Geschrieben am 20. September 2014 von für Bücher, Crimemag

Franz Dobler: Ein Bulle im Zug

1242_01_SU_Dobler.inddDer Bulle rollt.

Es gibt – nicht oft, aber immer – Romane, die einfach evident gut sind. „Ein Bulle im Zug“ von Franz Dobler ist so ein Fall. Findet Roland Oßwald auch.

Zu viele Romane sind zu stark durch designed, um dem Leser wirklich nah zu kommen. Daher gut in irgendwelchen Listen von Menschen aufgehoben, die auf Listen schreiben stehen. Die bieten dann genauso viel Lebendiges wie Designerkrimis. Was soll’s, diese Art des Geschichtenerzählens ermöglicht instantanes Lesen, und das ist gefragt und daran wird sich nichts ändern. So bleibt es eine wenn auch rare Freude, ein Buch aus dem Briefkasten zu ziehen, das eine Welt beschreibt, wie man sie kennt.

Mit dem Penner in der vollbepissten Hose im Trambahnwartehäuschen, der Gruppe Halbstarker in der U-Bahn mit ihren Hirnabklemmhauben auf dem Kopf und debilem Deutsch-Hiphop im Smartphone, dem Arbeitsstrich im Gewerbegebiet und dem Babystrich unterm Hauptbahnhof. Aber auch eine Welt mit dem kühlen Bier an einem Spätsommerabend auf der heimischen Terrasse und der Freiheit auszuwählen, was als nächstes auf dem Plattenteller landet, die Katze zusammengerollt auf dem Nachbarsessel, dazu ein guter Gedichtband in Reichweite. Und die Gewissheit, dass die Liebe noch geliebt wird. Genau deshalb ist es so notwendig Bücher zu lesen wie „Ein Bulle im Zug“ von Franz Dobler.

Soldat

Er fühlte sich einsam/wie ein Soldat,/der beim Rückzug/den letzten Platz/im letzten Hubschrauber/nicht bekommen hat.
Er sah ihm nach,/wie er kleiner/und immer kleiner wurde.
Dann drehte er sich um,/ein Lächeln im Gesicht.

Franz Dobler hat einen Kriminalroman geschrieben. Dass der nicht einfach in eine Liste hineinpasst, dürfte Dobler-Lesern klar sein. Hauptkommissar Robert Fallner hat bei einem Einsatz einen Jungen erschossen. Seither bringt er es nicht mehr. Nicht als Polizist und noch weniger als Lebenspartner. Er ist dienstunfähig. Seine Frau Jaqueline, ebenfalls Polizistin, kann mit ihm wenig anfangen. Was den beiden bleibt, sind ein paar schale Bullenwitze. Und Fallners Therapeutin scheint von ihm genauso die Schnauze voll zu haben wie Jaqueline. Sie rät ihrem Patienten, seinem Jugendtraum nachzugehen, einmal mit der Bahncard100 so lange Zug zu fahren, wie er Lust hat.

Fallner braucht Wochen, ehe er es schafft, in einen ICE einzusteigen. Und dann rollt der Bulle. Und der Leser mit ihm. In die Wirklichkeit eines gescheiterten Menschen und Staatsdieners und gleichzeitig in die Realität einer zähen und abgeschlagenen deutschen Gesellschaft hinein. Sie ist ständig da. In den Zügen. Auf den Bahnhöfen. In Bahnhofskneipen. In schäbigen Hotels. Erzählt wird eine Flucht. Aus Fallners Leben in die der Menschen, die des Weges kommen, gespiegelt entlang des Knacks in der Seele. Du und ich am Tisch in einem Großraumwagen. Ausweichen nicht möglich. Das hält wach.

Fallner und die Geister

Fallner begleiten zwei Geister. Zum einen Maarouf, der Teenager, den er erschossen hat, und zum anderen Lee Morgan, ein amerikanischer Hard Bop Trompeter, der 1972 während eines Konzerts von seiner Frau erschossen wurde. Zwei tragische Figuren, und beide sind zu früh gestorben. Aber das beschreibt bekanntermaßen nur die äußere Qualität. Viele Menschen sind tot und leben trotzdem weiter. „Ein Bulle im Zug“ ist weder klassischer Kriminalroman noch Listenware und am allerwenigsten Designerkrimi. Es ist alles da, wo es hingehört, und darüberhinaus was den Augsburger Autor auszeichnet. Instinkt, Musik, Lyrik, brummende Dialoge und darunter ein innerer Wahrheitsgehalt aus einer ganz realen Welt.

Roland Oßwald

Franz Dobler: Ein Bulle im Zug. Roman. Stuttgart: Klett-Cotta/Tropen Verlag 2014, 347 Seiten. 21,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zu Franz Dobler. Ein Gespräch mit Franz Dobler gibt es hier. Zu Roland Oßwalds Blog.

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