Geschrieben am 2. August 2014 von für Bücher, Crimemag

Franzobel: Wiener Wunder

Franzobel_WienerWunder_P03DEF.inddNa ja …

„Hochliteraten“ beugen sich gerne entgegen dem Rat wohlmeinender Menschen zum Genre hinunter. Da kann man nichts machen, es passiert halt immer wieder. Jetzt also Franzobel mit „Wiener Wunder“. Joachim Feldmann hat sich wagemutig den Roman angeschaut.

Wenig Gutes ist in der Regel zu erwarten, wenn Autoren, die sich der Produktion feuilletonkompatibler Literatur verschrieben haben, den Kriminalroman für sich entdecken. Nicht selten speist sich ihre Kenntnis des Genres aus dem Konsum einschlägiger Fernsehfilme und der Erinnerung an die kindliche Lektüre britischer Häkelkrimis. Der fatale Irrglaube, es sei vergleichsweise leicht, einen Detektivroman oder Thriller zu verfassen, tut sein übriges.

Wenn also der österreichische Schriftsteller Franzobel, den man bislang als experimentierfreudigen Vertreter einer gemäßigten literarischen Avantgarde kannte, ein schmales Paperback mit Retro-Cover vorlegt, ist man zunächst misstrauisch. Auch das Bekenntnis des Verfassers, das Krimi-Schreiben sei „wie für einen Alkoholiker die Entdeckung des Weins“ und man könne „sich nicht vorstellen, wie man es so lange ohne ausgehalten hat“, stimmt nicht unbedingt hoffnungsvoll.

Es regnet in Wien

Tatsächlich scheinen sich bereits auf den ersten Seiten die Vorbehalte zu bestätigen. Es ist Oktober, in Wien regnet es, und Kommissar Groschen nimmt sein Mittagessen, anders als seine Kollegen, in einem chinesischen Restaurant ein. Und nicht zum letzten Mal in Laufe des Romans wählt er die Nummer zehn, sein Stammgericht, das mal mit mehr, mal mit weniger Chilis serviert wird. Kaum zurück im Büro, erwartet ihn auch schon der Fall, mit dessen Auflösung er sich befassen wird, in Form einer E-Mail, die den „vermeintlichen Selbstmord“ eines bekannten Sportlers ankündigt. Francis Durbridge („Paul Temple“), dessen Plots in den fünfziger und sechziger Jahren Massen an die Rundfunkempfänger und vor die Fernsehapparate lockten, lässt grüßen.

Wie nicht anders zu erwarten, stürzt wenig später ein 400-Meter-Läufer aus dem Fenster einer im vierten Stock gelegenen Wohnung. Gründe, sich umzubringen, hätte der des Dopings überführte, ehemalige Publikumsliebling durchaus gehabt, doch die Mail ist Anlass genug für den Kommissar, genauere Ermittlungen durchzuführen. Also wird verhört, verfolgt und getrickst. Man erfährt viel über die scheinheilige Welt des Leistungssports und lernt wieder einmal die Presse zu verachten. Kurz vor Schluss versammelt der Kriminalist, ganz im Stil eines Poirot, alle Beteiligten am Tatort, um das Verbrechen zu rekonstruieren. Doch er hat sich geirrt. Bis zur eigentlichen Aufklärung vergeht noch ein wenig Zeit. Schließlich ist nicht alles so, wie es scheint, und manchmal ist es ein kleines Schnipsel Papier, das die Gedanken des Ermittlers in die richtige Richtung lenkt.

Bieder & brav

All das ist ebenso unterhaltsam wie vorhersehbar, denn selbst in seinen Überraschungsmomenten folgt Franzobel bekannten Mustern. Auch sprachlich fällt der Ausflug ins Krimigenre wenig aufregend aus. Gerade von einem gestandenen Literaten hätte man mehr erwartet als kleine Marotten in der Dialogwiedergabe, den gelegentlichen Verzicht auf Konjunktionen und einen grammatikalisch fragwürdigen Gebrauch des Konjunktivs II in der indirekten Rede. Aber das kann ja noch werden. Vielleicht setzen ja tatsächlich bald Entzugserscheinungen ein und Franzobel gönnt seinem Kommissar einen zweiten Auftritt mit mehr Freiheiten. Positive Beispiele dafür gibt es ja gerade in der österreichischen Kriminalliteratur zur Genüge.

Joachim Feldmann

Franzobel: Wiener Wunder. Kriminalroman. Wien: Zsolnay 2014. 223 Seiten. 17,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor. Hier geht es zu Joachim Feldmanns Kolumne Mord und Totschlag 55.

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