Geschrieben am 6. Mai 2017 von für Bücher, Litmag

Franzobel: Das Floss der Medua

Franzobel_128x209_Das Floß der Medusa.inddEndloses Theater der Grausamkeit

– Der österreichische Schriftsteller Franzobel ist eine der größten literarischen Urgewalten im deutschsprachigen Raum und bespielt ein weites Spektrum von Genres und Sujets – vom Krimi über zeitkritische Gegenwartsbetrachtungen, Familien- und Schelmenromane bis hin zu historischen Stoffen. Immer wieder provoziert er dabei durch seine ironisch-sarkastische, deftige und obszöne Sprache, die keine Grenzen zu kennen scheint. Von Karsten Herrmann

Mit „Das Floss der Medua“ legt Franzobel nun einen „Roman nach einer wahren Begebenheit“ vor. Es geht um den Untergang der Fregatte Medusa und dem nachfolgenden Drama der Schiffbrüchigen vor der afrikanischen Küste im Jahr 1816 –  ein Fall, „der Abgründe des Menschen offenbart, der zeigt, was mit dieser Spezies alles möglich ist“.

Als die Medusa mit ihren Begleitschiffen von der Küste Frankreichs ablegt, spiegelt sich an Bord die französische Gesellschaft kurz nach der Verbannung Napoleons en miniature wieder: Vertreten sind Adelige, Royalisten und Republikaner, Kaufleute, Ehefrauen, Kinder, Hochstapler, Wissenschaftler, Priester, Soldaten und Matrosen.

Unter ihnen sind auch der unfähige Kapitän Chaumerays, der Marinearzt Henri Savigny, „ein Idealist, der die Welt verbessern wollte“, der bildungsbeflissene Matrose Hosea und der aus gutem Hause ausgerissene Schiffsjunge Victor. Für letzteren beginnt das Drama der Reise schon am ersten Tag in der Dantes Hölle gleichenden Kombüse des sadistischen Smutje und seines jungen Gehilfen. Hier wird Victor bis aufs Blut gedemütigt, gequält und misshandelt und nur dank Savigny und Hosea entkommt er seinem frühen Tod.

Schnell bekommt der Leser so schon einen Vorgeschmack darauf, was später von Franzobel bis ins Extrem durch dekliniert wird: „… dass der Mensch ein wildes Tier, sein Kern ein Ungeheuer ist. Chaotisch, grausam, brutal – ein Niemandsland ohne Anstand und Moral.“

Denn nach dem Untergang der Medusa überlassen die drei vorhandenen Rettungsboote ein hoffnungslos überfülltes und manövrierunfähiges Floß seinem Schicksal.

Zehn Tage treibt es bei sengender Hitze über das Meer und in dieser Zeit spielt sich ein unfassbares Theater der Grausamkeit und des sich potenzierenden Ekels bis hin zum Kannibalismus ab. Nahe an Trash- und Splatter-Elementen schwelgt Franzobel geradezu in amputierten Gliedern, abgeschlagenen Köpfen, schwärenden Wunden oder Körperflüssigkeiten aller Art, in Wahnsinn, Raserei und Selbstmord. Gnadenlos zeigt er den Verfall des Menschlichen, den Kampf ums Überleben bis zum allerletzten.

Franzobel verblüfft auch in diesem Roman wieder durch seine von barocker Wucht getragene Erzählkunst und Fabulierlust. Doch bleiben seine Charaktere weitgehend plakativ und mit zunehmender Länge überstrapaziert er sein Theater der Grausamkeit. So läuft sich das „Floss der Medusa“ in der schier endlosen Wiederholung des Provokanten und Schockanten tot und bietet kaum Zwischentöne. Nur ganz zum Schluss erbarmt sich Franzobel und gewährt einen kleinen Lichtblick aus seinem abgründigem Kosmos.

Karsten Herrmann

Franzobel: Das Floss der Medua. Zsolnay 2017.  592 Seiten. 26,00 Euro

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