Crossroads, revisited
− Natürlich gehört das alles zusammen: Blues, Road Movies, Roman Noir, Comics, Gewalt, Tempo und satanische Vergnügungen. Standardthemen der Popkultur, die man immer wieder neu kombinieren und ausprobieren kann. Wenn man es kann. Eyre Price kann es, wie man an seinem Debüt „Road Kill“ sehen kann. Thomas Wörtche freut sich.
Irgendwann in den 1930er Jahren hat der Musiker Robert Johnson an einer Straßenkreuzung in Clarksdale, Mississippi, um Mitternacht seine Seele dem Teufel verkauft und wurde daraufhin der wichtigste und beste Bluesmusiker aller Zeiten. Eine schöne Legende, ein Grundlagenmythos für den Blues und für alle Musik, die auf dem Blues aufbaut. Aber eben ein schönes Märchen. So wie der Roman „Road Kill“ von Eyre Price auch ein schönes Märchen ist.
Der Held des Romans, der abgebrannte Musikproduzent Daniel Erickson, steht eines Nachts an eben dieser Kreuzung – nicht an der großen, wo sich die nicht minder legendären Highways 49 und 61 kreuzen, sondern an der echten, der richtigen Johnson-Kreuzung. Erickson hat auch einen Pakt geschlossen. Allerdings nicht mit dem Teufel, sondern mit einem russischen Mafioso, dem er Geld, viel Geld schuldet. Mit einem Trick hat er sich aus einem extrem unangenehmen Tötungsszenario herausgeschwatzt, jetzt sind zwei arg psychopathische Killer hinter ihm her, die nicht nur ihn, sondern auch seinen Sohn bedrohen. Der war zu Hause weggelaufen, weil ihm seine Familie zu kaputt war, und niemand weiß, wo er steckt.
Da trifft es sich günstig, dass irgendwer dem gehetzten Daniel Hinweise zuspielt, die mit der Geschichte der Rockmusik zu tun haben. Und die beginnt der Legende nach an eben jener Kreuzung in Clarksdale, Mississippi. Wo sich schnell ein seltsamer Herr materialisiert, der sich Mr. Atibon nennt und nicht unbedingt irdischen Gesetzen gehorcht.
Faust meets the Blues, und Väter und Söhne bewegen sich auf den endlosen Highways zu den Stationen der Rockmusik, über u. a. New Orleans, Memphis, Nashville, Philadelphia bis nach Nordkalifornien, der Heimat des Grunge und Kurt Cobains. Bis sich im großen Theme-Park aller populären Kulturen, in Las Vegas, alle wieder zum Showdown versammeln, der dann ein bisschen an das Gemetzel von Smokin’Aces erinnert – also durch seine Überzeichnung eher comichaft, denn abbildend verfährt.
Überhaupt: keine Angst, „Road Kill“ ist nirgends ein realistischer Roman, sondern eine große, sehr vergnügliche und rasante Schnitzeljagd durch die Musikgeschichte. Ein fiktiver Blues, der „Blues Highway Blues“ – so heißt auch die amerikanische Originalfassung – gibt die Tonart vor und alle Texte (im Anhang auch deutsch) und die dazu geschilderte Musik simulieren die jeweiligen Musikstile – Motown, Philly-Sound und so weiter. Man hört den Roman zusagen durch und bleibt dann noch lange an den alten Scheiben hängen. Nostalgie ist manchmal sehr unterhaltsam.
Und wie im Märchen helfen die Geister den Tapferen, aus Bösen werden Gute und die ganz Bösen fallen tief.
Man kann spüren, dass der Autor Eyre Price tatsächlich mit all dem, was er erzählt, viel anfangen kann. Das On-The-Road-Feeling, die spezifischen Freuden an den unterschiedlichen Musik-Stilen, und vor allem das Bewusstsein, dass all das nicht originell und unerhört innovativ sein muss. Sondern noch entspannter unterhält, wenn es mit Witz, Sarkasmus und offensichtlicher Spaß an der Freud’ niedergeschrieben ist. Kein anstrengender Meilenstein der Literaturgeschichte, sondern einfach ein gut umgesetzte gute Idee.
Thomas Wörtche
Eyre Price: Road Kill (Blues Highway Blues, 2012). Roman. Deutsch von Jörn Ingwersen. München: Heyne Hardcore 2014. 479 Seiten. 12,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor. Eine leicht abweichende Fassung dieses Textes gibt es hier und hier.