Avantgarde oder Nostalgie?
Woche für Woche sitzen sie wieder vor der Mattscheibe. Die „Avenger“-Fans. Kurz nach 18 Uhr schalten sie Arte ein, um in die Zeit der Miniröcke, Pop-Art und lockeren Lebensart einzutauchen. Wie aber darf man sich das heutige Publikum der legendären Krimi-Reihe „Mit Schirm, Charme und Melone“ vorstellen? Als nostalgische Avantgardisten oder als avantgardistische Nostalgiker? Was verbindet die desillusionierte Nuller-Gesellschaft mit der couragierten Emma Peel, dem dekadenten John Steed und den Swinging Sixties? Nicht viel, möchte man meinen. Aber genau darin dürfte die Anziehungskraft dieser fernsehhistorisch einmaligen Serie liegen. Jörg von Bilavsky hat anhand eines Sekundärwerks einen Klassiker gecheckt.
Solche abenteuerlich-abstrusen Storys finden sich im Einheitsbrei der heutigen Soaps und Serien nicht mehr. Alles brav und bieder oder bombastisch und brutal. Es mangelt Produzenten, Drehbuchautoren und Regisseuren einfach an Understatement. Der spielerische Umgang mit den Genres, der Mut zur Persiflage und Parodie ist ihre Sache höchst selten. Im Kino sorgen die Coen-Brüder oder Quentin Tarantino für den absurden, aber hintergründigen Stilmix, im Fernsehen sucht man diesen Wagemut meist vergebens.
Doch das Bedürfnis nach intelligenter und zugleich unbeschwerter Unterhaltung ist vielleicht stärker denn je. Zumindest bei den Zuschauern ab Mitte 30 aufwärts. Vielleicht aber auch für die jüngeren. Wer weiß. Das TV- und Fernsehserien-Portal „wunschliste.de“ zählt immerhin 2668 Fans, die regelmäßig zur Serie bloggen. Und auch die deutsche Fansite erfreut sich im deutschsprachigen Raum steter Beliebtheit. In Good Old England finden sich natürlich noch immer die meisten Anhänger der Avengers. Allein die Senderechte für die beiden Emma-Peel-Staffeln wurden in 120 Länder verkauft. So eine Serie kann man nicht so schnell vergessen. Nirgendwo auf dem Globus.
Franziska Fischer treibt die Serie schon seit Kindestagen um, als die Fünfjährige sie im Öffentlich-Rechtlichen zum ersten Mal sehen durfte. Ihr nunmehr zum vierten Mal aufgelegtes „Buch zur Serie“ ist kein dahingeschwafeltes, sich in Insiderdetails verlierendes Sammelsurium von Anekdoten und Anspielungen. Es ist ein klar strukturiertes, informativ geschriebenes Porträt der Serie, ihrer Protagonisten und ihres Erfolgsrezeptes. Mag es auch aus „der Perspektive eines Fans“ geschrieben sein, kritiklos und oberflächlich betrachtet sie ihre Lieblingsserie keineswegs. Zu Recht weist die für Funk, Fernsehen und Presse aktive Journalistin auf die gleichförmige Dramaturgie, standardisierte Situationen, simple Ermittlungsmethoden, die fehlende Logik oder auf den indifferenten Zeitbezug der Plots hin.
Ach, Emma Peel …
Ungeschoren kommen hingegen Emma Peel alias Diana Rigg und John Steed alias Patrick Macnee davon. Die schauspielerische Leistung der damals maßlos gefeierten Stars wird von ihr kaum in Frage gestellt, dafür aber genauestens charakterisiert. John Steed, britischer Gentlemen von den Slippern bis zur Melone, immer gut gelaunt und einem edlen Tropfen ebenso zugeneigt wie Emma Peel, die ebenso emanzipierte wie erotische Hobby-Spionin im knallengen und knallbunten Outfit.
Peels Nachfolgerinnen Tara King alias Linda Thorson und Purdey alias Joanna Lumley kommen hingegen nur am Rande vor. Die meiste Aufmerksamkeit der Autorin gilt eindeutig dem Charme und der Professionalität der beiden bekanntesten und beliebtesten Figuren. So analysiert sie denn auch vorrangig die Emma-Peel-Folgen, um den Eskapismus, die Exzentrik und Erzählweise, aber auch Tricks und Techniken als Erfolgsformeln der Serie definieren zu können. Natürlich darf bei dieser Auflistung der oft bemühte, aber selten klar definierte britische Humor und die Selbstironie als auszeichnendes Moment nicht fehlen.
Der oft parodistische und selten satirische Humor wirkt nach über 40 Jahren gelegentlich doch etwas angestaubt, die Witzeleien und Anspielungen sind sehr harmlos und mitunter so klischeehaft wie das von ihnen verspottete Klischee. Die meisten Episoden leben vielmehr von den skurrilen und schrulligen Gegnern der britischen Staatsmacht. Mit den abenteuerlichsten Utopien, Methoden und Gerätschaften wollen sie die Weltherrschaft erringen oder missliebige Agenten töten. Weil die Autoren die Plots immer wieder fantasievoll verfremden, spielt der Ost-West-Gegensatz, der Kalte Krieg, als realer Hintergrund der Handlung kaum mehr eine Rolle. Obgleich der Zeitgeist sich in Mode, Möbeln und Technik in der gesamten Serie manifestiert, existieren John Steed und Emma Peel „in einer Art Zeitvakuum“. Franziska Fischer konstatiert dies nur für die unbestimmte Erzählzeit. Das Zeitvakuum kennzeichnet aber in einem viel umfassenderen Sinn den Charakter und den Erfolg der Serie bis heute.
Zeitloser Zeitgeist
Nicht das von den Medienwissenschaftlern immer wieder vorgebetete serielle Prinzip, das dem Zuschauer die intellektuelle Last nehme und seine Sehnsucht nach Harmonie und Gerechtigkeit befriedige, hält uns vor dem Bildschirm. Diese Kriterien erfüllen andere TV-Serien viel besser. Es ist vielmehr der zeitlose Zeitgeist, der uns heute in den Bann zieht. Sicher beeindruckt das einzigartige, unbestreitbar fantasievolle Dekor der 60er. In einer Peter Sloterdijk zufolge „gebrochenen, überkomplizierten und demoralisierenden Weltlage“ ist aber vor allem der Wunsch übermächtig geworden, sich in parallele oder vergangene Welten zu flüchten. „Mit Schirm, Charme und Melone“ ist eine Mischung aus beiden Kosmen und vielleicht deshalb so beliebt. Das anhaltende Interesse an der Serie hat nichts mit Nostalgie oder Avantgarde zu tun, es reflektiert vielmehr das Verlangen der Zuschauer nach einer verspielteren und kreativeren Aneignung der Gegenwart.
Wer sich dessen bewusst werden und die Mechanismen wie das Wesen der Serie besser begreifen möchte, kann sich bei Franziska Fischer mit den nötigen Hintergrundinformationen und Analysen versorgen. Nicht nur Einsteiger, sondern auch alte Fans werden in dem üppig bebilderten Band Neues über die Entstehung und Entwicklung der Serie erfahren. Wem das noch zu wenig ist, der erhält am Schluss neben einem Episodenführer mit konzisen Inhaltsgaben aller 187 Folgen auch noch eine Vielzahl ergiebiger Literatur- und Internethinweise. Unter anderem auf die Standardwerke von Dave Rogers, auf die sich Fischer im Wesentlichen stützt und die immer noch auf einen Übersetzer warten.
Fischers Buch macht Lust auf weitere Lektüre und weitere „Avengers“-Folgen. Angesichts der erfolgreichen Wiederholungen wäre es an der Zeit, die beiden Staffeln mit Catherine Gale alias Honor Blackman, insgesamt also über 50 Folgen, endlich zu synchronisieren und die bereits synchronisierten komplett (!) auf DVD zu bannen. Doch dazu fehlt den TV-Produzenten ebenso der Mut wie für eine Neuauflage der Serie in verändertem Gewand, aber im gleichen Geist. Aber auch das ist wohl ein typisches Zeichen unserer Zeit.
Jörg von Bilavsky
Franziska Fischer: ,,Mrs. Peel, wir werden gebraucht!“. Mit Schirm, Charme und Melone – Das Buch zur Serie. Berlin: Bertz + Fischer, 2009. 224 Seiten. 325 Fotos. 19,90 Euro.
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