Geschrieben am 5. September 2015 von für Bücher, Litmag

Erzählung: David Foster Wallace: Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache

Wallace_PlanetVon Trillaphon und Tralfamadore

„Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache“: David Foster Wallaces Porträt des Künstlers als junger Depressiver erscheint auf Deutsch. In der Übersetzung des kongenialen Ulrich Blumenbach fundiert das Büchlein die hiesige Rezeption des US-Schriftstellers als pathologischer Fall. Ob das angemessen ist oder nicht, sei mal dahingestellt, meint Bruno Arich-Gerz.

Helden sterben jung, heißt es. Stars auch, und oft findet sich eine tragische Note hinter dem Verscheiden: siehe Michael Jackson, siehe Elvis und Kurt, Janis, Jimi und Jim. Im Showbusiness wird dann schnell die zweite Stufe der Vermarktung gezündet: Genie und Wahnsinn (oder Krankheit zum Tode) verkaufen sich gut und haben den Vorteil, dass der verstorbene Künstler nicht mehr eingreifen kann in die Mechanismen und öffentlichkeitswirksamen Brandings seiner postumen Vermarktung.

Verhält sich das im Literaturbetrieb anders? Der Umgang mit dem Werk des 2008 verstorbenen David Foster Wallace könnte da Aufschluss geben. Denn dessen nachgelassene Schriften werden neben den frühen und außerhalb der Experten-Communities unbemerkt gebliebenen Arbeiten seit geraumer Zeit entdeckt und ins Deutsche übersetzt.

Lob des Übersetzers

Diese Übersetzungen geraten formvollendet, wenn sich wie bei „Infinite Jest“ oder „The Pale King“ Ulrich Blumenbach an die Tastatur setzt. Seit der Übertragung von Thomas Pynchons „Gravity’s Rainbow“ ins Deutsche durch die spätere Literaturnobelspreisträgerin Elfriede Jelinek und durch Thomas Piltz ist wohl kaum ein Stück komplexer und damit herausfordernder US-amerikanischer Literatur so fabelhaft übersetzt worden wie die brillanten Schwarteken von David Foster Wallace.

Jüngstes Beispiel für das kongeniale Schaffen Blumenbachs ist Foster Wallaces bereits 1984 in der Amherst Review publizierte Shortstory „Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache“. Im Vergleich zu den Backsteinen „Unendlicher Spaß“ (zu einer CM-Besprechung hier und hier) und „Der bleiche König“ (zu einer CM-Besprechung) wird die Übertragung ins Deutsche dabei eine Fünffingerübung gewesen sein. Der Band umfasst knappe einhundert luftig bedruckte Seiten, und zwar einschließlich des amerikanischen Originals. Man kann also wie unter Laborbedingungen dem Übersetzer zuschauen, wie dieser den Text des damals 22jährigen Foster Wallace in ein Deutsch herüber schaufelt, das die Stimmlagen und lexikalischen Nuancen des studentischen Erzählers exakt bewahrt.

David_Foster_Wallace_Wikimedia_Commons

Depression, die „Üble Sache“

Der Plot beschlaglichtet das Leiden eines Studenten, der – nach allem, was man (im Nachhinein immer besser) weiß – David Foster Wallace selbst gewesen sein könnte. Erzählt wird die kurze, heftige und mit eindrücklichen Worten zu Papier gebrachte Anamnese einer Depression einschließlich der selbsterfüllenden Prophezeiungen von der Unerreichbarkeit ihrer Heilung selbst bei noch so clever angesetzten Eigentherapieversuchen:

Und am Ende ist dein ganzes … Wesen von nichts anderem als dieser Übelkeit geprägt: Du und die Übelkeit, ihr werdet ‚eins‘, wie man so sagt.

Im Grunde ist die Üble Sache ungefähr das. Allem in dir ist übel, alles ist verzerrt. Und da du nur durch Teile deiner selbst – deine Sinnesorgane, dein Gehirn usw. – Bekanntschaft mit der Außenwelt schließt, und da allen diesen Teilen kotzübel ist, erreicht die Welt, wie du sie wahrnimmst und kennst und in ihr bist, dich nur durch diesen Filter der Übelkeit, und auch ihr wird übel. Allem in dir wird übel, und alles Gute verschwindet aus der Welt wie die Luft aus einem kaputten Luftballon. […]

Die beste Methode, die Üble Sache zu bekämpfen oder ihr zu entkommen, wäre natürlich anders zu denken, zu argumentieren und zu diskutieren, die Dinge schlicht und ergreifend anders wahrzunehmen, zu spüren und zu verarbeiten. Aber dafür brauchst du deinen Kopf, deine Gehirnzellen mit all ihren Atomen, deinen Verstand und das alles, du brauchst dein Selbst, und genau das hat die Üble Sache lahmgelegt, genau das funktioniert nicht mehr (28-31).

Die Kurzgeschichte dieses Leidens zieht sich durch Schule und Hochschule. Noch an der Brown University kaschieren die exzellenten Noten die wahre Not des Protagonisten, der sich selbst so hilflos wie sympathisch als „troubled little soldier“ (67; Blumenbach: „Steppke“) bezeichnet. Das vorläufige Ende: ein Suizidversuch und schließlich der Durchlauf durch die Szenarien der modernen Antihelden-Klassiker aus den Vereinigten Staaten – zuerst die Einweisung in die 1980er Version von Ken Keseys „Cuckoo’s Nest“, dann die behandlungsbedingte Dissoziation des Ichs, das sich unter den Gaben eines Medikaments namens ‚Tofranil‘ auf dem anagrammatischen Planeten Trillaphon wähnt wie einst Billy Pilgrim, der luftkriegsüberlebende US-Soldat in Kurt Vonneguts „Slaughterhouse Five“, auf dem Psychotraumata-lindernden Stern Tralfamadore.

Hier, beim Verhältnis des Planeten Trillaphon zur „Üblen Sache“ namens Depression, endet die Story.

Unterm Strich

Zumindest endet an diesem Punkt die Story zwischen den Buchdeckeln. Die andere, die vom Marketing eines depressiven Autoren, der sich schließlich das Leben nimmt und der in einem Schriftstellerleben immer schon genau darüber geschrieben hatte, fängt hier erst an. „Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache“ lässt einen im Zwiespalt zurück. Einerseits ist es ein weiteres tolles und insofern vollkommen zu Recht dem deutschen Publikum nahegebrachtes Stück David Foster Wallace. Andererseits handelt es sich nach einer 2005 gehaltenen und damals eher unbeachtet gebliebenen Rede vor Collegestudenten („Das hier ist Wasser“, orig.: „This is water“) um einen weiteren recht ostentativ ins Schaufenster gerückten, vom Umfang her allerdings eher miszellenartigen und damit doch spürbar aufgebotoxten Text aus der Backlist des Schriftstellers.

Den Eindruck, dass hier Autorenschicksal und Figurenschicksal kurzgeschlossen werden sollen, um in einer glänzenden deutschen Übersetzung ein Image und eine spezielle Marke des größten (freiwillig) nicht mehr lebenden Gegenwartsprosaisten jenseits des großen Teichs zu etablieren, wird man leider nicht so ohne weiteres los.

Bruno Arich-Gerz

David Foster Wallace: Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache (The Planet Trillaphon As It Stands In Relation To The Bad Thing). Zweisprachige Ausgabe. Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach. KiWi 2015. 112 Seiten. 6,00 Euro. Abbildung: Wikimedia Commons, Author: Steve Rhodes, Quelle.

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