Entlarvende Eitelkeit
– Mircea Cărtărescu war im Jahr 2015 der Star im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Er erhielt den Leipziger „Buchpreis für Europäische Verständigung“ und wenig später noch den „Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur“, den vor ihm Nobelpreisträger wie Harold Pinter, Doris Lessing oder Patrick Modiano zuerkannt bekamen. Man wähnt sich also mit einem literarischen Schwergewicht konfrontiert, was etwas seltsam anmutet, als Cărtărescu vor dem Jahr 2015 eigentlich nicht wirklich aufgefallen ist.
Unter Ceauşescu ein stiller Poet, der ab und zu einen Lyrikband produzierte und dafür vom Regime sogar einen Preis einheimste, steigerte sich sein Oeuvre auch nach 1989 nicht wesentlich. Erst in den letzten Jahren sorgte er vor allem mit seiner Romantrilogie „Orbitor“ für ein wenig Rauschen im Blätterwald der Rezensionen und wurde ins Französische, Spanische, Niederländische und Deutsche übersetzt.
In „Die schönen Fremden“ präsentiert er uns nun eine Sicht auf die Welt, die ihn – unfreiwillig, wie ich vermute – als einen misanthropischen Kleinbürger entlarvt. Wo immer er auch hinkommt, er ist von Idioten umgeben, die alles falsch machen, die keinerlei Stil haben – von Bildung ganz zu schweigen – und einfach nicht begreifen, welches Genie ihnen gegenübertritt.
Alle doof
Das zeigt sich etwa anlässlich einer Lesereise nach Frankreich, zu der er mit anderen Autoren eingeladen ist, was er wortreich als einen Affront wertet. Er sieht sich zum Dutzendschriftsteller degradiert und rächt sich, indem er an Frankreich und den Franzosen kein gutes Haar lässt. Als er einen obskuren Brief aus Belgien erhält, vermutet er einen Anschlag auf ihn (der Brief könnte mit Anthrax versetzt sein, meint er). In der Folge macht er sich über die Stümperhaftigkeit der rumänischen Polizei lustig, kommt aber zu keinem Zeitpunkt auf die Idee, er selbst könnte der Dummkopf sein, glaubt er doch ernsthaft, ein Belgier könnte es auf einen unbekannten rumänischen Schreiberling abgesehen haben.
Dabei blitzt zwischen den Zeilen immer wieder einmal auf, dass Cărtărescu eigentlich gar nicht so blöde ist. Es zeigt sich seine eigene Bildung, sein Geschick für gelungene Formulierungen und seine an sich treffende Beobachtungsgabe. All das legt den Schluss nahe, dass er mit diesem Buch tatsächlich witzig und ironisch sein wollte. Doch eines hat er dabei nicht begriffen. Wer andere verarscht, der muss auch bereit sein, sich selbst ordentlich auf die Schippe zu nehmen. Aber dazu ist er sichtlich nicht bereit. In nahezu ermüdendem Narzissmus unterstreicht er Seite um Seite, dass prinzipiell alle dümmer sind als er selbst, dass er viel zu lange sträflich vernachlässigt wurde und dass alles, was man ihm an Ehrerbietung entgegenbringt, angesichts seines Genies immer noch viel zu wenig ist. Kurz, er outet sich als extrem unsympathischer Zeitgenosse, der selbst in den Momenten, in denen er kokett sein will, nur borniert erscheint. Etwa, wenn er an einer Stelle damit liebäugelt, nur seine Mutter und ein einzelner weiblicher Fan hätten in ihm je einen schönen Mann gesehen. Die Art, wie er diese Szene beschreibt, unterstreicht eindrucksvoll, dass er sich selbst natürlich unbedingt für einen schönen Mann hält. Man spürt förmlich, wie er auf den Zuruf seiner Leserschaft wartet: „Aber Mircea, natürlich bist du schön! Du bist der Schönste! Und der Beste! Der Klügste!“ Da capo al fine.
Unverstandenes Mecker-Genie
Generell bekommt man den Eindruck, dass dieses Buch vor allem marktwirtschaftlichem Kalkül geschuldet ist. Da bekommt ein Autor einige prestigeträchtige Preise, da wäre man doch als Verlag schlecht beraten, publizierte man nicht eilig neue Texte von ihm, die sich dann hoffentlich als einträglich erweisen. Vielleicht tun sie das anfänglich auch – bis sich herumspricht, wie mieselsüchtig der Autor hier alles und jeden schlechtmacht. Denn so etwas taugt selten zum Verkaufserfolg. Aber vielleicht bezweckt Cărtărescu ja genau das. Damit er sich als Genie weiterhin so herrlich unverstanden fühlen kann, um im nächsten Buch noch wortreicher darüber Klage zu führen.
Andreas Pittler
Mircea Cărtărescu: Die schönen Fremden. Deutsch von Ernst Wichner. Zsolnay-Verlag, Wien 2016, 301 Seiten. 21,90 Euro.