Gruppenbild mit Leere
Vor neun Jahren hießen die um 1970 Geborenen „Generation Golf“ und waren ein Bestseller. Dann zog sich ihre Zukunft hinter den Horizont zurück und die Gegenwart fiel ins Nixpassiert. Wie man das erzählt, zeigt Florian Voß in seinem Debütroman. Von Gisela Trahms
Georg wollte Musiker werden, scheiterte. Felix will immer noch Dichter werden, kellnert. Susanne wurde bloß Mutter, auch kein Weg ins Glück. Und Julia? Sie hat anscheinend Job und Geld, aber auch den Schaden weg. Üble Kindheit.
Irgendwie stecken sie alle fest, in Hamburg, Berlin oder jener Provinzstadt, wo sie anlässlich einer Beerdigung nach fünfzehn Jahren wieder zusammentreffen. Julia war Felix’ Jugendliebe, und kaum erscheint sie, puckert der Sehnsuchtsmotor aufs Neue. Hinterm Club, in dem sie nun deutlich die Ältesten sind, ist allerdings nicht gut lieben; in Berlin, wo Felix wohnt und durch die Nacht zieht, auch nicht, nur die locations sind abwechslungsreicher. Und obwohl Julia, in Hamburg lebend, meint, dass es sich mit Georg kaum anders anfühlt als mit Felix, liegt sie zum Schluss mit Georg im Bett und Felix bleibt allein.
„Ratlos“ könnte dieser schmale Roman auch heißen. Jeder kann ja tun was er will, nur wirklich was tun müsste er mal. Schafft aber keiner. Und Interesse für andere Fragen als die ichbezüglichen: null. Felix und Julia gehen zu einer Demo wie zu einem Event, nur mal gucken. Wofür, wogegen demonstriert wird, ist ihnen egal. Felix wird festgenommen, aber die Polizei verhält sich korrekt. Kein Grund zur Aufregung. „Aufregung“ ist überhaupt ein Fremdwort. Das Lebensgefühl einer Generation: wattig. Höchstens Liebe, ja, die kann schmerzen, und lange. Die geht unter die Haut.
Früher bezahlten Romanhelden die Weigerung, sich ins bürgerliche Gewinn- und Verlustspiel einzuklinken, mit ihrem Untergang. Das gab den Figuren Fallhöhe. Hier fällt keiner. Es handelt es sich nur um ein paar Halbverkrachte auf dem Sofa.
Halbverkrachte auf dem Sofa
Damit hat der Autor das bekannte Problem: Wie schaffe ich es, den Leser trotzdem für sie zu interessieren? Florian Voß demonstriert, wie es funktioniert. Durch Genauigkeit, stimmige Details, lakonischen Ton. Die oben erwähnte Liebesszene im Stoppelgras hinter dem Club liest sich so: „Dann legte er sich auf sie und fing an, sich abzumühen… Hinter ihrem Kopf knatterte eine Plastiktüte im Wind, die sich im Unkraut verfangen hatte.“ Und schon ist klar, dass Felix’ Hoffnungen unerfüllt bleiben.
Reichlich vorhandene Dialoge demonstrieren vor allem und wiederum gekonnt, wie sehr diese Mittdreißiger bemüht sind, an der Oberfläche zu bleiben und die Innenräume abzuschotten, auch vor sich selbst. Nur Felix entfährt ein von Julia als peinlich empfundenes „Ich liebe dich“, nur er stellt zweimal die Frage: „Warum tust du das?“ Da ahnen wir Sensibilität, Leiden.
Felix erzählt selbst, für die anderen spricht ein allwissender Erzähler. So werden manche Szenen zweimal dargestellt, aus wechselnden Perspektiven. Diese Erzählweise lässt dem Leser Freiheit, sie zwingt keine bestimmte Sicht und vor allem kein Urteil, keine Bewertung auf. Wie von selbst (aber darin liegt natürlich die Kunst) entsteht aus den locker verbundenen Szenen und Realitätsschnipseln ein Generationenportrait: kein Gemälde (diese Zeiten sind vorbei), aber eine scharf gezeichnete Skizze, in der die leeren Räume zwischen den flüchtigen und flüchtenden Figuren ebenso wichtig sind wie diese selbst.
Gisela Trahms
Florian Voß: Bitterstoffe. Roman. Gebunden.
Rotbuch Berlin, 2009. 123 Seiten. 16,90 Euro.