Apokalyptischer Multikulti-Cocktail
Mit seinem neuen Roman sprengt der 34jährige Gary Shteyngart alle Geschwindigkeits- und Geschmacksgrenzen und jagt seine Leser mit infernalischem Witz durch ein globales Absurdistan.
Shteyngarts Protagonist Mischa Vainberg ist ein durch und durch verwöhnter, schrankenloser und psychoanalytisch betreuter „tiefungläubiger Jude“ sowie Sohn des „1238.reichsten Mann Russlands“. Er steht mit seinem unglaublichen Körperumfang in literaturgeschichtlicher Analogie zu Gontscharows „Oblomow“ und bezeichnet sich wie Dostojewski seinen Fürsten Myschkin selbst als „eine Art tumbes Tier.“
Mischa, aufgrund seiner Rap-Begeisterung auch Snack Daddy genannt, hat sein Herz hoffnungslos an Amerika und New York verloren, wo er als junger Mann am „Zufallscollege“ Multikulti studierte und die schwarze Ghettobraut Rouenna kennen und lieben lernte. Doch das Land und die Frau seiner Träume scheinen unerreichbar, seitdem er zurück in Petersburg ist und aufgrund seines mafiösen Vaters mit einem Einreisverbot in die USA belegt ist.
So macht er sich auf die luxuriöse Business Class-Reise nach „Absurdistan“ am Kaspischen Meer, wo er von einem korrupten Botschaftsangehörigen die belgische Staatsbürgerschaft erwerben möchte. Doch in diesem Land potenzierter russischer Verhältnisse, ergänzt durch „den animalischen Instinkt des orientalischen Basars“, gerät Mischa in einen unübersichtlichen Staatsumsturz und Bürgerkrieg.
Infernale Hochgeschwindigkeitszentrifuge
Mit sprühender Fantasie dreht der in Leningrad geborene und mit sieben Jahren in die USA emigrierte Gary Shteyngart die Globalisierung der Welt und den dabei zutage tretenden Wahnsinn durch seine infernale Hochgeschwindigkeitszentrifuge: Von multinationalen Konzernen mit mafiösen Strukturen über zerfallende Staaten, US-Imperialismus, Islamismus und „New Tribalism“ bis hin zu UN-Hilfsmissionen. Shteyngarts – von Robin Detje kongenial übersetzte – Prosa ist von überschäumender Kraft und Sinnlichkeit und bringt die Welt zum Vibrieren. Sein gut durchgeschüttelter und kulturtheoretisch aufgepeppter Multikulti-Witz durchmisst die ganze Bandbreite von sublim bis brachial und schreckt auch vor obszönen und politisch ganz und gar unkorrekten Ein- und Ausfällen nicht zurück.
„Snack Daddys Abenteuerliche Reise“ ist ein postmoderner ost-westlicher Diwan und lässt die Leser wie nach einer irrwitzigen Karussellfahrt atemlos, schwindelig und leicht orientierungslos zurück.
Karsten Herrmann
Gary Shteyngart: Snack Daddys Abenteuerliche Reise. Übersetzt von Robin Detje. Berlin Verlag 2006. 380 Seiten. 19,90 Euro.