Geschrieben am 25. März 2004 von für Bücher, Litmag

Erich Hackl: Anprobieren eines Vaters

Kleine Enzyklopädie des ‚anderen Europa‘

Geschichten, Essays und sonstige Erregungen eines erfolgreichen Außenseiters der zeitgenössischen österreichischen Literatur.

Um die Bedeutung des Wortes „Empathie“ zu verstehen, kann man im Duden nachschlagen: „Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellung anderer Menschen einzufühlen“. Man kann aber auch ein Buch des in Wien und Madrid lebenden Schriftstellers Erich Hackl lesen, um so lesend zu erfahren, was man sich unter ‚Empathie‘ vorstellen kann.

In großer Distanz zu allen literarischen Moden und Aufgeregtheiten, schreibt Hackl jetzt schon seit vielen Jahren an einem aus vielen kleinen Erzählungen aufgeschichteten großen Werk über die vergessenen Randfiguren der Geschichte. Dass dieser so ernsthafte, ungemein genau recherchierende und politisch sehr dezidiert ‚links‘ stehende Autor einen festen Platz in der Autorenliste des ansonsten eher der gehobenen Unterhaltung zugeneigten Zürcher ‚Diogenes-Verlags‘ besitzt, nimmt man nicht ohne Staunen zur Kenntnis. Auch der neueste Band mit dem irritierenden Titel „Anprobieren eines Vaters“, steht irgendwie sperrig im gängigen ‚Diogenes-Angebot‘.

Mit großer Sorgfalt auf das Detail bereitet Hackl etwa das Leben einer alten Kommunistin vor uns aus, die um ihrer politischen Ideale willen, um ihr eigenes Leben eine Art Festung der Diskretion angelegt hatte. Wie man ohne jeden peinlichen Voyeurismus die Biographie eines Menschen offenlegt, der diese Aufmerksamkeit zu Lebzeiten stets von sich gewiesen hätte, kann man bei Hackl lernen. Er nähert sich den Hauptfiguren seiner Geschichten mit sehr viel Zurückhaltung, eher auf Seitengassen als auf der Hauptstrasse. Beispielhaft hier sein „Salut für Elisabeth Freundlich“, einer außerhalb einem kleinen Freundeskreis gänzlich unbekannt gebliebenen österreichischen Schriftstellerin mit einer unglaublich bewegenden Vita, die geistig verwirrt in einem wiener Pflegeheim gestorben ist.

„Die Namen der Dinge“ ist ein wunderbarer, in des Wortes ganzer Bedeutung ‚emphatischer‘ Nachruf nicht nur auf eine verstorbene Schriftstellerin, sondern auch auf eine ganze Kultur, von der wir heute nur noch etwas von Hörensagen wissen oder durch die Texte von Erich Hackl. Indem er sich jener Alten erinnert, die auf ihre Weise, vielleicht auch manchmal mit Schuld beladen wie bekennende Kommunisten, für eine gerechtere, freundlichere, humanere Welt gekämpft haben, geht Hackl auch auf Distanz zum ‚Österreich-Ekel‘ einiger seiner schreibenden Kolleginnen und Kollegen. Es fehlt nicht an heftigen Attacken gegen Fremdenfeindlichkeit und ‚amnesty‘-bekannte Polizeiwillkür in ‚Felix Austria‘, aber er läßt sich trotzdem nicht in publikumswirksame Kampagnen gegen Haider und andere rechte Populisten einspannen.

Mit seinen vielen Erzählungen und Erinnerungen an vergessene Schriftsteller schreibt Erich Hackl weiter an einer kleinen Enzyklopädie des ‚anderen Österreich‘ und eines Europa, das auch am Anfang eines neuen Jahrhunderts seine dunklen Zeiten nicht vergißt.

Carl Wilhelm Macke

Erich Hackl: Anprobieren eines Vaters. Geschichten und Erwägungen. Diogenes-Verlag Zürich, 2004, 304 Seiten. 18,90 Euro. ISBN: 3-257-06384-9