Wahrhaft große Bücher
– Eine Feier des Geistes und der menschlichen Selbstreflektion – Alf Mayer über Georg Brunolds Mammutwerke „Nichts als die Welt“ und „Nichts als der Mensch“.
Man muss sich Georg Brunold als einen glücklichen Sisyphos vorstellen. Seinen großen Arbeiten gelingt immer wieder ein glückliches Ende – und das macht auch uns als Leser glücklich, ja überglücklich. Einige wahre Wackersteine hat Brunold uns über die Jahre seit seinem „Afrika gibt es nicht“ (1994) beschert. Es sind Bücher, von denen sich lange zehren lässt. Bücher, die als Eckpfeiler einer häuslichen Bibliothek mehr als geeignet sind, Säulen der Weisheit, Sammlungen schönster und wichtigster Texte.
Das klingt zu hochgestochen? Nun, wie wäre es mit zwei Brunold-Titeln? Sie lauten „Nichts als die Welt“ und der andere „Nichts als der Mensch“. Der erste versammelt 160 Reportagen und Augenzeugenberichte aus 2500 Jahren und fünf Kontinenten, im anderen erforschen mehr als 300 Autoren aus 2500 Jahren das Rätsel Mensch. „Nichts als die Welt“ stammt aus dem Jahr 2009, „Nichts als der Mensch“ ist vor einem Jahr erschienen – mit beiden Bänden bin ich lange noch nicht fertig, sie werden mich noch viele Jahre begleiten.
Eine Ehrenrettung der Reportage
Wer auf der Suche nach einem soliden Weihnachtsgeschenk für lesende Menschen ist, sollte sich diese beiden im buchstäblichen wie intellektuellen Sinne gewichtigen Foliobände anschauen. Erschienen sind bei Galiani Berlin, vermutlich konnten sie auch nur in diesem von Wolfgang Hörner und Esther Kormann geleiteten Verlag erscheinen; die Kleinheit des Verlags steht dabei im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Größe des Wagnisses. Es ist eben doch Herzblut, das einen guten Verleger macht.
„Nichts als die Welt“ erschien 2009 zum Start des Galiani Verlages. Es war eine Herkulesarbeit gewesen und zudem eine Ehrenrettung der Reportage als Literaturform, die im angelsächsischen Sprachraum ein weit größeres Ansehen genießt als bei uns. Georg Brunold, der selbst auf ein reichhaltiges Reporterleben zurückschauen kann, steuerte 30 Lieferungen einer „Bibliothek des Reporters“ bei, sozusagen einen Werkzeugkasten des Metiers. Zwölf ins Buch eingebaute Fotoreportagen zeigten die Leistungsfähigkeit dieser Form der Berichterstattung und Zeitzeugenschaft. Herodot, Xenophon, Caesar, Plinius, Petrarca, Ibn Battuta, Kolumbus, Voltaire, Goethe, Heine, Stendhal, Boveri, Capote, Frisch, Garcá Marquez, Eco, Enzensberger und viele andere versammelte der Band, bot zudem zahlreiche deutsche Erstveröffentlichungen, etwa den Bericht des Ehepaars Bishop „Der Untergang der Titanic“ oder Janet Flanner über „Hitlers Stimmbänder“.
Aus krummem Holze
Zum fünfjährigen Verlagsjubiläum verabredete man sich damals zu einer weiteren Sisyphosaufgabe, eben zu „Nichts als der Mensch“. Brunold sichtete dafür Tausende von Bücher, nahm 500 Texte in die engere Wahl, die dann auf 300 reduziert wurden. Die Texterfassung war abenteuerlich. Brunold wohnte bis 2012 in Nairobi – ohne Kopierer – und fotografierte die Texte ab, in Berlin wurden sie dann digital erfasst und der neuen Rechtschreibung angepasst. Ausgerechnet in der Zeit der Lektorats-Endphase befand sich Brunolds Bibliothek in einem Container auf dem Weg von Afrika nach Arosa. Wolfgang Hörner spricht von „zum Glück zeitlich versetzten Erschöpfungsphasen einzelner Beteiligter“, der Band wurde zum Fünfjährigen fertig und erschien am 7. November 2013, 788 Folioseiten stark, drei Kilo schwer.
Wie gesagt, zehre ich ein Jahr später immer noch davon, lese mich immer wieder fest in der erstaunlichen Auswahl, in den „Beobachtungen und Spekulationen aus 2500 Jahren“, wie der Untertitel lautet. „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden“, meint da etwa Immanuel Kant. Die Texte umfassen meist eine bis zweieinhalb Seiten. Dreieinhalb hat Kant zur Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Nämlich, dass sie der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit sei. Und dann noch einmal eine halbe Seite für „Das höchste physische Gut“. Der größte Sinnengenuss, meint er, „der gar keine Beimischung von Ekel bei sich führt, ist im gesunden Zustande, Ruhe nach der Arbeit“. Kant, der ein reges gesellschaftliches Leben führte und vom „far niente“ durchaus wusste, soll, achtzigjährig, als letzten Satz geäußert haben: „Es ist gut.“
In den 300 von Brunold verfassten Einleitungen finden sich viele solcher prägnanter Skizzen, allesamt kleine Kabinettstücke, das ganze Buch eine Feier des Geistes und der menschlichen Selbstreflektion. René Descartes etwa bemerkt: „Eben als daraus, dass ich weiß, ich existiere, und einstweilen nur von meinem Denken gewahr werden konnte, dass es zu meiner Natur oder zu meinem Wesen gehört, eben daraus schließe ich mit Recht, dass mein Wesen auch allein im Denken besteht.“
Alf Mayer
Georg Brunold (Hg.): Nichts als die Welt – Reportagen und Augenzeugenberichte aus 2500 Jahren. Mit mehrseitigen Fotoreportagen. Galiani, Berlin 2009. 684 Seiten. Folioformat, Lesebändchen. 85,00 Euro.
Georg Brunold (Hg.): Nichts als der Mensch – Beobachtungen und Spekulationen aus 2500 Jahren. Galiani, Berlin 2013. 789 Seiten. Folioformat, Lesebändchen. 85,00 Euro.
Foto Georg Brunold: Tom Haller, Quelle: Homepage des Verlags.