerikaner stimmen, wäre das furchtbar. Denn Knockemstiff, ein kleines Kaff im Mittleren Westen, im Herzen von Ohio, ist furchtbar. Und das ist, nach der Lektüre der 18 Kurzgeschichten noch untertrieben. Pollock weiß, wovon er schreibt. In Knockemstiff aufgewachsen, brach er mit 17 die Highschool ab und verdiente sich den Lebensunterhalt über dreißig Jahre lang in einer Papiermühle. Erst in den 1980er Jahren holt er seinen Abschluss nach und schreibt sich an der Ohio State University ein, und sich mit seinem 2008 erschienenen Debüt aus dem Kaff Knockemstiff hinaus. Doch: „Wenn die Hölle in dir steckt, gibt es kein Entkommen.“ Dieser Satz des Klappentexts könnte passender nicht sein, für jede der Geschichten. Als Folie lässt sich Sherwood Andersons 1919 erschienenes „Winesburg, Ohio“ erkennen, der Kleinstadt-Klassiker, auf den Pollock sprachgewaltig antwortet. Die 18 Abschnitte aus Knockemstiffer Lebensgeschichten greifen ineinander, überkreuzen sich in verschiedenen Strängen, ebenso wie bei Anderson, und zeichnen so das Panorama einer Gesellschaft voller Gewalt, Hoffnungslosigkeit, Drogen und Inzest. Er demontiert erbarmungslos den „American Dream“ und haut dem Leser die Wünsche der Figuren um die Ohren.

Messerscharf

Pollocks Sprache ist messerscharf, direkt, rücksichtslos. Er treibt die Lebenswege der Figuren voran, in denen sich Leser und Protagonisten gleichermaßen ausweglos verfangen, bis nur noch die erschaffene Wirklichkeit als die wahre erscheint. Wenn die zum Prahlen erfundene Freundin irgendwann zur Realität stilisiert ist, man den Slip der Schwester als Beweis, auch für sich selbst, herumträgt, ist man ganz unten angekommen. Schon die erste Geschichte des Buches legt den Ton fest, auf den der Leser sich einzustellen hat: Der 7-jährige Bobby ist mit seinen Eltern im Auto-Kino, an der Pissrinne fängt sein Vater nach einer verbalen Auseinandersetzung eine Schlägerei an und verlangt von seinem Sohn, mit dessen Sohn das gleiche zu machen. Aufgegeilt vom Blut des Kindes, das Bobby wie von Sinnen bewusstlos geprügelt hat, packt er seine Familie ins Auto, spricht nur noch von Bobbys Fäusten und hat zu Hause noch freudlosen Sex mit seiner Frau. Mehr scheint es nicht zu geben, in Knockemstiff ‒ sehr passend, dass direkt diese erste Geschichte mit „Das wahre Leben“ überschrieben ist.

No way out

Und so sehr es die Figuren auch versuchen, es gibt keinen Weg hinaus. Hank ist 28, arbeitet seit er 16 ist bei Maude an der Tankstelle und träumt von Tina Elliot, die aber will mit Boo Nesser abreisen. Nicht etwa irgendwohin, wo es schön ist, sondern nach Texas, zu einem Ölfeld, um dort in einem Trailer zu hausen. Alles scheint besser als Knockemstiff. Das dachte sich auch Daniel, als er von zu Hause abhaute, um weg zu kommen von seinem Vater, der ihn beinahe skalpiert hatte, weil er Daniel beim Sex mit der Lieblingspuppe der Tochter erwischt hatte. Weg, ohne Ziel, um im Führerhaus eines psychopathischen Truckers zu landen. „Plötzlich verstand Daniel, dass man hier draußen auf der Straße sein konnte, wer immer man wollte. Man konnte jedem Fremden, der einen mitnahm, eine andere Lebensgeschichte erzählen. Man konnte Pfadfinder sein ohne ein einziges Abzeichen, ein Millionär ohne einen Penny in der Tasche, ein Cowboy ohne Pferd.“ Oder aber ein Psychopath ohne Psychopharmaka, getarnt als Lastwagenfahrer. Man konnte in Knockemstiff, zumindest in seinen Träumen, alles sein, was man wollte. Bis man die Träume irgendwann gegen Suff und Drogen tauscht oder so sehr in ihnen lebt, dass man zum Schluss nicht mehr merkt, dass es nicht die kalifornische Blondine ist, die einem grade den Schwanz lutscht, sondern das Fischstäbchenmädchen. Das, das immer Fischstäbchen in den Hosentaschen herumträgt. Das an allen Stellen des Körpers auch so riecht, wie ein seit Wochen aufgetautes Fischstäbchen.

Sogar Emotionen

Pollock, so scheint es, rechnet in seinem Buch ab, mit all den schön Rednern und Glitzerstadtbewohnern. Seine Figuren schaffen es nicht weiter aus „Der Senke“ hinaus als bis in die Nachbarstadt Chilichote, kehren vollgepumpt mit Drogen und desillusioniert zurück und beschränken sich nun doch wieder auf den Sex mit der Schwester, die wimmert wenigstens nicht so laut. Hier und da lässt Pollock kurze Momente erkennen, in denen seine Figuren Emotionen zu haben scheinen, in denen auch sie alles abstößt und die Alkohollähmung nachlässt. „Manchmal macht mir der Gedanke Angst, ich könnte mir für den Rest meines Lebens wünschen, ich hätte mit sechs die Eingeweide eines Kaninchens quer über Harry Freys Obstgarten gepustet“, denkt Hank, als er an seine Mutter dachte, die von ihrem Mann bis zu dessen Tod wohl tausendfach gehört hatte: „Du hast ihn verzogen!“, weil er auf der Kaninchenjagd nichts erschossen hatte. Durch diese Momente der Reflexion, bleibt die Wucht des Schrecklichen erhalten und verkommt nicht zu einem Brei aus Grausamkeit. Pollock aber lässt auch Raum für Optimisten, denn nie wird eine Geschichte zu Ende erzählt. Vielleicht schafft es Hank ja doch noch mit Tina abzuhauen. Schließlich hat auch Pollock selbst es heraus geschafft aus dem Kaff im Mittleren Westen. Er wohnt heute in Chilicothe, Ohio.

Sophie Sumburane

Donald Ray Pollock: Knockemstiff (Knockemstiff, 2008) Roman. Deutsch von Peter Torberg. München: Liebeskind 2013. 256 Seiten. 18,90 Euro.  Verlagsinformationen zu Buch und Autor. Mehr zu Sophie Sumburane.

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