Ansichten eines Clowns
In seinem zweiten Roman kann Frank Goosen mühelos die hohen Erwartungen erfüllen, die sein erfolgreicher Erstling „Liegen lernen“ geweckt hat. Wieder einmal gelingt ihm die feine Balance zwischen Tragödie und Komödie mit einer Leichtigkeit, die im deutschen Sprachraum eher selten ist.
Nachdem „Liegen lernen“ über weite Strecken an Figuren aus seinen Bühnenprogrammen angelehnt war, durfte man nun gespannt sein, wie sich Goosen vom Kabarett löst und auf dem weiten Feld der Fiktion bewährt. Eine definitive Antwort auf diese Frage bleibt jedoch auch der zweite Roman schuldig, denn der Bochumer scheint Gefallen daran zu finden, mit autobiographisch anmutenden Anspielungen seine Leser zu verunsichern: Friedrich Pokorny, die Hauptfigur des neuen Romans, ist Komiker mit ausgedehntem Tourplan – und man braucht kein besonders aufmerksamer Leser zu sein, um in den Andeutungen zu Pokornys Bühnenprogramm Goosens Klassiker „Always kill your Darlings“ zu erkennen. Dieses Spiel mit ineinander greifenden Rollen, das den Zuschauer nach einer gelungenen Pointe mit bösen Wendungen aus dem Lachen reißen kann, beherrscht Goosen auf der Bühne zur Perfektion – und er überträgt dieses Prinzip nun auf seinen Roman. Wenn sich nun Leser auf die Suche nach dem autobiographischen Gehalt des Buches machen, sind sie dem Autor bereitwillig in die Falle gegangen.
Goosen meets Pokorny
Friedrich Pokorny kommt nach einer dreiwöchigen Tournee nach Hause und findet in dem Poststapel einen Brief, der ihn aus der Bahn wirft. Es ist eine Einladung zum Abendessen, ausgesprochen von seinem Jugendfreund Thomas Zacher, den er seit Jahren aus gutem Grund nicht mehr gesehen hatte: „Er konnte nicht zu Zacher gehen, sich mit ihm an einen Tisch setzen und essen, als sei nichts gewesen. Immerhin war Zacher dafür verantwortlich, dass Ellen nicht mehr lebte.“ – Ganz anders als in „Liegen lernen“ macht Goosen hier schon zu Beginn des Romans deutlich, dass dem Leser tragische Wendungen bevorstehen, wenn im Folgenden die Vorgeschichte einer Männerfreundschaft aufgerollt wird. Im letzten Schuljahr der Grundschule freunden sich Friedrich, Sohn eines Schrottplatz-Besitzers und Thomas, Sohn einer allein erziehenden Alkoholikerin, an. Die beiden Außenseiter scheinen sich gut zu ergänzen. Der intelligente und ehrgeizige Thomas, der bei Friedrichs Eltern eine liebevolle Familie erleben kann, hilft Friedrich wiederum bei den Hausaufgaben. Doch schon von Beginn an steht die Freundschaft unter keinem wirklich guten Stern. Friedrich sieht in Thomas neben dem Freund auch stets einen Konkurrenten, tritt in einen unausgesprochenen Wettbewerb mit ihm. So versucht er schon früh, mit dem Cadillac, dem Stolz des Schrotthändlers, Eindruck zu schinden. Als Thomas erste Erfolge bei Mädchen hat, die Friedrich nicht vorweisen kann, sind Friedrichs Gefühle alles andere als freundschaftlich.
Psychogramm einer Freundschaft
Die Wege der beiden trennen sich im Studium: Thomas wendet sich den Rechtswissenschaften zu, Friedrich wurschtelt sich eher halbherzig durch die Germanistik und Soziologie; doch um mit seinem Lebensstil und angeblichen Eroberungen zu prahlen, lädt Pokorny Zacher schon mal zu sich ein. Dabei kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit Ellen, einer wundervollen aber auch geheimnisvollen Frau, die zwar Zachers Freundin wird, zu Pokorny aber ebenfalls eine erotische Beziehung aufbaut. Als es zu einer Aussprache der drei kommt, endet diese mit einem tödlichen Unfall Ellens – und Pokorny gibt Zacher für diesen Unfall die Schuld.
Als Pokorny nun Jahre später die Einladung Zachers wider besseren Wissens annimmt, erwartet ihn eine perfide Überraschung. Zacher ist mittlerweile verheiratet – und Kristina, die Tochter, die seine Frau mit in die Ehe gebracht hat, gleicht auf gespenstische Weise Ellen. Pokorny ist angewidert von Zacher, der offenbar geheiratet hat, um der Ellen-Kopie so nah wie möglich zu sein – gleichzeitig aber setzt er alles daran, Kristina zu verführen, mit ihr Erlebnisse (und Fotos) nachzustellen, die er mit Ellen hatte.
Goosen ist mit Pokorny ein gebrochener Charakter gelungen, der bis ins Detail zu überzeugen vermag. Pokorny, der schon als Klassenclown zwar die Lacher, aber kaum Sympathien für sich gewinnen kann, versteckt seine Gefühle hinter Zynismus und tourt bis zum Umfallen, um nur ja nicht zur Ruhe zu kommen und die eigene Einsamkeit zu spüren. „Pokorny lacht“ ist ein bösartiges Psychogramm einer Freundschaft zweier Außenseiter. Und dabei ist der Roman stellenweise ungeheuer witzig, geprägt von einer sehr „englischen“ oder aber auch „irischen“ Art des Erzählens. Goosen hat die Hürde des „zweiten Romans“ souverän übersprungen und dürfte nun endgültig einen Platz in der ersten Liga deutschsprachiger Unterhaltungsliteratur erlangt haben.
Frank Schorneck
Frank Goosen: Pokorny lacht. Eichborn, 224 Seiten, 19,90¤. ISBN 3-8218-0918-3