Differenzierter soziologischer Ansatz
Reaktionen ‚des Islam‘ auf die ökonomische und politische Neuordnung der Welt unter besonderer Berücksichtigung der Situation in den westeuropäischen Metropolen.
Veröffentlichungen über den Islam in allen seinen Varianten haben derzeit Hochkonjunktur. Und wenn man sich die katastrophalen Folgen der vollkommen ignoranten Außen- und Militärpolitik der Bush-Regierung anschaut, ist das Interesse an fundierter Aufklärung über die ‚islamische Welt‘ auch sehr berechtigt. Vorherrschend sind dabei aber Untersuchungen über den ‚Islam als Weltreligion‘ oder einseitig über den ‚islamischen Fundamentalismus‘. Das Buch von Foud Allam aber wählt einen anderen, eher soziologischen Ansatz.
Nicht die Erschütterung der ‚westlichen Moderne‘ durch den Islam steht im Vordergrund, sondern mehr die Auswirkungen der Globalisierung auf den Islam. Dabei beharrt der Autor auf eine unbedingt notwendige Differenzierung etwa zwischen den islamischen Kulturen auf der arabischen Halbinsel und der Kultur des ‚städtischen Islam‘ vor allem in den Randbezirken großer französischer, deutscher oder italienischer Metropole. Weitere Differenzierungen wie der Islam auf dem Balkan kommen noch hinzu, dem in den jüngsten Kriegen auf dem Territorium von Ex-Jugoslawien kein anderer islamischer Staat zur Hilfe gekommen ist.
Als ein Autor, der sich in ‚beiden Welten‘, dem Islam wie der ‚aufgeklärten Moderne‘ bestens auskennt, gelingt es Allam einige sehr interessante und wichtige Zusammenhänge zu erklären. Zum Beispiel die scharfe Ablehnung ‚westlicher Werte‘ bei gleichzeitiger Akzeptanz, ja sogar Bewunderung für „Errungenschaften“ des Westens. Siehe hierzu etwa die Faszination für die neueren Informationstechnologien und deren selbstverständliche Nutzung selbst in den
Kreisen des fundamentalen Islam. Oder das tiefe und in der ‚islamischen Welt‘ weit verbreitete Gefühl der Unterlegenheit gegenüber dem Westen, das jetzt durch einige „Hyper-Attentate“ auf westliche Symbole wie die Twin Towers bei Teilen des radikalisierten Islam zu Gefühlen der Genugtuung geführt hat.
Eurasismus
Wenn man das Buch von Allam gelesen hat, versteht man noch besser wie verheerend die Rambo-Politik der Irak-Allierten auf die gesamte Welt des Islam wirkt. Fouad Allam aber schlägt nicht populär auf ‚die Amis‘ ein, sondern in bester westlicher Aufklärungstradition versucht er Phänomene der Gewalt oder der alltäglichen Konfrontation mit islamischen Gewohnheiten (etwa die leidige Kopftuch-Frage) zu erklären. Spannend seine Ausführungen über den sog. „Eurasismus“, in dem sich „slawophile Bewegungen, Islamisten und die europäische extreme Rechte“ in einem gemeinsamen fundamentalen ‚Anti-Amerikanismus‘ zusammenfinden.
Es wäre falsch, einseitig und in seinen Konsequenzen auch gefährlich, sich immer nur von spektakulären Attentaten in seiner Haltung gegenüber dem Islam leiten zu lassen. Man muß sich schon sehr viel grundsätzlicher nicht nur über die islamische Religion, sondern auch über die aktuellen globalen Machtveränderungen mit ihren Auswirkungen auf uns alle informieren. Das Buch von Fouad Allam bietet da ganz ausgezeichnete Grundlagen.
Carl Wilhelm Macke
Fouad Allam: Der Islam in einer globalen Welt. Aus dem Italienischen von Karl Pichler. Wagenbachs Taschenbücher Bd.490. 2004. 206 Seiten. 11,90 Euro. ISBN: 3-8031-2490-5.